Rz. 1789

Das Recht der Arbeitnehmerüberlassung ist mit Ablauf der Frist (5.12.2011) zur Umsetzung der Richtlinie 2008/104/EG über Leiharbeit (Leiharbeitsrichtlinie) in wesentlichen Teilen Unionsrecht geworden.

 

Rz. 1790

Das Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (AÜG) vom 7.8.1972 war 1997 vor allem durch die Flexibilisierung der arbeitsvertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten geändert worden. Mit der Reform des Arbeitsförderungsrechts sollte durch Beseitigung von beschäftigungshemmenden Vorschriften auch die Arbeitnehmerüberlassung zur Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze beitragen (vgl. BT-Drucks 13/4941, 247). Im Vordergrund stand seitdem nicht mehr der individuelle Schutz der Leiharbeitnehmer, sondern die Entlastung der Versichertengemeinschaft (BT-Drucks 13/4941, 249). Dieser erstaunliche Wandel der gesetzgeberischen Motive für die Reglementierung der Leiharbeit wurde durch die Beseitigung des staatlichen Arbeitsvermittlungsmonopols im Jahr 1994 (Art. 1 BeschFG v. 26.7.1994) geebnet.

 

Rz. 1791

Die noch im Urteil des BVerfG (v. 4.4.1967 – 1 BvR 84/65, BVerfGE 21, 261) verankerte, vom BSG (v. 29.7.1970, AP Nr. 9 zu § 37 AVAVG) übernommene und später von der Rspr. ganz allgemeine These, das Vermittlungsmonopol der (damaligen) Bundesanstalt sei per se ein nach der Verfassung zu schützendes Gut sowie die damit verkürzte Rechtfertigung der Einschränkung der Berufsfreiheit und Berufsausübung (Art. 12 GG) im Bereich der Personalgestellung, ist entfallen. Auch Private durften seitdem mit besonderer Erlaubnis (§ 291 SGB III a.F.) Arbeitsvermittlung betreiben. Inzwischen wurde § 291 SGB III ganz aufgehoben. Inwieweit die Grenzziehung zur Vermittlung (vgl. Engelbrecht, Diss. 1980) heute verfassungsrechtlich überhaupt noch von Bedeutung sein könnte, ist nicht erkennbar. Gleichwohl enthielt das AÜG weiterhin beschränkende Vorschriften, die ursprünglich allein oder jedenfalls vorrangig mit dem Vermittlungsmonopol begründet wurden. Eine weiter gehende Bereinigung des Gesetzes erschien deshalb geboten. Diese Änderung kam mit dem Ersten Gesetz für moderne Dienstleistung am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 (BGBl I, 4607), das für die Zeitarbeit zum 1.1.2004 in Kraft gesetzt wurde. Seitdem sind das Verbot der Befristung des Leiharbeitsvertrages und dessen Synchronisierung mit dem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag sowie das Gebot der Einsatzbefristung ersatzlos weggefallen.

 

Rz. 1792

Stattdessen wurde jedoch unter dem Schlagwort "equal treatment" oder "equal pay" ein neues Problem geschaffen, das die Praxis seitdem in erheblichem Umfang beschäftigt (vgl. unten Rdn 1831 ff.).

 

Rz. 1793

Zu einer erneuten Kehrtwende sah sich der deutsche Gesetzgeber im Zuge der Umsetzung der Leiharbeits-Richtlinie (Richtlinie 2008/104/EG vom 19.11.2008, Amtsblatt L 327/9 v. 5.12.2008) gezwungen (Art. 1 Erstes ÄndG v. 28.4.2011, BGBl I, 642; AÜG/SchwarzArbG2004ÄndG v. 20.7.2011; Art. 26 G zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt v. 20.12.2011, BGBl I, 2854). Hiernach war eine Verbesserung des Mindestschutzes der Leiharbeitnehmer unter Beachtung der Gleichbehandlung mit den vergleichbaren Stammarbeitnehmern des Entleihers hinsichtlich der wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen (Erwägungen Nr. 15; Art. 3 Abs. 1f) geboten. Zugleich erweiterte die RL deren Anwendungsbereich auf öffentliche und private Leiharbeitsunternehmen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, unabhängig davon, ob sie Erwerbszwecke verfolgt Art. 1 Nr. 2. Da es nun nicht mehr auf die Gewerbsmäßigkeit ankommt, lautete ab 1.12.2011 der Titel des AÜG nur noch Gesetz zur Regelung der Arbeitnehmerüberlassung. Unbefristete Arbeitsverträge sollten die übliche Form der Beschäftigungsverhältnisse bleiben, jedoch unter Einbeziehung flexibler Arbeitsformen (Art. 2) ohne Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten und befristet beschäftigten Arbeitnehmern (Art. 3 Abs. 2). In gewissem Umfang durften die Sozialpartner Abweichungen vom Grundsatz der Gleichbehandlung, insb. in Bezug auf das Arbeitsentgelt vorsehen (Art. 5). Zu allen Punkten wurde kritisiert, dass der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der Leiharbeitsrichtlinie zu kurz gegriffen hat (Düwell, dbr 2011, 10; Rieble/Vielmeier, EuZa 2001, 474).

Im Koalitionsvertrag zur 18. Legislaturperiode hatte die Regierungskoalition im Jahr 2013 daher vereinbart, die Arbeitnehmerüberlassung auf ihre Kernfunktion als Instrument zur flexiblen Beschäftigungsgestaltung hin zu orientieren und den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen zu verhindern (Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD zur 18. Legislaturperiode, S. 50). Das Recht der Arbeitnehmerüberlassung wurde dann mit dem Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze mit Inkrafttreten zum 1.4.2017 (erneut) grundlegend geändert, wie zum Beispiel durch die (Wieder-) Einführung einer Überlassungshöchstdauer (§ 1 Abs. 1b AÜG), durch ein gesetzliches Verbot des Kettenverleihs (§ 1 Abs. 1 S. 3 AÜG) oder durch zwingend...

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