Rz. 107

Insbesondere bei umfangreichen Angelegenheiten empfiehlt es sich, den Sachverhalt erst zu skizzieren, bevor man sich an die Fertigung der Vergütungsrechnung macht. Diese Sachverhaltsskizzierung kann man auch schon immer dann auf einem besonderen Blatt vornehmen, wenn die betreffende Akte zur Weiterbearbeitung vorliegt, weil man es sich dann erspart, später zur Erstellung der Vergütungsrechnung wieder den gesamten Akteninhalt nachlesen zu müssen.

Eine Sachverhaltsskizzierung ist nichts weiter als eine chronologische (= zeitlich geordnete) Aufzählung der für die Gebührenermittlung wichtigen Ereignisse unter Angabe des jeweiligen Wertes.

Dies sei anhand eines Beispiels erläutert:

 

Beispiel:

RA Unser hat unbedingten Klageauftrag von Alt gegen Jung wegen Zahlung von 6.500,00 EUR. RA Unser sendet dem Jung ein Aufforderungsschreiben, wonach Jung 1.500,00 EUR zahlt. Der Restbetrag wird von RA Unser eingeklagt.

RA Euer beantragt für den Gegner Jung, die Klage abzuweisen und erhebt Widerklage wegen eines ganz anderen Streitgegenstandes in Höhe von 3.000,00 EUR. Im ersten Verhandlungstermin erkennt RA Euer einen Teilbetrag von 2.000,00 EUR sofort an, worauf ein von RA Unser beantragtes Teilanerkenntnisurteil ergeht. Über die restlichen Ansprüche aus Klage und Widerklage wird streitig verhandelt. Sodann ergeht ein Beweisbeschluss, wonach über die restlichen Ansprüche aus Klage und Widerklage Beweis erhoben werden soll. Danach erweitert RA Unser die Klage um 1.000,00 EUR. Nach der umfangreichen Vernehmung mehrerer Zeugen und Sachverständiger an vier Terminen und weiterer Verhandlung ergeht Urteil.

Die Sachverhaltsskizzierung zu vorstehendem Beispiel sieht wie folgt aus:

 
Zeitlicher Ablauf Wert Verfahrensgebühr Terminsgebühr Beweisgebühr
1 2 3 4 5
Vorgerichtliche Erledigung 1.500,00 EUR 1.500,00 EUR    
Klage eingereicht 5.000,00 EUR      
Widerklage 3.000,00 EUR      
= zusammen 8.000,00 EUR 8.000,00 EUR    
Erster Verhandlungstermin 8.000,00 EUR   8.000,00 EUR  
Nach Teilanerkenntnisurteil 2.000,00 EUR      
weitere Verhandlung wegen 6.000,00 EUR      
Beweisbeschluss 6.000,00 EUR      
Klageerweiterung 1.000,00 EUR 1.000,00 EUR    
Prozessgegenstand insgesamt 9.000,00 EUR 9.000,00 EUR    
Verfahrensgebühr also nach 9.000,00 EUR 9.000,00 EUR    
Zweiter Verhandlungstermin 7.000,00 EUR      
davon bisher noch keine Terminsgebühr berechnet 1.000,00 EUR   1.000,00 EUR  
Beweisaufnahmen 7.000,00 EUR     7.000,00 EUR
Terminsgebühr also nach 9.000,00 EUR   9.000,00 EUR  

Der Streitwert von Klage und Widerklage ist zu addieren, weil im Sachverhalt ausdrücklich gesagt ist, dass Klage und Widerklage nicht denselben Gegenstand betreffen (§ 45 Abs. 1 S. 1 GKG). Gemäß § 39 Abs. 1 GKG und nach § 22 Abs. 1 RVG sind die Werte der Klage und der Klageerweiterung zusammenzurechnen, sodass sich als für die zu berechnende Verfahrensgebühr maßgeblicher Wert ergibt:

5.000,00 EUR + 3.000,00 EUR + 1.000,00 EUR = 9.000,00 EUR. (Spalte 3).

Die Terminsgebühr berechnet sich nach dem Wert, über den insgesamt verhandelt wurde, wobei es unerheblich ist, dass im zweiten Verhandlungstermin nur noch über einen verbliebenen niedrigeren Wert verhandelt wurde, denn wenn eine Gebühr erst einmal entstanden ist, wirkt sich eine spätere Herabsetzung des Wertes nach § 15 Abs. 4 RVG nicht mehr aus:

8.000,00 EUR + 1.000,00 EUR = 9.000,00 EUR. (Spalte 4).

Für die vier umfangreichen Beweisaufnahmetermine erhält der RA die Zusatzgebühr (Beweisgebühr) gemäß Nr. 1010 VV RVG nach dem verbliebenen Wert von 7.000,00 EUR (Spalte 5).

Es wird erkennbar, dass letztlich nur die fett gedruckten Werte bedeutsam sind; die Spalten 1 und 2 dienen nur dazu, den Fall in den Griff zu bekommen. Gerade als Anfänger sollte man jedoch den zeitlichen Ablauf des Falles genau skizzieren, damit nicht wesentliche Entwicklungen übersehen werden.

 

Rz. 108

Es dürfte in vorstehendem Beispiel deutlich geworden sein, dass man die Skizzierung als wertvolles Hilfsmittel einsetzen sollte, um aus dem Sachverhalt die für die Erstellung einer Vergütungsrechnung notwendigen Fakten zu gewinnen. Die sich aus dem geschilderten Fall ergebende nachstehende Vergütungsrechnung des RA Unser werden allerdings erst fortgeschrittene Leser gänzlich nachvollziehen können. Beachten Sie die übersichtliche Schreibweise mit den zwei Betragsspalten.

 

Vergütungsrechnung:

Gegenstandswert: 1.500,00 EUR* / 9.000,00 EUR* / 7.000,00 EUR*

(*siehe vorstehende Erläuterung)

 
0,8 Verfahrensgebühr gem. §§ 2, 13 RVG, Nrn. 3100, 3101 Ziff. 1 VV RVG (Wert: 1.500,00 EUR) 101,60 EUR  
1,3 Verfahrensgebühr gem. §§ 2, 13 RVG, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 9.000,00 EUR) 725,40 EUR  
  827,00 EUR  
(Gemäß § 15 Abs. 3 RVG wären die Verfahrensgebühren zu kürzen auf 1,3 nach dem zusammengerechneten Wert von 10.500,00 EUR. Da dies 865,80 EUR ergibt, ist hier keine Kürzung vorzunehmen.)   827,00 EUR
1,2 Terminsgebühr gem. §§ 2, 13 RVG, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 9.000,00 EUR)   669,60 EUR
0,3 Beweisgebühr gem. §§ 2, 13 RVG, Nr. 1010 VV RVG (Wert: 7.000,00 EUR)   133,80 E...

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