Rz. 142

Jede erbrechtliche Gestaltung lebt vom Sachverhalt. Jede erbrechtliche Gestaltung lebt auf der einer Zeitschiene bezogen auf

die Gegenwart
die Zukunft
die Vergangenheit.

Diese muss man für sich und den Mandanten feststellen und festschreiben, um sicher sein zu können, dass man ein Modell tatsächlich aus den richtigen Bausteinen zusammengesetzt hat.

a) Gestaltung aus gegenwärtigem Sachverhalt

 

Rz. 143

Bei der Sachverhaltsermittlung in der Gegenwart steht zunächst der Erblasser im Zentrum des Interesses. Von ihm aus bestimmt sich die gesetzliche Erbfolge, die es durch Verfügung von Todes wegen abzuändern gilt.

Die wichtigen Daten des Erblassers sind:

Personalien
Staatsangehörigkeit
Dauernder gewöhnlicher Aufenthalt
Familienstand/Güterstand
Abkömmlinge/Eltern.

aa) Geltendes Erbrecht

 

Rz. 144

Staaten haben unterschiedliche Regeln dafür, welches Erbrecht zur Anwendung gelangt. Teilweise wird auf die Staatsangehörigkeit abgestellt, teilweise auf den Wohnsitz, teilweise auf die Belegenheit von Vermögensgegenständen. Bei Erbfällen mit internationalen Berührungspunkten kann es daher in unterschiedlichen Ländern zu abweichenden Ergebnissen bezüglich der Erbfolge kommen. Mit Wirkung seit 17.8.2015 gilt in 15 Mitgliedstaaten Europas die EuErbVO. Sie gilt nicht in Dänemark, Großbritannien und Irland.

Die EuErbVO 650/2012 knüpft bei einem Erbfall für

die Zuständigkeit von Behörden und Gerichten (Art. 4 EuErbVO)
für die Anwendung materiellen Erbrechts (Art. 21 Abs. 1 EuErbVO)

nicht an die Staatsangehörigkeit des Erblassers an, sondern an den Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes. Für Deutsche, die ihren Lebensmittelpunkt im Ausland haben, bedeutet dies, dass im Falle ihres Todes "automatisch" das dortige Erbrecht Anwendung findet. Unter anderem richten sich auch Erbfähigkeit, Enterbung und Erbunwürdigkeit sowie Annahme und Ausschlagung nach dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers.

 

Rz. 145

Viele Staaten kennen z.B. keine Ehegattentestamente, keine Pflichtteilsverzichte, etc. Behindertentestamente sind ohnehin eine Spezialität des deutschen Rechts. Verlegt der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt ins Ausland, kann es zu einem Wechsel des anwendbaren Erbrechts und damit zur Unzulässigkeit des Behindertentestaments kommen. Dieses kann durch Rechtswahl innerhalb des Geltungsbereiches der EuErbVO nach Art. 22 EuErbVO verhindert werden:

 

(1) Eine Person kann für die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht des Staates wählen, dem sie im Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Zeitpunkt ihres Todes angehört. Eine Person, die mehrere Staatsangehörigkeiten besitzt, kann das Recht eines der Staaten wählen, denen sie im Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Zeitpunkt ihres Todes angehört.

(2) Die Rechtswahl muss ausdrücklich in einer Erklärung in Form einer Verfügung von Todes wegen erfolgen oder sich aus den Bestimmungen einer solchen Verfügung ergeben

Die Rechtswahl muss in der Form einer letztwilligen Verfügung erfolgen, also nicht notwendig notariell. In einem notariellen Testament führt die Rechtswahl zu Erhöhung der Kosten.

 

Rz. 146

 

Formulierungsvorschlag im gemeinschaftlichen Testament

Wir haben unseren dauernden gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Wir beabsichtigen auch nicht, dies zu ändern. Vorsorglich wählen wir aber für unsere Rechtsnachfolge von Todes wegen in unser gesamtes Vermögen sowie für Fragen der Rechtswirksamkeit dieses Testamentes ausschließlich deutsches Erbrecht.

Wir machen unseren Erben zur Auflage, für den Fall der Zuständigkeit eines ausländischen Gerichtes für unseren Erbfall die Zuständigkeit desjenigen deutschen Gerichts zu vereinbaren, das nach den deutschen Zuständigkeitsbestimmungen zuständig wäre.

bb) Abkömmlinge – gesetzliche Erben erster Ordnung (§ 1924 BGB)

 

Rz. 147

Das Gesetz sieht für Erbeinsetzungen eine Einsetzung nach Quoten vor (§ 2087 BGB). Sind dem Bedachten nur einzelne Gegenstände zugewendet, ist im Zweifel nicht anzunehmen, dass er Erbe ist, auch wenn er als Erbe bezeichnet ist.

(1) Ermittlung der Pflichtteilsquote

 

Rz. 148

Die Erfassung der Kinder des Erblassers und deren Abkömmlinge dient der Quotenbildung beim gesetzlichen Erbteil, der Erfassung der Pflichtteilsberechtigten und damit zur Ermittlung der Pflichtteilsquote.

Die Anzahl der unmittelbaren und weiteren Abkömmlinge bestimmt die spätere Lösung. Abkömmlinge des Erblassers sind seine gesetzlichen Erben der ersten Ordnung: "Das Gut fließt wie das Blut" (§ 1924 Abs. 1 BGB).

 

Rz. 149

An die Stelle eines zur Zeit des Erbfalls nicht mehr lebenden Abkömmlings treten die durch ihn mit dem Erblasser verwandten Abkömmlinge: "Erbfolge nach Stämmen". Kinder erben zu gleichen Teilen (§ 1924 Abs. 3 BGB).

Der Pflichtteilsanspruch ist die Hälfte des gesetzlichen Erbanteils als Zahlbetrag.

 

Hinweis

Es gibt Fälle, in denen die Quote ausnahmsweise nicht die entscheidende Größe ist, um die Hälfte des gesetzlichen Erbteils zu bestimmen. "Quantum statt Quote" ist das Schlagwort für diese Fälle, in denen das Tatbestandsmerkmal "Hälfte des gesetzlichen Erbteils" nicht die numerische Bruchteilsgröße meint, sondern derjenige Pflichtteilsbetrag ist, bei dessen Berechnung auch Werte heranzuziehen sind, die n...

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