Rz. 91

Vielfach wird von Rechtsanwälten im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses zusätzlich der Weiterbeschäftigungsanspruch geltend gemacht.

Der gekündigte Arbeitnehmer hat, sofern der Betriebsrat einer Kündigung widersprochen hat und Kündigungsschutzklage eingereicht worden ist, einen betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG.

 

Rz. 92

Hiervon zu unterscheiden ist der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch. Der Arbeitnehmer hat zunächst einen arbeitsrechtlichen Anspruch auf Weiterbeschäftigung bis zum Ende der Kündigungsfrist, aber auch über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses.[48] Voraussetzung für diesen Weiterbeschäftigungsanspruch ist, dass die Kündigung unwirksam ist und ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an einer Weiterbeschäftigung nicht entgegensteht. Im Regelfall wird nach Ablauf der Kündigungsfrist das Interesse des Arbeitgebers überwiegen.

 

Rz. 93

Der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch besteht über die Kündigungsfrist hinaus, da hier das Interesse des Arbeitnehmers gegenüber dem des Arbeitgebers überwiegt

bei einer offensichtlich unwirksamen Kündigung, z.B. bei einem Verstoß gegen das Kündigungsverbot nach § 39 Mutterschutzgesetz, oder
nach einem obsiegenden Urteil zugunsten des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess.
 

Rz. 94

Auf Grund des Urteils des Großen Senates des Bundesarbeitsgerichts[49] verbinden viele Rechtsanwälte den Kündigungsschutzantrag mit dem Weiterbeschäftigungsantrag. Der Rechtsschutz hierfür wird von den Rechtsschutzversicherern vielfach verweigert, weil diese davon ausgehen, dass

keine Erfolgsaussichten für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen im Hinblick auf diesen Antrag nach § 18 Abs. 1 ARB 2010 bestehen.[50] Es besteht grundsätzlich die Möglichkeit, dass der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer nicht weiterbeschäftigt, auch wenn dieser obsiegt.[51] Dies dürfte letztlich ausreichend sein, die Erfolgsaussichten zu bejahen. Für den Fall, dass eine derartige Besorgnis nicht besteht oder nicht erkennbar ist, wird die Erfolglosigkeit von verschiedenen Gerichten bejaht, da dann der Antrag unzulässig sei;[52]
der Versicherungsnehmer durch die Stellung des Weiterbeschäftigungsantrages seine Obliegenheiten (Schadenminderungsobliegenheit) nach Eintritt des Rechtsschutzfalles im Sinne des § 17 Abs. 5c ARB 2010 verletzt. Da die Einreichung der Kündigungsschutzklage fristgebunden und die Klagefrist mit drei Wochen recht kurz bemessen ist, kann, was auch für die Frage der rechtsschutzmäßigen Deckung unschädlich ist, die Kündigungsschutzklage ohne vorherige Zustimmung des Rechtsschutzversicherers eingereicht werden. Das Abwarten kann für den Versicherungsnehmer erhebliche Folgen haben, wenn die Frist wegen einer verspäteten Zusage des Rechtsschutzversicherers nicht fristgerecht eingereicht wird. Anders sieht es der Rechtsschutzversicherer in vielen Fällen, wenn gleichzeitig ein Weiterbeschäftigungsantrag eingereicht wird. Hier wird § 17 Abs. 5c ARB 2010 mit seinen drei Varianten ins Feld geführt, um eine Obliegenheitspflichtverletzung des Versicherungsnehmers zu begründen, und somit die dahinter stehende Leistungsfreiheit des Versicherers für diesen Antrag. Die Rechtsprechung ist in der Frage des Vorliegens einer Obliegenheitspflichtverletzung nicht einheitlich.[53] Vielfach verlangen die Rechtsschutzversicherer, dass der Weiterbeschäftigungsantrag erst nach dem Gütetermin gestellt werden soll. Dies letztlich deshalb, weil in dieser Zeitspanne der weitaus größte Teil der Kündigungsschutzklagen durch Vergleich erledigt wird und sich somit zusätzliche Anträge erübrigen. Um unnötige Streitigkeiten zu verhindern sollte regelmäßig so vorgegangen werden. Für den Versicherungsnehmer ergeben sich dadurch keine finanziellen oder rechtlichen Probleme.
 

Rz. 95

Entscheidend für die Frage einer Obliegenheitspflichtverletzung ist die Frage nach dem Schaden, den der Rechtsschutzversicherer dadurch erleidet, dass er den Weiterbeschäftigungsantrag nicht verhindern konnte. Dies sind letztlich die möglichen Mehrkosten, die neben den Kosten der Kündigungsklage anfallen. Auch die Frage der mangelnden Erfolgsaussichten reduziert sich letztlich auf die Mehrkostenfrage.

 

Rz. 96

Die oben zitierte Rechtsprechung, die die Obliegenheitspflichtverletzung bejaht, geht letztlich von einer Erhöhung der Mehrkosten aus. Neuerdings steht aber gerade diese Frage auf dem Prüfstand.[54] Nach dieser Auffassung kann der Weiterbeschäftigungsantrag als unechter Hilfsantrag kostenneutral gestellt werden.[55] Unter Anwendung dieser Rechtsprechung stellt sich die Frage der Obliegenheitspflichtverletzung nicht. Rechtsschutz ist zumindest für den unechten Hilfsantrag zuzusagen.

 

Hinweis

Leistungsfrei wird der Versicherer bei einer Obliegenheitsverletzung nur dann, wenn Sie vorsätzlich begangen worden ist. Liegt nur grobe Fahrlässigkeit vor, so kann der Versicherer seine Leistung im Verhältnis zur Schwere der Verle...

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