Rz. 188

 

Beispiel

Der deutsche Erblasser hatte mit seiner damaligen französischen Braut vor der Eheschließung – noch als Student – bei einem Pariser Notar einen Ehevertrag beurkunden lassen, mit dem die Brautleute die Errungenschaftsgemeinschaft des französischen Rechts vereinbarten und dem überlebenden Ehegatten das Gesamtgut zuwachsen sollte (clause d’attribution intégrale[139]). Als der Ehemann als erfolgreicher Rechtsanwalt ein großes Vermögen hinterlässt, erklärt die Ehefrau den Kindern, dies gehöre nun fast alles ihr. Zur Teilung stände allenfalls das Biedermeier-Esszimmer an, da dies alter Besitz der Familie des Ehemannes sei.

 

Rz. 189

Die Abgrenzung zwischen Erb- und Güterstatut ist bisweilen schwierig, da beide Regelungskomplexe im Erbfall konkurrierend das Vermögen des Erblassers verteilen und dem überlebenden Ehegatten eine Vermögensbeteiligung gewähren.[140] Ist dasselbe Recht Güter- und Erbstatut, kann die Abgrenzung dahingestellt bleiben. Bisweilen kommt es jedoch zu Divergenzen:

Das Erbstatut wird an den gewöhnlichen Aufenthalt angeknüpft, für die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe aber gilt vorrangig ein gemeinsames Heimatrecht der Eheleute, es entscheidet also die Staatsangehörigkeit.
Während im Güterrecht die Umstände bei Eheschließung maßgeblich sind, entscheiden im Erbrecht die Umstände bei Tod des Ehegatten.
Die Rechtswahlmöglichkeiten sind im Güterrecht weitergehend. So kann für das Erbstatut jeder nur sein eigenes Heimatrecht wählen, im Güterrecht kann die Geltung des Heimatrechts jedes der Ehegatten vereinbart werden.
 

Rz. 190

Im Beispiel ist nach dem Ehemann aufgrund seines letzten gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland deutsches Recht Erbstatut. Je nachdem, ob die Eheschließung vor oder nach dem 9.4.1983 stattgefunden hat, wären auf die güterrechtlichen Verhältnisse aber aufgrund der Bezugnahme auf die güterrechtlichen Institute des französischen Rechts[141] gem. Art. 220 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EGBGB wegen einer "Unterstellung" unter das französische Recht bzw. gem. Art. 15 Abs. 2 Nr. 1 bzw. Nr. 2 EGBGB aufgrund konkludenter Rechtswahl französisches Recht anwendbar.

 

Rz. 191

Die Erbrechtsverordnung schließt gem. Art. 1 Abs. 2 lit. d Fragen des ehelichen Güterrechts ausdrücklich von ihrem Anwendungsbereich aus. Art. 1 Abs. 2 lit. d EheGüterVO schließt wiederum die Rechtsnachfolge nach dem Tod eines Ehegatten ausdrücklich vom Anwendungsbereich der EheGüterVO aus. Entscheidend ist damit, ob der für den Fall des Todes eines der Ehegatten vereinbarte Übergang der Gütergemeinschaft auf den Überlebenden als güterrechtlicher oder als erbrechtlicher Erwerb zu qualifizieren ist.

 

Rz. 192

Zur Abgrenzung von Erb- und Güterstatut soll folgende Faustformel gelten:

Erbrechtlich sei eine Vermögenszuweisung zu qualifizieren, wenn sie dem überlebenden Ehegatten eine Teilhabe allein aufgrund seiner Nähebeziehung zum Erblasser gewährt;
güterrechtlich, wenn sie einen Ausgleich für während der Ehe erbrachte Leistungen darstellt und darauf beruht, dass bereits während der Ehe die Vermögen der Eheleute verschmolzen sind und sie "aus einem Topfe gewirtschaftet haben".[142]

Das ist vage, lässt sich aber dahingehend konkretisieren, dass eine güterrechtliche Zuordnung regelmäßig dann vorliegt, wenn sie vom Bestehen eines bestimmten Güterstands abhängig ist, während die erbrechtlich begründete Zuweisung von Vermögen unabhängig vom Güterstand gewährt wird.[143] Von geringerer Bedeutung ist dagegen, ob die einschlägige Norm im Gesetzbuch im Erb- oder Güterrecht eingeordnet ist[144] oder ob sich die Vereinbarung in einem Erb- oder Gütervertrag befindet: Der enge sachliche Zusammenhang führt dazu, dass diese Fragen vom nationalen Gesetzgeber auf materiellrechtlicher Ebene ohne Rücksicht auf die kollisionsrechtliche Systematik behandelt werden.

 

Rz. 193

Weitere Regel ist, dass im Verfahren der Nachlassabwicklung die güterrechtliche Auseinandersetzung Vorrang vor der Nachlassverteilung hat. Nur das, was nach Auseinandersetzung des Güterstands dem Erblasser gebühren würde, gelangt in seinen Nachlass. Erst an diesem Punkt kommt das Erbstatut zum Zuge und bestimmt, wer hiervon was bzw. wieviel erhält.[145] Demnach ist auch im Beispiel zunächst die güterrechtliche Auseinandersetzung nach den einschlägigen Regeln des französischen Güterrechts zu vollziehen. Dieses gestattet für den Fall des Versterbens eines der Eheleute die Vereinbarung einer ungleichen Teilung des Gesamtguts bzw. der Zuweisung des vollen Gesamtguts an den Überlebenden (clause d’attribution intégrale, Art. 1524 c.c.).[146]

[139] Siehe dazu auch § 19 Rdn 97.
[140] Übersichten zum ausländischen Güterrecht z.B. bei Dethloff, Familienrecht, 31. Aufl. 2015, § 5 Rn 238 ff.; Henrich, FamRZ 2002, 1521; Henrich/Schwab, Eheliche Gemeinschaft, Partnerschaft und Vermögen im europäischen Vergleich, 1999.
[141] Siehe Länderübersicht Frankreich (§ 19 Rdn 97).
[142] Staudinger/Dörner, Art. 25 EGBGB Rn 32; Staudinger/Mankowski, Art. 15 EGBGB Rn 328.
[143] Staudinger/Mankowski, Art...

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