a) Perspektive des Vereinigten Königreichs

 

Rz. 41

Das Vereinigte Königreich folgt im Bereich des internationalen Gesellschaftsrechts traditionell der Gründungstheorie. Eine englische private limited company ist daher rechtlich als Kapitalgesellschaft anzuerkennen, wenn sie im Vereinigten Königreich wirksam gegründet worden ist. Die Gesellschaft muss nur ihren Satzungssitz im Vereinigten Königreich haben. Der Verwaltungssitz kann dagegen im In- oder Ausland liegen. Eine englische private limited company kann ihren Verwaltungssitz daher auch von Anfang an (und ausschließlich) in Deutschland haben.

 

Rz. 42

Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union und der Wegfall der europäischen Niederlassungsfreiheit ändern daran nichts. Die englische private limited company bleibt davon unberührt. Es kommt weder zu einem Rechtsformwechsel noch zu einem Statutenwechsel. Bei der private limited company handelt es sich unverändert um eine Kapitalgesellschaft nach englischem Recht.

b) Perspektive der Bundesrepublik Deutschland

aa) Grundsatz: Sitztheorie

 

Rz. 43

In Deutschland ist das internationale Gesellschaftsrecht bis heute gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Daran dürfte sich auf absehbare Zeit nichts ändern. Der Vorschlag einer generellen Kodifizierung der Gründungstheorie hatte bislang keinen Erfolg[40] und ist (derzeit) auch nicht mehrheitsfähig.[41]

Der deutsche Gesetzgeber hat auch den Brexit nicht zum Anlass genommen, um das internationale Gesellschaftsrecht zu regeln.[42] Eine partielle Einführung der Gründungstheorie für Gesellschaften aus dem Vereinigten Königreich ist in Deutschland bewusst nicht erfolgt.[43]

 

Rz. 44

Maßgebend sind daher die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze. Der BGH geht in ständiger Rechtsprechung von der Sitztheorie aus.[44] Danach bestimmt sich das Gesellschaftsrecht nach dem Recht am tatsächlichen Verwaltungssitz der Gesellschaft. Eine Kapitalgesellschaft mit Verwaltungssitz in Deutschland ist daher rechtlich nur dann anzuerkennen, wenn die in Deutschland geltenden Gründungsvorschriften eingehalten worden sind. Auf diese Weise soll eine Umgehung der deutschen Gründungsvorschriften verhindert und der Rechtsverkehr sowie die Gläubiger geschützt werden.

 

Rz. 45

Die englischen private limited companies mit Satzungssitz im Vereinigten Königreich und Verwaltungssitz in Deutschland wurden daher jahrzehntelang nicht als Kapitalgesellschaften anerkannt. Diese Einschätzung änderte sich erst um das Jahr 2000 aufgrund der weiten Auslegung der europäischen Niederlassungsfreiheit durch den EuGH.

[40] Zu dem bislang nicht mehr weiter verfolgten Entwurf für ein Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen aus dem Jahr 2008 siehe u.a. Bollacher, RIW 2008, 200; Clausnitzer, NZG 2008, 321; Franz/Laeger, BB 2008, 678; Kußmaul/Richter/Ruiner, DB 2008, 451; Roth, in: Festschrift für Harm Peter Westermann, 2008, S. 1345 ff.; Rotheimer, NZG 2008, 181; Schneider, BB 2008, 566; Wagner/Timm, IPrax 2008, 81.
[41] Siehe dazu etwa die amtliche Gesetzesbegründung zur Aktienrechtsnovelle 2016 (BT-Drucks 18/4349, S. 15 ff. mit Hinweisen auch auf Bedenken des Bundeskriminalamts).
[42] Im Rahmen der (geplanten) Reform des deutschen Personengesellschaftsrechts (siehe BR-Drucks 59/21 vom 22.1.2021) erfolgt gleichfalls keine generelle Abkehr von der Sitztheorie, auch nicht durch § 706 BGB-E. So zuletzt Noack, M., BB 2021, 643 (645 m.w.N.).
[43] Anders dagegen in Österreich, wo der Gesetzgeber einen bis zum 31.12.2020 befristeten Bestandsschutz für Limiteds geschaffen hat. Siehe das österreichische Brexit-Begleitgesetz 2019 (BreBeG 2019) vom 25.3.2019, öBGBl I 2019, Nr. 25, Art. 14 (Bundesgesetz zur kollisionsrechtlichen Beurteilung von im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland registrierten Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Österreich). Danach galt für Gesellschaften, die im Vereinigten Königreich registriert sind, aber ihren Verwaltungssitz in Österreich haben, das Vereinigte Königreich weiter als Mitgliedstaat der Europäischen Union. Diese Regelung sollte aber nur unter der Bedingung in Kraft treten, dass der Austritt des Vereinigten Königreichs ohne ein Austrittsabkommen (nach Art. 50 Abs. 2 EUV) erfolgt. Damit ist die Regelung wohl nie in Kraft getreten. Im Übrigen war die Vorschrift zeitlich ohnehin bis zum 31.12.2020 befristet.
[44] Siehe statt vieler Kindler, in: MüKo BGB, Band 13, IPR II, 8. Aufl. 2021, IntGesR Rn 509 ff.; Thorn, in: Palandt, 80. Aufl. 2021, EGBGB Anh zu Art. 12 Rn 1 ff., jew. m.w.N. zur Rspr.

bb) Ausnahme: Europarechtliche Gründungstheorie

 

Rz. 46

Nach den Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen Centros (1999), Überseering (2002) und Inspire Art (2003) sind Gesellschaften, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union wirksam gegründet worden sind, in allen anderen Mitgliedstaaten in vollem Umfang anzuerkennen. Grundlage dafür ist die europäische Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV).[45]

 

Rz. 47

Danach war eine englische private limited company in Deutschland auch dann als Kapitalgesellschaft anzuerkennen, wenn diese im Vereinigten Königreich lediglich ihren Satzu...

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