Rz. 65

Zu beachten ist immer, dass im Strafverfahren auch hinsichtlich der dem Beschuldigten zur Last zu legenden Verletzungsfolgen ein anderer Beweismaßstab gilt als im Zivilrecht. Während im Strafverfahren für die Beurteilung der Kausalität der Grundsatz "in dubio pro reo" zugrunde zu legen ist, ist im Zivilverfahren zwischen der haftungsbegründenden Kausalität (Zusammenhang zwischen dem Verhalten des Schädigers und der Körperverletzung) sowie der haftungsausfüllenden Kausalität (Zusammenhang zwischen Verhalten des Schädigers und dem Ausmaß der Verletzungsfolgen) zu unterscheiden. Bei der haftungsbegründenden Kausalität ist gemäß § 286 ZPO der Vollbeweis erforderlich, während für die haftungsausfüllende Kausalität der Maßstab des § 287 ZPO (hinreichende Wahrscheinlichkeit) gilt.[84] Der Geschädigte muss lediglich den vollen Beweis dafür erbringen, dass er überhaupt verletzt worden ist. Für den sogenannten ersten Verletzungserfolg kommen ihm keinerlei Beweiserleichterungen zugute.[85]

Zitat

"Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats unterliegt der Nachweis des Haftungsgrundes (die haftungsbegründende Kausalität) den strengen Anforderungen des § 286 ZPO, während der Tatrichter nur bei der Ermittlung des Kausalzusammenhangs zwischen dem Haftungsgrund und dem eingetretenen Schaden (der haftungsbegründenden Kausalität) nach Maßgabe des § 287 ZPO freier gestellt ist. (…) Der Grund für die Differenzierung im Beweismaß ergibt sich unmittelbar aus der gesetzlichen Ausnahmeregelung des § 287 ZPO und auch aus der Überlegung, daß eine Haftung des Schädigers nur in Betracht kommt, wenn die Voraussetzungen des gesetzlichen Haftungsgrundes (hier § 823 Abs. 1 BGB oder § 7 Abs. 1 StVG), insbesondere der Zusammenhang zwischen dem Handeln des Schädigers und einem ­ersten Verletzungserfolg feststehen. Das Handeln des Schädigers als solches ohne festgestellte Rechtsgutverletzung (hier Körperverletzung) scheidet als Haftungsgrundlage aus."[86]

Zitat

"Für die Frage, ob ein Unfall zu einer Rechtsgutverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB geführt hat, also den Ersterfolg (haftungsbegründende Kausalität), gilt der Maßstab des § 286 ZPO. Danach muss das Gericht von der Wahrheit der behaupteten Sache überzeugt sein. Hierfür genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad zur Gewissheit bzw. ein so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit, dass etwaigen Zweifeln Schweigen geboten ist, ohne sie völlig auszuschließen (BGHZ 53, 245, 256). Die Beweiserleichterung des § 287 ZPO kommt der Klägerin insoweit nicht zu Gute. § 287 ZPO findet erst Anwendung, wenn die Primärverletzung feststeht und es nur noch um die Frage der Kausalität der geltend gemachten Folgeschäden geht, also um die Weiterentwicklung der Schädigung (haftungsausfüllende Kausalität, vgl. BGH NJW 1987, 705)."[87]

 

Rz. 66

Die Anwendbarkeit des § 287 ZPO führt im Übrigen nicht nur zu einer erheblichen Erleichterung der Beweislast, sondern auch der Darlegungslast.[88]

Besondere Vorsicht ist geboten, wenn es um die Übernahme von Gutachten aus einem Sozialgerichtsverfahren geht. In sozialgerichtlichen Verfahren gilt die Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung. Dadurch sollen die Ansprüche ausgeschieden werden, für die der Unfall nur unwesentliche Ursache (nur Gelegenheitsursache) gewesen war.[89] Im Zivilrecht wird hingegen praktisch für jeden Unfallschaden gehaftet. Gewisse Haftungsbegrenzungen ergeben sich lediglich aus den Erfordernissen der Adäquanz und der Zurechenbarkeit.

Zitat

"Das Landgericht hat es versäumt, dem medizinischen Sachverständigen die für die haftungsrechtliche Beurteilung maßgeblichen Kriterien als Grundlage der Gutachtenerstattung vorzugeben."

Das hat dazu geführt, daß das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. M. von dem im Sozialrecht geltenden (höheren) Kausalitätsanforderungen ausgeht und auch den im Zivilrecht zugunsten des Geschädigten eingreifenden Beweiserleichterungen nicht Rechnung trägt. Die meisten medizinischen Gutachter sind – entsprechend dem Schwergewicht ihrer Gutachtertätigkeit – von der im Sozialrecht vorherrschenden Kausalitätslehre geprägt und mit den im Zivilrecht geltenden Kriterien nicht hinreichend vertraut. (…) Grundsätzlich haftet der Schädiger für alle gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die der Geschädigte durch die Schädigungshandlung davon trägt. Die Zurechnung organisch oder psychisch bedingter Folgewirkungen scheitert auch nicht daran, daß sie auf einer konstitutiven Schwäche des Verletzten beruhen. Haftungsrechtlich ist dem Schädiger eine besondere Schadensanfälligkeit des Verletzten zuzurechnen. Der zum Schadenersatz verpflichtende Umstand braucht im ­Zivilrecht – wie allgemein anerkannt ist – nicht die überwiegende, wesentliche, richtunggebende oder gar alleinige Ursache zu sein. Haftungsrechtlich ist vielmehr jede Verschlimmerung relevant. Dem allgemeinen Lebensrisiko des Verletzten, das dieser entschädigungslos zu tragen hat, dürfen nur solche Schadensereignisse zugerechnet werden, die zum einen ganz geringfü...

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