1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung

a) Widerspruch und aufschiebende Wirkung

 

Rz. 32

Im Verwaltungsrecht gilt der Grundsatz, dass die Einlegung eines Widerspruchs gegen die angefochtene Verfügung grundsätzlich aufschiebende Wirkung hat, weil vor Unanfechtbarkeit der Entscheidung, z.B. der Fahrerlaubnisentziehung, gemäß § 80 Abs. 1 VwGO keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden sollen. Bei einer Fahrerlaubnisentziehung nach zu hohem Punktestand (§ 4 Abs. 5 StVG) schließt § 4 Abs. 9 StVG allerdings die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ausdrücklich aus.

b) Die Anordnung der sofortigen Vollziehung in der Praxis

 

Rz. 33

In der Praxis ist es so, dass die Fahrerlaubnisbehörde oder bei Widerspruch die höhere Verwaltungsbehörde als die für die Widerspruchsentscheidung zuständige Behörde in vielen Fällen des Fahrerlaubnisrechtes die sofortige Vollziehung, z.B. zum Entzug der Fahrerlaubnis oder zu Beschränkungen und Auflagen, gemäß § 80 Abs. 3 Nr. 4 VwGO anordnet. Diese Anordnung kann zugleich mit der Entscheidung über die Fahrerlaubnisentziehung getroffen werden. Auch kann sie nach Widerspruchseingang ergehen oder erst von der höheren Verwaltungsbehörde angeordnet werden. Eine vorherige Anhörung zu der beabsichtigten Anordnung ist nicht geboten.[27]

 

Rz. 34

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung muss im öffentlichen Interesse liegen, und das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung ist schriftlich gemäß § 80 Abs. 3 VwGO zu begründen. Umgekehrt kann die Fahrerlaubnisbehörde auch im Widerspruchsverfahren die Anordnung der sofortigen Vollziehung aussetzen, wenn eine erneute Prüfung eine andere Gefahrenprognose erlaubt. Dies kann sich z.B. ergeben aus der zwischenzeitlichen Tilgung einzelner Eintragungen im Fahreignungsregister.[28]

[27] OVG Lüneburg DVBl 1989, 887.
[28] Berz/Burmann, 17 E Rn 18.

2. Die gerichtliche Prüfung und Aussetzung der sofortigen Vollziehung

a) Das Antragsverfahren

 

Rz. 35

Ist die sofortige Vollziehung einer Maßnahme zur Fahrerlaubnis angeordnet, so steht dem Betroffenen die besondere Verfahrensregelung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO über die gerichtliche Aussetzung der sofortigen Vollziehung zur Verfügung. Der Antrag ist darauf gerichtet, dass das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs/der Klage wiederherstellen möge.[29] Wurde die sofortige Vollziehung bereits vollstreckt, hat also der Fahrerlaubnisinhaber den Führerschein bereits abgeliefert oder sind bereits Beschränkungen/Auflagen im Führerschein eingetragen, so geht der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO dahin, die Vollziehung aufzuheben. Hinsichtlich der Kostenentscheidung lautet der Antrag hingegen auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung, da sich dort die sofortige Vollziehbarkeit unmittelbar aus § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ergibt.

 

Rz. 36

Es ist möglich, diese Anträge bereits zu stellen, sobald die Verfügung, die für sofort vollziehbar erklärt worden ist, bekannt wurde. Dieser Antrag kann gemäß § 80 Abs. 5 S. 2 VwGO auch bereits vor Erhebung der Anfechtungsklage gestellt werden. Besondere Form- und Fristvorschriften bestehen nicht.[30]

[29] Kopp/Schenke, § 80 VwGO Rn 123.
[30] Schoch/Schneider/Bier/Schoch, § 80 Rn 478.

b) Die Begründung des Aussetzungsantrages

 

Rz. 37

Wesentlicher Aspekt des Antrages auf Aussetzung der Vollziehung ist die Darlegung, dass für die Dauer des Rechtsmittelverfahrens keine Umstände vorhanden sind, die dafür sprechen, dass eine besondere Straßenverkehrsgefährdung zu besorgen ist, wenn der Inhaber der Fahrerlaubnis einstweilen weiter als Fahrzeugführer am öffentlichen Straßenverkehr teilnimmt. Dies kann dargelegt werden durch gutachtliche Stellungnahme von behandelnden Ärzten, Amtsärzten, Fachärzten oder einer – privaten – medizinisch-psychologischen Begutachtung.

Bei der Begründung sind Aspekte anzuführen, die dafür sprechen, dass die Interessen des Inhabers der Fahrerlaubnis zum weiteren Führen eines Kraftfahrzeuges Vorrang verdienen gegenüber dem Interesse der Allgemeinheit an der Verkehrssicherheit, und zwar gemessen an den konkreten Umständen.[31] Eine Aussetzung der Vollziehung wird dann zu erfolgen haben, wenn das Gericht die Auffassung vertritt, dass der Antragsteller mit seinem Rechtsbehelf in der Hauptsache voraussichtlich obsiegen wird; denn ein offenkundig rechtswidriger Verwaltungsakt kann überwiegendes Vollzugsinteresse nicht begründen. Im Gegensatz dazu wird bei offensichtlich unbegründetem Rechtsbehelf eine Aussetzung zu verneinen sein. Bei unsicherem Ausgang der Hauptsache kommt der Abwägung besonderes Gewicht zu.

 

Rz. 38

Es ist erforderlich, dass die Tatsachen, auf die der Antrag zur Aussetzung der Vollziehung gestützt wird, glaubhaft gemacht werden. Dies ergibt sich aus § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO.

 

Rz. 39

Maßgebend für die Beurteilung der Sachlage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichtes. Wenn demnächst Tilgungsfristen für eingetragene Verkehrsordnungswidrigkeiten ablaufen, ist dies jedoch zu berücksichtigen. Auch können gegenüber der Widerspruchsentscheidung spätere Umstände berücksichtigt werden, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegen eine mögliche Verkehrsgefährdung sprechen, wie günstige Ergebnisse der ärztlichen Kontrolle z.B. zum Alkohol- und/oder Drogenkonsum.

 

Rz. 40

Das Gericht hat bei seiner Entscheidung...

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