Rz. 125

Ziff. 4.4.3 durchbricht das Grundprinzip, dass nachbesserungsbedingte Austauschkosten nicht versicherbar sind, so wie es sich aus den AHB grundsätzlich ergibt, und schränkt damit auch den Ausschluss nach Ziff. 6.1.1 ein. Über Ziff. 4.4.3 wird die Aus- und Einbaukostendeckung – und dies, obwohl nach Auffassung der Versicherungswirtschaft ein ganz erhebliches Risikopotential abgesichert wird[229] – auf Nebenansprüche der Nacherfüllung erstreckt. Es geht also mit anderen Worten nicht um gesetzliche Schadensersatzansprüche Dritter, sondern einzig und alleine darum, Nacherfüllungsansprüche abzusichern.[230] Zwar sind Aus- und Einbaukosten Gegenstand von Schadensersatzansprüchen, wenn denn der Abnehmer des Versicherungsnehmers dessen Erzeugnis in ein Gesamtprodukt einfügt, dieses an einen Dritten veräußert und der Dritte vom Abnehmer Aus- und Einbaukosten verlangt (sog. zweite Warenabsatzstufe). Macht der Abnehmer den Schaden aus der Inanspruchnahme wegen Austauschkosten beim Versicherungsnehmer geltend, handelt es sich um Schadensersatzansprüche, so dass ohnehin Deckungsschutz nach Ziff. 4.4.1 bzw. 4.4.2 besteht. Anders – so wird hervorgehoben – ist dies in der sog. ersten Warenabsatz- oder -verarbeitungsstufe, wenn also der Versicherungsnehmer das Erzeugnis an einen Abnehmer liefert, der dieses in ein Gesamtprodukt einbaut und dann – im Anschluss daran – Ersatz der Austauschkosten ­begehrt. Im Wesentlichen geht es hier um Nebenansprüche der Nacherfüllung.[231]

Nach neuem Schuldrecht ist neben § 280 BGB die Regelung des § 439 Abs. 2 BGB entscheidend. Danach hat der Verkäufer – und zwar verschuldensunabhängig – die zur Nacherfüllung erforderlichen Aufwendungen, insbesondere Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten zu tragen (vgl. § 437 i.V.m. § 439 BGB). Im Unterschied zu § 476a BGB a.F. sind jetzt auch die Kosten zum Zwecke der Neu- oder Ersatzlieferung einer mangelfreien Sache zu ersetzen.[232]

 

Rz. 126

Bis 2011 haben sich einige (Unter-)Gerichte mit der sich aus § 439 Abs. 2 BGB ergebenden Thematik beschäftigt. So hat das Amtsgericht Menden[233] im Rahmen des § 439 Abs. 3 BGB entschieden, dass ein Möbel-Abholmarkt verpflichtet ist, die Nacherfüllung im Sinne von § 439 BGB am momentanen Belegenheitsort der Kaufsache beim Kunden auf eigene Kosten – bis zur Grenze der etwa bei 100 % des Kaufpreises anzusetzenden Unverhältnismäßigkeit des Aufwands – durchzuführen. Schon sechs Monate später lag die erste Entscheidung eines Oberlandesgerichts vor, nämlich die des Oberlandesgerichts Karlsruhe.[234]

Der Entscheidung des OLG Karlsruhe lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger hatte in einem Baumarkt der Beklagten in W Bodenfliesen "erster Wahl" gekauft. Die Fliesen verlegte er dann in seinem Wohnhaus in Hamm. Später platzte die Oberschicht schon bei kleinsten Beanspruchungen. Das Gericht stellte fest, dass die Voraussetzungen für den geltend gemachten Nacherfüllungsanspruch nach den §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB nach den Feststellungen des Sachverständigen gegeben waren. Der Käufer könne nach § 439 Abs. 1 BGB – wie im Berufungsverfahren schließlich vorgetragen – Nacherfüllung in Form der Beseitigung des Mangels verlangen. Der beklagte Baumarkt konnte sich nicht mit Erfolg auf den Einwand der Unverhältnismäßigkeit nach § 439 Abs. 3 BGB berufen. Zu den Aufwendungen nach § 439 Abs. 2 BGB – so das OLG Karlsruhe – gehören auch die Kosten, die nur deshalb anfallen, weil der Käufer Veränderungen der Kaufsache, die im Zusammenhang mit deren vertragsgemäßen Verwendung stehen, vorgenommen hat. Zu solchen Veränderungen zählen beim Verkauf von Bodenfliesen – und dies sei ausdrücklich bemerkt: Die Bodenfliesen waren zum Verlegen im Wohnbereich verkauft worden – auch die den Kaufpreis ggf. um ein Vielfaches übersteigenden Aus- und Einbaukosten, die mit der Nacherfüllung an den Bodenfliesen entstehen. Durch die Nacherfüllung soll der Käufer eben in die Lage versetzt werden, so das OLG Karlsruhe, mit der Sache so zu verfahren, als wäre diese mangelfrei gewesen. Damit ist der Zustand geschuldet, in dem sich die Kaufsache befände, wenn sie mangelfrei gewesen wäre. Somit zählte das OLG Karlsruhe zu den nach § 439 Abs. 2 BGB zu ersetzenden Kosten auch die Aus- und Einbaukosten für die Fliesen.[235]

 

Rz. 127

Wie schon zuvor andere Gerichte[236] festgestellt hatten, kann sich die Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllungskosten nach § 439 Abs. 3 BGB – so das OLG Karlsruhe – nur aus dem Vergleich mit dem Wert der vertraglich geschuldeten Sache für den Käufer ergeben und nicht aus dem Verhältnis der Nacherfüllungskosten zum Kaufpreis. Dabei hat das Gericht durchaus erkannt, dass der Umfang der hier zu ersetzenden Kosten schon in die Nähe der Verschuldenshaftung rückt. Es hat nämlich ausgeführt, dass im Übrigen hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit auch zu beachten wäre, dass die Beklagte letztlich auch der Verschuldenshaftung nach § 437 Nr. 3 BGB ausgesetzt sei. Die Besonderheit sei eben nur, dass die Beklagte als Zwischenhändlerin rege...

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