Rz. 73

In manchen Rechtsordnungen ist die Rechtsfähigkeit einer Kapitalgesellschaft nicht allumfassend, sondern weiterhin auf den Gesellschaftszweck beschränkt. Die Geschäftsführung kann die Gesellschaft also nicht bei solchen Rechtsgeschäften vertreten, die nicht vom statutarisch bestimmten Zweck der Gesellschaft gedeckt sind (Handeln ultra vires). Bekannt ist hierfür das angloamerikanische Gesellschaftsrecht, auch wenn in England diese Doktrin aufgrund von Art. 9 Abs. 1 der EG-Publizitätsrichtlinie[106] weitgehend ausgemerzt worden ist und in den USA ihre Bedeutung ebenfalls verloren hat. Weniger bekannt ist in diesem Zusammenhang die Bestimmung des Art. 2:7 des niederländischen BGB. Hintergrund für die Handlungsbegrenzung nach dem ultra vires-Grundsatz ist heutzutage nicht mehr das historisch überwundene Konzessionsprinzip, sondern der Schutz der Gesellschafter vor "Veruntreuung" des Gesellschaftskapitals durch die Geschäftsführer.

 

Rz. 74

Einhellige Ansicht ist, dass nicht nur die Erlangung, sondern auch die Grenzen der Rechtsfähigkeit dem Gesellschaftsstatut zu entnehmen sind.[107] Das ergibt sich aus der Anerkennung der vom ausländischen Recht verliehenen Rechtsfähigkeit: Diese kann naturgemäß nicht weiter reichen als das ausländische Recht. Tritt eine ausländische Gesellschaft im inländischen Rechtsverkehr auf, so wird allerdings zum Schutz gutgläubiger Dritter, die mit dieser kontrahieren, Art. 12 Satz 1 EGBGB bzw. Art. 13 Rom I-VO entsprechend angewandt (Verkehrsschutz). Die Gesellschaft kann sich danach nur dann noch auf eine sich aus ihrem Personalstatut ergebende Beeinträchtigung der allgemeinen Rechts- und Handlungsfähigkeit berufen, wenn dies dem anderen Vertragsteil entweder bekannt war oder er dies kennen musste.[108]

[106] Erste Gesellschaftsrechtliche Richtlinie 68/151/EWG vom 9.3.1968 (ABl Nr. L 65/8). Text im Downloadbereich unter der Rubrik Europa-Gesetzgebung.
[107] BGHZ 25, 134; 97, 269 = NJW 1986, 2194; BGH NJW 1998, 2452.
[108] BGH NJW 1998, 2452; ausführlich: GroßkommGmbHG/Behrens/Hoffmann, 3. Aufl. 2019, Einl. B Rn 97 ff.; Leible, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, 3. Aufl. 2017, System. Darst. 2 Rn 122; Hausmann, in: Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 7. Aufl. 2010, Rn 5201 ff.; Palandt/Thorn, 80. Aufl. 2021, Art. 13 Rom I-VO Rn 2; MüKo-BGB/Spellenberg, 8. Aufl. 2020, Art. 12 EGBGB Rn 32 und Art. 13 Rom I-VO Rn 52.

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