1. Allgemeines

 

Rz. 11

Zur Bemessung einer Invaliditätsleistung hat es in jüngster Zeit verschiedene Urteile gegeben, die zu kontroversen Diskussionen und weiteren Entscheidungen anderer Gerichte geführt haben, die es allesamt nicht vermochten, einige offene Streitpunkte abschließend zu klären. Dies hat unterschiedliche Gründe, angefangen bei unterschiedlichen Bedingungswerken und der Frage der Auswirkungen der VVG-Reform auf sog. Altfälle, bis hin zur Situation der Gerichte, die einen Einzelfall entscheiden müssen und sich mit anderen, vielleicht auch damit verbundenen Fragestellungen nicht zu befassen brauchen.

Begonnen hat die Verunsicherung in Rechtsprechung und Praxis mit der Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 6.8.2013,[3] einem Schadenfall nach altem VVG. Die zweitinstanzliche Begutachtung fand nach Ablauf der sog. Dreijahresfrist statt. Streitig war, welche medizinischen Aspekte bei der Entscheidung berücksichtigt werden dürfen, also der Zeitpunkt der medizinischen Tatsachenfeststellung. Das OLG hat auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abgestellt und berief sich dazu auf einen Beitrag der BGH-Richterin Brockmöller,[4] in dem erklärt wurde, dass die Frist zur Neubemessung (drei Jahre) nicht als Frist für die Erstbemessung heranziehbar sei und dies auch die Linie des BGH sei.

Diese Entscheidung des OLG Düsseldorf war heftig umstritten und führte im Ergebnis zu Diskussionen darum, wie der BGH zu verstehen sei. Seitdem hat der BGH sich dreimal zum Thema des maßgeblichen Bewertungszeitpunkts geäußert. Alle drei Entscheidungen führten zur Rückverweisung an das jeweilige Berufungsgericht. Auch andere Aspekte der Invaliditätsleistung wurden aufgegriffen und so erscheint es sinnvoll, diese drei umstrittenen Entscheidungen im Folgenden vorzustellen. Es geht um die BGH-Entscheidungen vom 1.4.2015,[5] 18.11.2015[6] und 19.10.2016.[7]

[3] OLG Düsseldorf v. 6.8.2013 – I-4 U221/11, VersR 2013, 1573 mit Anm. Naumann/Brinkmann.
[4] Brockmöller, r+s 2012, 313.
[5] BGH v. 1.4.2015 – IV ZR 104/13, zfs 2015, 450 = VersR 2015, 617 = r+s 2015, 250 = BeckRS 2015, 07080 = NJW-RR 2015, 1442 = MDR 2015, 708 = VuR 2015, 278.
[6] BGH v. 18.11.2015 – IV ZR 124/15, zfs 2015, 456 = VersR 2016, 183 = r+s 2016, 92 = BGHZ 208, 9 = BeckRS 2015, 20787 = MDR 2016, 211 = VuR 2016 = 119 = NJOZ 2016, 1097.
[7] BGH v. 19.10.2016 – IV ZR 521/14, zfs 2017, 43 = VersR 2016, 1492 = r+s 2016, 630 = BeckRS 2016, 18948 = NJW 2017, 263.

2. Drei BGH-Urteile und ihre Kernaussagen

 

Rz. 12

Der BGH hat mit Urt. v. 1.4.2015 den Fall an das Berufungsgericht zurückverwiesen und hat entschieden, dass bei einer Beeinträchtigung der Schulter die Invaliditätsleistung nicht nach der Gliedertaxe und dem Wert "Arm" (Bedingungsgenerationen AUB 99 ff.) zu berechnen sei, sondern in einem solchen Fall nach der Bewertung außerhalb der Gliedertaxe. Maßgeblich für die Beurteilung sei der Sitz der (primären) Verletzung.

Für die fristgebundene ärztliche Feststellung reiche es aus, dass ein Attest des Arztes

Zitat

"die Schädigung sowie den Bereich, auf den sich diese auswirkt, ferner die Ursachen, auf denen der Dauerschaden beruht, so umreiß[t], dass der Versicherer bei seiner Leistungsprüfung vor der späteren Geltendmachung völlig anderer Gebrechen oder Invaliditätsursachen geschützt wird und stattdessen den medizinischen Bereich erkennen kann, auf den sich die Prüfung seiner Leistungspflicht erstrecken muss."

Als Anleitung für das Berufungsgericht gab der BGH die Maßgabe heraus, dass alle Gesundheitstatsachen zu berücksichtigen seien, die bis zur letzten mündlichen Verhandlung eingetreten sind.

Bei dem im Schadenfall heranzuziehenden Gliedertaxewert sei nicht auf den der gesamten Extremität, sondern nur auf den Wert abzustellen, der tatsächlich betroffen ist.

 

Rz. 13

Die Entscheidung vom 18.11.2015 befasst sich mit der Frage des Zeitpunkts, für die Erstbemessung der Invalidität. Der BGH sieht dafür den vertraglich vereinbarten Zeitpunkt des Invaliditätseintritts für Grund und Höhe des Invaliditätsanspruchs vor. Von diesem Zeitpunkt aus hat die Prognose der Dauerschädigung zu erfolgen. Für diese Prognose wiederum ist es aber erlaubt, alle Tatsachen heranzuziehen, die bis zur letzten mündlichen Verhandlung offenbar werden, wobei unvorhersehbare gesundheitliche Entwicklungen nicht berücksichtigt werden sollen.

Wird vor Ablauf der Neubemessungsfrist (drei Jahre) Klage erhoben, dann sei hingegen auf den Zeitpunkt drei Jahre nach dem Unfall abzustellen, da mit der Klage zum Ausdruck gebracht werde, dass man eine Invaliditätsleistung insgesamt verlange, also auch inklusive der Bewertung ­einer möglichen Neubemessung.

Für die im konkreten Fall vereinbarte Progressionsstaffel, die auf einer Tabelle basiert, sei der Invaliditätsgrad kaufmännisch zu runden.

 

Rz. 14

Am 19.10.2016 endschied der BGH über die adäquate Kausalität im Unfallbegriff sowie zur Frage der Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen. Dabei bestätigte der BGH seine frühere Rechtsprechung zur Adäquanztheorie, wonach

Zitat

"ein Ereignis im Allgemeinen und nicht nur unter besonde...

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