Rz. 298

BGH, Urt. v. 11.6.2013 – VI ZR 150/12, zfs 2013, 558 = VersR 2013, 1013

Zitat

BGB §§ 823 Abs. 1, 831 Abs. 1, 254 Abs. 1; StVG § 7 Abs. 1; HPflG § 4 Hs. 2

a) Bei Ansprüchen aus § 831 Abs. 1 BGB ist § 4 Hs. 2 HPflG nicht entsprechend anwendbar.
b) Im Rahmen der Betriebsgefahr, die sich der Halter eines Kraftfahrzeugs entgegenhalten lassen muss, wenn er Ersatz seines Unfallschadens nach § 823 Abs. 1 BGB verlangt, ist als ein die allgemeine Betriebsgefahr erhöhender Umstand auch das für den Unfall mitursächliche haftungsrelevante Verhalten des Fahrers zu berücksichtigen.

a) Der Fall

 

Rz. 299

Der Kläger verlangte von den Beklagten Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall. Eine Straßenbahn der Beklagten zu 1), die vom Beklagten zu 2) gefahren wurde, stieß gegen einen zum Betriebsvermögen des Klägers gehörenden und von der Drittwiderbeklagten gefahrenen Pkw. Dieser hatte sich im Bereich der auf der Straße verlegten Schienen zum Linksabbiegen eingeordnet und war dort verkehrsbedingt zum Stehen gekommen.

 

Rz. 300

Das Amtsgericht hat die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger zwei Drittel des ihm entstandenen Schadens zu zahlen. Die Beklagte zu 1) hat es darüber hinaus verurteilt, an den Kläger ein weiteres Drittel nebst Verzugszinsen und weitere Anwaltskosten zu zahlen. Einer von der Beklagten zu 1) wegen ihres eigenen Schadens gegen den Kläger und die Drittwiderbeklagte erhobenen Widerklage hat das Amtsgericht teilweise stattgegeben. Im Übrigen hat es Klage und Widerklage abgewiesen. Das Landgericht hat das amtsgerichtliche Urteil unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgeändert, soweit die Beklagte zu 1) verurteilt worden ist, dem Kläger mehr als zwei Drittel des ihm entstandenen Schadens zu ersetzen; im Umfang der Abänderung hat es die Klage abgewiesen. Dies war Gegenstand der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision des Klägers.

b) Die rechtliche Beurteilung

 

Rz. 301

Soweit das Berufungsgericht dem Kläger den vom Amtsgericht zuerkannten weitergehenden Ersatzanspruch gegen die Beklagte zu 1) im Umfang von mehr als zwei Dritteln des ihm unstreitig entstandenen Schadens aberkannt hat, hielt dies einer revisionsrechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.

 

Rz. 302

Nicht zu beanstanden war die Annahme des Berufungsgerichts, der als solcher außer Streit stehende Anspruch des Klägers aus § 1 Abs. 1 HPflG sei um einen Mithaftungsanteil des Klägers von einem Drittel zu kürzen. Die zum Unfallhergang getroffenen Feststellungen und die auf dieser Grundlage vorgenommene Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verantwortungsbeiträge griff die Revision nicht an. Rechtliche Grundlage für die Haftungsverteilung bei der Anrechnung einer Mithaftung als Halter eines Kraftfahrzeugs oder als Betriebsunternehmer einer Bahn sind die Sonderregelungen der § 17 StVG, § 13 HPflG. Bei Anwendung dieser Vorschriften ist die erfolgte Abwägung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger war auch Halter des zu seinem Betriebsvermögen gehörenden Pkw. Der Umfang der Ersatzpflicht des Klägers und der Beklagten zu 1) hing mithin nach § 7 Abs. 1, § 17 Abs. 1, 2, 4 StVG, § 1 Abs. 1, § 13 Abs. 1, 2, 4 HPflG von einer Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge ab. Dabei ist auch nach diesen Vorschriften in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung.

 

Rz. 303

Mit Recht wandte sich die Revision allerdings gegen die Annahme des Berufungsgerichts, eine über den Anspruch aus § 1 Abs. 1 HPflG hinausgehende Haftung der Beklagten zu 1) gemäß § 831 Abs. 1 BGB scheide deshalb aus, weil der Kläger sich in entsprechender Anwendung von § 4 Hs. 2 HPflG ein Mitverschulden der Drittwiderbeklagten anrechnen lassen müsse, die als Fahrerin die tatsächliche Gewalt über das Fahrzeug ausübte.

 

Rz. 304

§ 4 HPflG gilt aufgrund seiner systematischen Stellung im Haftpflichtgesetz ausschließlich für die in diesem Spezialgesetz geregelten Haftpflichttatbestände. Wie das Berufungsgericht richtig gesehen hatte, ist die dem § 4 Hs. 2 HPflG entsprechende Regelung in § 9 StVG nach gefestigter Rechtsprechung des erkennenden Senats auf Ansprüche aus § 823 BGB nicht entsprechend anzuwenden, weil dies die vom Gesetzgeber gewollten Unterschiede beider Haftungssysteme verwischen würde (vgl. Senatsurt. v. 10.7.2007 – VI ZR 199/06, BGHZ 173, 182 Rn 10 ff.). Für § 4 Hs. 2 HPflG und für weitere inhaltsgleiche Vorschriften in anderen Sondergesetzen wie § 34 LuftVG, § 27 AtomG, § 118 BBergG, § 11 UmweltHG, § 6 Abs. 1 ProdHaftG und § 32 Abs. 3 S. 1 GenTG kann nichts anderes gelten.

 

Rz. 305

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt auch eine analoge Anwendung der genannten Vorschriften im Rahmen von Ansprüchen aus § 831 Abs. 1 BGB nicht in Betracht. Zwar kann allein die Erwägung, in den Einschränkungen der Haftung nach den Bestimmungen des Straßenverkehrsgesetzes, u.a. nach § 9 StVG, liege ein gewollter Ausgleich dafür, dass die Haftung des Kraftfahrzeugführers a...

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