A. Allgemeines

 

Rz. 1

Da der Erblasser aufgrund seiner Testierfreiheit die Möglichkeit hat, alle seine nächsten Angehörigen zu enterben, sieht das Gesetz in den §§ 2303 ff. BGB für diesen Personenkreis ein Pflichtteilsrecht vor. Der Aufnahme eines solchen Pflichtteilsrechts lag letztlich der Gedanke zugrunde, dass dem Erblasser eine über seinen Tod hinausgehende Sorgfaltspflicht gegenüber dem genannten Personenkreis zukommt. Das Pflichtteilsrecht hat seine verfassungsrechtlichen Wurzeln in der Erbrechtsgarantie des Art. 14 GG.

 

Rz. 2

Damit der Erblasser das Pflichtteilsrecht zu Lebzeiten nicht umgehen kann, steht dem Pflichtteilsberechtigten ein sogenannter Pflichtteilsergänzungsanspruch zu, wenn der Erblasser zu Lebzeiten (regelmäßig innerhalb von zehn Jahren vor seinem Tod) Schenkungen getätigt hat.

 

Rz. 3

Einen weiteren Schutz des Pflichtteils bieten die Vorschriften der Ausgleichung nach §§ 2050, 2316 BGB, wenn Erben oder Pflichtteilsberechtigte bereits einen ausgleichspflichtigen Vorempfang erhalten haben. Für den Fall, dass der Pflichtteilsberechtigte einen zu geringen Erbteil (oder Vermächtnis) erhalten hat, gewähren ihm die Vorschriften der §§ 2305 bis 2307 BGB zusätzliche Rechte.

B. Zur Verfassungsmäßigkeit des Pflichtteilsrechts

 

Rz. 4

Mit zwei Beschlüssen vom 19.4.2005[1] hat das Bundesverfassungsgericht die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Pflichtteilsrechts für das Pflichtteilsrecht von Kindern des Erblassers bejaht.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergänzt die in Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG verfassungsrechtlich verankerte Erbrechtsgarantie die Eigentumsgarantie und bildet zusammen mit dieser die Grundlage der im GG vorgegebenen privaten Vermögensordnung. Dagegen garantiere die Erbrechtsgarantie nicht auch das Recht, den jeweiligen Eigentumsbestand von Todes wegen ungemindert auf Dritte zu übertragen. Es obliege vielmehr dem Gesetzgeber, Inhalt und Schranken des Erbrechts zu bestimmen.[2]

Auch die grundsätzlich unentziehbare und bedarfsunabhängige wirtschaftliche Mindestbeteiligung der Kinder sei als tragendes Strukturprinzip des geltenden Pflichtteilsrechts durch die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützt.[3] Das Pflichtteilsrecht habe dabei die Funktion, die Fortsetzung des ideellen und wirtschaftlichen Zusammenhangs von Vermögen und Familie – unabhängig vom konkreten Bedarf des Kindes – über den Tod des Vermögensinhabers hinaus zu ermöglichen.[4]

[1] NJW 2005, 1561 m. Anm. Lange, ZErb 2005, 205.
[2] BVerfG NJW 2005, 1561, 1562 f. m.w.N.
[3] BVerfG NJW 2005, 1561, 1563.
[4] BVerfG NJW 2005, 1561, 1564 f.

C. Der Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen

 

Rz. 5

Vor der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs ist zunächst zu prüfen, ob die jeweilige Person überhaupt zum Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen gehört. Wer pflichtteilsberechtigt ist, bestimmen § 2303 BGB und die oftmals missverstandene Vorschrift des § 2309 BGB.

 

Rz. 6

Zu den pflichtteilsberechtigten Personen gehören zunächst die Abkömmlinge des Erblassers und sein Ehegatte, und nur, wenn keine Abkömmlinge vorhanden sind, seine Eltern. Dabei steht den Eltern des Erblassers und entfernteren Abkömmlingen (Enkel) nur dann ein Pflichtteil zu, wenn nähere Abkömmlinge (Kinder) nicht mehr vorhanden sind (§§ 2303, 2309 BGB). Zu den Pflichtteilsberechtigten gehören auch das adoptierte Kind[5] und das nichteheliche Kind,[6] wenn diesem der Erbteil entzogen wurde.

 

Hinweis

Ist zum Zeitpunkt des Erbfalls die Vater-Kind-Zuordnung i.S.d. § 1592 BGB ungeklärt, so muss der Pflichtteilsberechtigte die Vaterschaft nach § 1600d BGB feststellen lassen.[7] Besteht eine Vaterschaft aufgrund der §§ 1592 Nr. 1 oder 2, 1593 BGB, so muss diese zunächst durch Vaterschaftsanfechtung beseitigt werden (§§ 1599 ff. BGB).

 

Rz. 7

Ein Pflichtteilsanspruch ist gegeben, wenn die Berechtigten nach der gesetzlichen Erbfolge Erben geworden wären, sie aber im konkreten Fall durch eine Verfügung von Todes wegen enterbt wurden. Handlungen des Berechtigten selbst, die zum Verlust des gesetzlichen Erbrechts führen, führen auch in der Regel zum Verlust des Pflichtteilsrechts (z.B. Erbverzicht, Erbausschlagung etc.).

 

Hinweis

Hat der Erblasser mehrere Abkömmlinge hinterlassen, so kann die Vaterschaft durch ein Abstammungsgutachten anhand genetischer Materialien der (Stief-)Geschwister erfolgen. Verweigern diese ihre Teilnahme, dann ist der Erblasser zu exhumieren. Das Recht des Kindes auf Feststellung geht dabei dem Recht der Totenfürsorge vor.[8]

Einen Pflichtteilsanspruch hat somit grundsätzlich nur derjenige, der enterbt ist. Hiervon gibt es jedoch auch einige Ausnahmen. Es handelt sich um die Fälle der sogenannten "taktischen Ausschlagung" (vgl. § 10 Rdn 392 ff.).

[5] BeckOK BGB/G. Müller, § 2303 Rn 20.
[6] BeckOK BGB/G. Müller, § 2303 Rn 16.
[7] Gipp, ZErb 2001, 169.
[8] Vgl. OLG München FamRZ 2001, 126.

D. Das Pflichtteilsrecht entfernter Abkömmlinge und der Eltern nach § 2309 BGB

 

Rz. 8

Entfernte Abkömmlinge (Enkel) und die Eltern des Erblassers sind nur dann pflichtteilsberechtigt, wenn sie bei Eintritt der gesetzlichen Erbfolge Erben würden. Voraussetzung ist zum einen, dass die Abkömmlinge nicht durch nähere Abkömmlinge und dass die Eltern n...

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