Rz. 1

Das BVerfG hat in seinen Entscheidungen durchgängig die "lebenswichtige Funktion der auf natürlichen und rechtlichen Bindungen beruhenden Familie[1] für die menschliche Gemeinschaft" hervorgehoben.[2] Dass die Familie ihren Kern in einer bestehenden Ehe hat, ist dabei nicht essentielle Voraussetzung. Diese Wertvorgabe korrespondiert mit dem internationalen Recht. In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen wird die Familie ebenso als "natürliche und grundlegende Einheit der Gesellschaft" bewertet, wie es auch der UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte im Jahr 1966 formuliert hat. Danach ist die Familie die "natürliche Kernzelle der Gesellschaft"[3] und untersteht deren besonderen Schutz.[4]

 

Rz. 2

Auch auf der Ebene des europäischen Rechts wird der Schutz des Familienlebens garantiert. Art. 8 EMRK schützt das Privat- und Familienleben.[5] Als Familie in diesem Sinn wird auch die Beziehung zwischen dem nichtehelichen Kind und seinen Eltern gesehen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte spricht in diesem Zusammenhang von der "famille naturelle".[6] Ebenso gewährleistet Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh)[7] jeder Person das Recht auf Achtung des Familienlebens.[8]

 

Rz. 3

In diesen Kontext supranationaler Vorgaben fügt sich Art. 6 GG ein. Weder der Entwurf des Herrenchiemseer Konvents noch der des zuständigen Ausschusses des Parlamentarischen Rates sahen bei der Erarbeitung des Grundgesetzes eine dem in heutiger Fassung des Art. 6 GG inhaltlich entsprechende Regelung vor. Die damaligen Wertvorgaben gründeten auf gänzlich anderen gesellschaftlichen Prinzipien, als sie heutigem Verständnis entsprechen. Bei näherer Betrachtung dieser gesellschaftlichen Vorgaben und der mit ihnen einhergehenden Anpassungen in der rechtlichen Entwicklung muss im Rahmen des Art. 6 GG zwischen der Ehe als Rechtsinstitut des bürgerlichen Rechts und der Familie als solcher, die sich durch die tatsächliche Eltern-Kind-Beziehung auszeichnet, differenziert werden.

 

Rz. 4

Dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung im Sinn des Art. 6 Abs. 1 GG unterliegt nach wie vor allein die Ehe im klassischen Sinn. Hierbei hat die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung wiederholt betont, dass aus dem besonderen Schutz einer bestimmten Form des Zusammenlebens nicht per se die Diskriminierung einer anderen Lebens- oder Gemeinschaftsform abgeleitet werden kann[9] – ein "Abstandsgebot" gibt es also nicht.[10] Losgelöst von diesem unverändert geltenden besonderen Schutz des Rechtsinstituts Ehe, stand der Gesetzgeber in der Vergangenheit immer wieder in der Verpflichtung, den in andere Lebensformen als der Ehe hineingeborenen und darin erzogenen Kindern den Schutz zukommen zu lassen, der ihnen als Träger eigener Grundrechte zukommt, was insbesondere Art. 6 Abs. 5 GG gewährleistet.[11]

 

Rz. 5

Unabhängig davon, dass bereits in Art. 121 WRV die Forderung statuiert wurde, den nichtehelich geborenen Kindern per Gesetz die gleichen Bedingungen für ihre Entwicklung zu schaffen, wie sie für eheliche Kinder galten, und Art. 6 Abs. 5 GG dieses Postulat adaptiert hatte, bedurfte es gleichwohl erst einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung[12] bevor zum 1.7.1970 das Nicht­ehelG in Kraft treten konnte, so dass erstmals die hierdurch erfassten Kinder als mit ihren Vätern verwandt angesehen wurden. Erst durch das zum 1.7.1998 dann in Kraft getretene KindRG wurde auch für die Unterhaltsansprüche nichtehelicher Kinder die sachliche Zuständigkeit der Familiengerichte begründet. Einer weiteren veränderten Form des Zusammenlebens hat der Gesetzgeber durch das LPartG Rechnung tragen müssen, wie es zum 1.8.2001 erstmals Geltung erlangt hat. In § 9 LPartG sind Regelungen mit Blick auf die Kinder eines Lebenspartners enthalten, die im gemeinsamen Haushalt der beiden Lebenspartner aufwachsen. Entscheidende Impulse bei dieser rechtlichen Fortentwicklung haben sich immer wieder auch aus dem überstaatlichen Recht ergeben.[13] So musste der Gesetzgeber aufgrund der Entscheidung des EuGHMR in Sachen Zaunegger/Deutschland vom 3.12.2009 gesetzliche Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierung von Vätern nichtehelicher Kinder (Art. 14 i.V.m. Art. 8 EMRK) bei der Sorgerechtsregelung ergreifen.[14] Zur Umsetzung dieser Entscheidung traf zunächst das BVerfG durch Urt. v. 21.7.2010[15] eine Übergangsregelung, bis der Gesetzgeber durch das am 19.5.2013 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern vom 16.4.2013[16] die Situation nicht durch eine Ehe verbundener Eltern neu regelte (siehe im Einzelnen Rdn 35 ff.).

 

Rz. 6

Den veränderten gesellschaftlichen Vorgaben hat der Gesetzgeber jeweils – wenn auch teilweise mit deutlicher Verspätung und nicht selten erst mit Blick auf entsprechende Vorgaben aus der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung[17] – Rechnung getragen. Primäre Zielrichtung war durchgängig der Schutz der minderjährigen Kinder, wobei die zu treffenden Regelung...

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