Rz. 9

Bereits oben wurden die Urteile des LG Berlin und des KG zur Rechtsnachfolge in ein Benutzerkonto bei Facebook erwähnt. Der dort von den Gerichten entschiedene Lebenssachverhalt zeigt zum einen auf, welche schwerwiegenden Auswirkungen die digitale Revolution auf den Umgang der Hinterbliebenen mit dem Tod eines Menschen und der Abwicklung seines Nachlasses haben kann, und zum anderen, welche grundlegenden Fragen wir beantworten müssen, um den digitalen Nachlass rechtlich in den Griff zu bekommen:

 

Rz. 10

 

Sachverhalt (KG, Urt. v. 31.5.2017 – 21 U 9/16)[21]

Die damals 15-jährige Erblasserin war im Jahr 2012 von einer U-Bahn erfasst worden. Die genauen Umstände des Todes konnten nicht aufgeklärt werden. Insbesondere konnte nicht geklärt werden, ob die Erblasserin Suizid begangen hatte oder ob es sich um einen Unfall handelte. Von einem Suizid ging aber der Fahrer der U-Bahn aus, der deshalb die Eltern der Verstorbenen, die sie in Erbengemeinschaft beerbt hatten, zur Zahlung von Schadensersatz in Form eines Schmerzensgeldes aufforderte.[22]

Die Eltern versuchten, sich unter dem Benutzerkonto ihrer Tochter bei Facebook anzumelden, um ggf. Aufschluss über die Umstände des Todes ihrer Tochter zu gewinnen. Die Zugangsdaten zu dem Benutzerkonto hatte ihnen ihre Tochter zu Lebzeiten gegeben. Sie hatte sich, so ihre Eltern, im Alter von 14 Jahren bei Facebook angemeldet, wobei ihre Eltern es zur Bedingung gemacht hatten, dass sie ihnen die Zugangsdaten zur Verfügung stellt.

Facebook hatte inzwischen vom Tod der Tochter erfahren und ihr Benutzerkonto in den "Gedenkzustand" versetzt. Auf ein in den Gedenkzustand versetztes Benutzerkonto kann man selbst dann nicht mehr zugreifen, wenn man sich im Besitz der Zugangsdaten befindet.

Den Eltern war es mithin nicht möglich, sich unter dem Benutzerkonto ihrer Tochter bei Facebook anzumelden. Facebook verweigerte auf Nachfrage die Zugangsverschaffung und begründete das insbesondere mit dem Hinweis auf die Nutzungsbedingungen und auf den Schutz des Fernmeldegeheimnisses der Kommunikationspartner der Verstorbenen. Zumindest durch § 88 Abs. 3 S. 1 TKG sei man, so Facebook, an der Zugangsverschaffung gehindert.

 

Rz. 11

Der wiedergegebene Sachverhalt führt uns die Kernpunkte der Diskussion um den digitalen Nachlass vor Augen:

Man muss zunächst die Frage stellen, ob die Erben überhaupt ein Recht auf Zugang zu (privaten) Aufzeichnungen des Erblassers haben. Dürfen die Eltern hier angesichts der Persönlichkeitsrechte der Verstorbenen auf das Benutzerkonto zugreifen? Macht es dabei einen Unterschied, dass die Verstorbene minderjährig war und die Erben als ihre Eltern sorgeberechtigt? Gelten Besonderheiten, wenn Erben und Angehörige personenverschieden sind? Was würde gelten, wenn die Verstorbene ihren Eltern die Zugangsdaten nicht anvertraut hätte?
Danach muss man klären, ob einer Zugangsgewährung durch Facebook nicht der Schutz des Fernmeldegeheimnisses der Kommunikationspartner der Verstorbenen entgegensteht, so wie es auch Facebook mit Verweis auf die Regelung des § 88 Abs. 3 S. 1 TKG vorgetragen hat. Müssen die Kommunikationspartner der Verstorbenen damit rechnen, dass sich ihre Erben unter dem Benutzerkonto anmelden werden?
Darüber hinaus muss man auch die Nutzungsbedingungen von Facebook prüfen und ggf. in die anzustellenden Wertungen mit einbeziehen. Kann ein Anbieter elektronischer Dienste es den Nutzern verbieten, die Kontodaten weiterzugeben? Kann ein Anbieter durch Nutzungsbedingungen die Vererblichkeit ausschließen? Dürfen die Nutzer auf solche Regelungen vertrauen?
 

Rz. 12

Die Antworten auf alle diese Fragen sind umstritten. Allerdings handelt es sich nicht in jedem Fall um wirklich neue Fragestellungen. Der digitale Nachlass führt uns auch Problemstellungen vor Augen, die bereits sehr viel älteren Datums sind. So kann man, wie das in der bisher geführten Fachdiskussion immer wieder der Fall gewesen ist,[23] auch fragen, warum man sich z.B. weitgehend darin einig ist, dass die Erben ein Recht auf Zustellung der Briefe des Erblassers haben. Steht dem nicht das Recht auf Wahrung des Briefgeheimnisses der Absender entgegen? Und wie steht es um private Aufzeichnungen des Erblassers in analoger Form, wie bspw. Tagebücher? Haben die Erben hier ein Recht auf Zugriff? Oder stehen solche privaten Schriften eher den Angehörigen zu?

 

Rz. 13

Dabei muss sowohl das berechtigte Interesse[24] als auch die Pflicht der Erben im Blick behalten werden, den Nachlass ordnungsgemäß abzuwickeln.[25] Hierzu gehören nicht nur "originär" digitale Pflichten wie die Anpassung des Impressums auf einer Homepage nach § 6 TMG,[26] sondern auch die allgemeine Pflicht der Erben, die Nachlassverbindlichkeiten nicht nur zu erfüllen, sondern auch aufzudecken.[27]

[21] ZErb 2017, 225; erstinstanzliches Urteil: LG Berlin, Urt. v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, ZErb 2016, 109 = ErbR 2016, 223 = ZEV 2016, 189.
[22] Ein Umstand, den zwar das LG Berlin erwähnt, das KG aber nicht mehr; vgl. dazu Pruns, ZErb 2017, 217 f.
[23]...

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