Rz. 128

Das Schleudertrauma, welches auch Beschleunigungstrauma der Halswirbelsäule genannt wird, ist sicherlich die umstrittenste Verletzung bei Verkehrsunfällen überhaupt. In der Medizin ist das HWS-Syndrom ein Sammelbegriff für Beschwerden, welche von der Halswirbelsäule ausgehen. Es wird auch als Zervikalsyndrom oder Halswirbelsäulensyndrom oder auch Tension-Neck-Syndrom bezeichnet. Zum besseren Verständnis muss man wissen, dass die Halswirbelsäule zwischen Kopf und Thorax ein relativ schwaches Bindeglied darstellt, welches nach allen Seiten frei beweglich ist. Kommt es nun zu Stauchungen oder Verbiegungen dieser Halswirbelsäule, können die bekannten Beschwerden wie Schwindel, Kopfschmerzen, Nackenschmerzen, etc. auftreten. Derartige Verletzungen entstehen bekanntermaßen häufig durch Auffahrunfälle, da es hier zu einem Heckaufprall kommt, bei dem der Kopf zuerst nach hinten pendelt und dann nach vorne. Denkbar ist auch der Frontaufprall mit entgegengesetzter Pendelbewegung.

 

Rz. 129

Das größte Problem an der HWS-Distorsion, zu der es geschätzt mehrere 100 Publikationen gibt und so ziemlich jeder Mediziner, Versicherungsexperte oder Anwalt schon etwas darüber geschrieben hat, ist, dass es bis auf wenige Ausnahmefälle keine allgemein anerkannten medizinischen Methoden gibt, diese Beschwerden und Schädigungen definitiv nachzuweisen. An dieser Stelle soll nicht auf die aufwendigen Untersuchungsmethoden verschiedenster medizinischer Fachgebiete eingegangen werden (z.B. Bewegungs-MRT), die kostenintensiv sind und nicht von der gesetzlichen Sozialversicherung bezahlt werden. Es stehen Erkenntnismethoden zur Verfügung, die teilweise im Ausschlussverfahren in Verbindung mit bildgebenden Verfahren das Vorliegen eines HWS-Traumas bestätigen können. Allein der Kostenaspekt steht einer Verifizierung in weniger gravierenden Fällen entgegen. Dies räumt sowohl dem Geschädigten die Möglichkeit ein, Beschwerden zu behaupten, obwohl diese tatsächlich nicht vorliegen, als auch auf Seiten der Versicherer die Möglichkeit, derartige Beschwerden zurückzuweisen. Sowohl der Geschädigte als auch der Versicherer können für ihre Aussagen nicht belangt werden, da die Aussagen medizinisch nicht überprüft werden können.

 

Rz. 130

HWS-Schleudertraumata können kompliziert werden, wenn die Situation eintritt, dass es sich um schräge Kollisionsbilder handelt, so dass sowohl das Fahrzeug als auch die Insassen in Rotation versetzt wurden und entsprechend beim Aufprall und am Ende der Bewegungen Rotationskräfte auf den Kopf und die Halswirbel wirkten. In diesem Fall ist von großer Bedeutung, dass eine exakte Beschreibung der Kollision, aber auch der Sitzposition der Insassen vorliegt. Die Blickrichtung im Moment des Aufpralls ist ebenso von Bedeutung wie Fotos vom Unfallort und vom Pkw, damit Rückschlüsse auf evtl. Rotationskräfte gezogen werden, die auf den Körper des Mandanten wirkten. Gerade am Anfang sind ordnungsgemäße Aufnahmen und Befunde der Klinik bzw. der Ambulanz notwendig. Oftmals werden solche Verletzungen bagatellisiert und entsprechend nicht dokumentiert. Hierauf ist gleich am Anfang, wenn der Anwalt über den Kontakt verfügt, zu achten. Ebenfalls wichtig ist eine Röntgenuntersuchung direkt nach dem Unfall. Diese Röntgenbilder sind dann auch frühzeitig zu archivieren. Sie sind nämlich der einzige aussagefähige Primärbefund, der dann nicht mehr subjektiv interpretiert werden kann. Oftmals wird bei diesen Röntgenbildern auch nicht darauf geachtet, ob z.B. eine Subluxation der Kopfgelenke vorlag oder nicht.

 

Rz. 131

Man unterteilt die HWS-Distorsion in verschiedene Grade. Grad 1 sind leichte Beschleunigungsverletzungen. In 95 % der Fälle klingen diese innerhalb weniger Wochen oder eines Monats ab. Bei Grad 2 liegen schon Muskelzerrungen oder starke Überdehnungen des HWS-Bandapparates vor. Die Beschwerden können hier über Wochen oder Monate anhalten. Es empfiehlt sich in diesem Fall auch die frühzeitige Konsultation eines Facharztes. Der 3. Grad sind dagegen schwere Beschleunigungsverletzungen, wo Luxationen oder auch Rückenmarksschäden vorkommen und die zu neurologischen Reiz- und Ausfallerscheinungen sowie bis zur Instabilität der Wirbelsäule führen. Hier können die Beschwerden länger als ein Jahr dauern und dauerhaft verbleiben.

 

Rz. 132

Das Problem ist der Mangel der Nachweisbarkeit dieses Schadens auf Kosten der gesetzlichen Sozialversicherung und dies führt dazu, dass eine geringe Anzahl der HWS-Verletzten auch in schwierigen Fällen mit an sich nachweisbaren Schäden oftmals als Simulanten abgetan werden. Diese Problematik ist sicherlich auch dadurch entstanden, dass es viele leichtverletzte HWS-Geschädigte gibt, die in Kenntnis der Nachweisproblematik versuchen, die Beschwerden in die Länge zu ziehen, um so höhere Schmerzensgeldzahlungen zu erreichen. Leider dient hierzu auch das Internet, in dem mitunter pauschal Aussagen anzutreffen sind, dass die Oberlandesgerichte pro Woche Krankschreibung 250 EUR bis 300 EUR Schmerzensgeld ausurt...

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