Rz. 214

Nach Nr. 1010 VV kann der Anwalt im Falle einer besonders umfangreichen Beweisaufnahme eine Zusatzgebühr verdienen. Voraussetzungen dieser Gebühr sind

eine besonders umfangreiche Beweisaufnahme

und

mindestens drei gerichtliche Termine, in denen Sachverständige oder Zeugen vernommen werden.

Beide Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein.

 

Rz. 215

Die Zusatzgebühr entsteht neben den anderen Gebühren (Verfahrens-, Termins- und gegebenenfalls Einigungsgebühr) gesondert.

 

Rz. 216

Zunächst einmal ist Voraussetzung, dass eine "besonders umfangreiche Beweisaufnahme" stattgefunden hat. Eine umfangreiche Beweisaufnahme genügt nicht. Sie muss besonders umfangreich sein. Klargestellt ist jedenfalls durch das Tatbestandsmerkmal der "besonders umfangreichen Beweisaufnahme", dass drei gerichtliche Termine zur Vernehmung von Sachverständigen oder Zeugen für sich allein nicht ausreichen.

 

Beispiel 138: Fehlender besonderer Umfang

In Rechtsstreit (Wert: 200.000,00 EUR) kommt es zu drei Beweisterminen, in denen jeweils ein Zeuge für jeweils zehn Minuten vernommen wird.

Von einem besonderen Umfang der Beweisaufnahme kann nicht ausgegangen werden. Eine Zusatzgebühr entsteht nicht. Es bleibt bei Verfahrens- und Terminsgebühr.

 
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV   2.884,70 EUR
  (Wert: 200.000,00 EUR)    
2. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV   2.662,80 EUR
  (Wert: 200.000,00 EUR)    
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 5.567,50 EUR  
4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   1.057,83 EUR
Gesamt   6.625,33 EUR
 

Rz. 217

Andererseits fordert der Wortlaut nicht, dass sich der besondere Umfang gerade aus der Vernehmung von Sachverständigen oder Zeugen ergeben muss. Es genügt, dass die Beweisaufnahme insgesamt besonders umfangreich war.

 

Beispiel 139: Besonderer Umfang aus anderen Gründen

Wie vorangegangenes Beispiel 138. Vor der Vernehmung der Zeugen war es zu zahlreichen und umfangreichen Sachverständigenterminen und mehreren Gutachten gekommen.

Jetzt kann ein besonderer Umfang bei der Beweisaufnahme vorliegen, sodass durch die drei Zeugenvernehmungstermine die Zusatzgebühr ausgelöst wird.

 

Rz. 218

Hinzukommen muss, dass mindestens drei gerichtliche Termine zur Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen stattgefunden haben. Es ist allerdings nicht erforderlich, dass der Anwalt an den Terminen auch teilgenommen hat. Es handelt sich nicht um eine zusätzliche Terminsgebühr, die für die Terminsteilnahme gewährt wird, wie z.B. Nr. 4102 VV, sondern um eine Zusatzgebühr, die den Mehraufwand der besonders umfangreichen Beweisaufnahme abdecken soll.

 

Beispiel 140: Zusätzliche Gebühr auch ohne Teilnahme am Termin

In einem Rechtsstreit (Streitwert: 200.000,00 EUR) hatte der Anwalt bereits an zwei Terminen zur Vernehmung von Zeugen teilgenommen. Es wird sodann ein weiterer Zeuge vor einem auswärtigen Gericht im Wege der Rechtshilfe vernommen. Daran nimmt der Anwalt nicht teil.

Das Erfordernis der drei Termine ist erfüllt. Dass der Anwalt nicht an allen drei Terminen teilgenommen hat, ist unerheblich, zumal er sich mit der Beweiswürdigung des Termins befassen muss und eine solche Beweiswürdigung erfahrungsgemäß schwieriger und aufwändiger ist, wenn man an dem Termin nicht teilgenommen hat.

 

Rz. 219

Die Termine müssen in derselben Angelegenheit i.S.d. § 15 RVG stattgefunden haben, also in demselben Rechtszug. Zu beachten ist, dass das selbstständige Beweisverfahren und das Hauptsacheverfahren oder ein Verfahren vor und nach Zurückverweisung jeweils gesonderte Angelegenheiten darstellen, sodass jeweils gesondert gezählt werden muss. Die Anrechnung der Verfahrensgebühr in diesen Fällen ist unerheblich (Vorbem. 3 Abs. 5 VV).

 

Rz. 220

Termine zur Vernehmung eines Zeugen müssen solche nach den §§ 394 ff. ZPO oder nach vergleichbaren Vorschriften anderer Verfahrensordnungen sein. Schriftliche Zeugenaussagen zählen nicht hierzu. Unerheblich ist, ob der Zeuge vor dem erkennenden Gericht, dem beauftragten oder ersuchten Richter vernommen worden ist.

 

Rz. 221

Erforderlich ist eine Vernehmung des Zeugen. Dazu reicht bereits die Vernehmung zur Person, auch wenn er sich zur Sache auf ein Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht beruft. Dagegen reicht es nicht aus, wenn der geladene Zeuge erschienen ist, es aber nicht mehr zur Vernehmung kommt, etwa weil sich die Parteien doch noch zuvor einigen, die Beweisfrage unstreitig wird, der Beweisführer auf den Zeugen verzichtet oder der Zeuge ohnehin nur vorbereitend geladen war und letztlich doch nicht benötigt wird. Unerheblich ist, wie viele Zeugen vernommen werden.

 

Rz. 222

Termine zur Vernehmung eines Sachverständigen müssen solche nach § 411 Abs. 3 ZPO oder nach vergleichbaren Vorschriften anderer Verfahrensordnungen sein. Schriftliche Gutachten zählen nicht hierzu, ebenso wenig Termine, die von einem gerichtlichen Sachverständigen anberaumt worden sind, da es sich insoweit nicht um gerichtliche Termine handelt. Das ergibt sich eindeutig aus der Unterscheidung in Vorbem. 3 Abs. 3 S. 1 u. S. 3 Nr. ...

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