Rz. 104

Nach § 824 BGB hat derjenige, der eine unwahre Tatsache behauptet oder verbreitet, die geeignet ist, den Kredit eines anderen zu gefährden oder sonstige Nachteile für dessen Erwerb oder Fortkommen herbeizuführen, dem anderen den daraus entstehenden Schaden auch dann zu ersetzen, wenn er die Unwahrheit zwar nicht kennt, aber kennen muss (Abs. 1); eine Mitteilung, deren Unwahrheit dem Mitteilenden unbekannt ist, verpflichtet diesen nicht zum Schadensersatz, wenn er oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse hat (Abs. 2).

I. Geschütztes Rechtsgut

 

Rz. 105

Die Bestimmung soll die wirtschaftliche Wertschätzung ("Geschäftsehre") von Personen und Unternehmen schützen.[410] Die behauptete oder verbreitete Tatsache muss sich nach dem Verständnis des Verkehrs mit dem Betroffenen befassen oder zumindest in enger Beziehung zu seinen Verhältnissen, seiner Betätigung oder seiner gewerblichen Leistung stehen.[411] Neben einem Schadensersatzanspruch aus § 824 BGB kommen ein deliktischer Ehrenschutz nach § 823 Abs. 1 BGB (vgl. Rdn 7 ff.) oder § 823 Abs. 2 BGB (vgl. Rdn 88 ff.) und Abwehransprüche entsprechend § 1004 BGB – i.V.m. §§ 823, 824 BGB – in Betracht[412] (vgl. Rdn 62 ff.). Die Schutzbereiche des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 185 ff. StGB einerseits und des § 824 BGB andererseits ergänzen sich; diese Bestimmung ist insoweit keine vorrangige Sondervorschrift.[413]

[410] BGH, NJW 1978, 2151, 2152; BGHZ 90, 113, 119 = NJW 1984, 1607.
[411] BGH, NJW 1963, 1871, 1872.
[412] BGHZ 42, 210, 220 = NJW 1965, 29.
[413] BGH, NJW 1983, 1183.

II. Verletzung

 

Rz. 106

Tathandlung ist die Behauptung oder Verbreitung unwahrer – nicht unbedingt ehrkränkender[414] – Tatsachen, die der Geschäftsehre abträglich sein können. Wesentlich für die Einstufung als Tatsachenbehauptung ist es, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist.[415] Werturteile sind keine beweisbaren Tatsachen;[416] allerdings kann eine als Meinungsäußerung dargestellte Erklärung – etwa eine "Verdachtsäußerung" – eine versteckte Tatsachenbehauptung sein (vgl. Rdn 69).[417] Bei Äußerungen, die sowohl Tatsachenbehauptungen als auch Meinungsäußerungen oder Werturteile enthalten, kommt es auf den Kern oder die Prägung der Aussage an, insb. ob die Äußerung insgesamt durch ein Werturteil geprägt ist und ihr Tatsachengehalt ggü. der subjektiven Wertung in den Hintergrund tritt oder aber ob überwiegend, wenn auch vermischt mit Wertungen, über tatsächliche Vorgänge oder Zustände berichtet wird.[418]

[414] BGH, NJW 1963, 1871, 1872.
[416] BGHZ 45, 296, 302 ff. = NJW 1966, 1617.
[417] BGH, NJW 1978, 2151 f.; OLG Frankfurt, NJW 1996, 1146.
[418] BVerfGE 61, 1, 8 f.; BVerfGE 85, 1, 15; BGH, 29.1.2002 – VI ZR 20/01, WM 2002, 937, 938; BGH, 24.1.2006 – XI ZR 384/03, BGHZ 166, 84, Tz. 63 = NJW 2006, 830.

III. Verschulden

 

Rz. 107

Für das Verschulden reicht es aus, dass der Täter die Unwahrheit der Tatsache fahrlässig nicht kennt. Bei der Veröffentlichung von Mitteilungen, die – wie etwa Preisvergleiche – einschneidende Folgen für die Betroffenen haben können, sind hohe Anforderungen an die Sorgfaltspflicht zu stellen.[419]

[419] BGH, NJW 1986, 981.

IV. Schutzbereich

 

Rz. 108

Die weite Fassung des § 824 BGB erfordert mit Rücksicht auf die Entstehungsgeschichte und Stellung dieser Vorschrift innerhalb des Deliktsrechts eine Begrenzung ihres Schutzbereichs. Sie schützt die Geschäftsehre des Betroffenen gegen die – gerade gegen seine Erwerbstätigkeit gerichtete – Behauptung oder Verbreitung unwahrer Tatsachen nur insoweit, als diese die geschäftlichen Entschließungen gegenwärtiger und künftiger Geschäftspartner unmittelbar beeinflussen können.[420] "Außergeschäftliche" Störungen durch Personen, die nicht als Geschäftspartner, sondern als "Außenstehende" den Kredit gefährden und Erwerb oder Fortkommen beeinträchtigen können (Aufrufe zu Streiks, zu Blockaden oder zu Maßnahmen Dritter), werden vom Schutzbereich des § 824 BGB grds. nicht umfasst; allerdings können solche Vorgänge den durch § 823 Abs. 1 BGB geschützten Gewerbebetrieb beeinträchtigen (vgl. Rdn 7).[421]

[420] BGH, NJW 1978, 2151, 2152; BGHZ 90, 113, 119 ff. = NJW 1984, 1607; BGH, DB 1989, 921.
[421] BGHZ 90, 113, 120 ff. = NJW 1984, 1607; BGH, WM 1998, 2534, 2536; vgl. BGHZ 166, 84, Tz. 95 = NJW 2006, 830.

V. Berechtigtes Interesse

 

Rz. 109

Die Mitteilung einer unwahren Tatsache, deren Unrichtigkeit der Mitteilende nicht kennt, verpflichtet selbst bei fahrlässiger Unkenntnis nicht zum Schadensersatz, wenn der Mitteilende oder der Empfänger an der Mitteilung ein berechtigtes Interesse hat (§ 824 Abs. 2 BGB). Diese Vorschrift ist besonders für Medien, Auskunfteien und Warentestinstitute[422] bedeutsam. Die Annahme eines rechtfertigenden Interesses i.S.d. Bestimmung setzt i.d.R. eine Abwägung der schutzwürdigen wirtschaftlichen Belange...

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