Rz. 384

Ziel des Amtsermittlungsgrundsatzes ist einerseits die Sachaufklärung, andererseits aber auch die bestmögliche Gewährung rechtlichen Gehörs, Art. 103 Abs. 1 GG.[1352] Das Gericht ist von sich aus berechtigt und verpflichtet, alle erforderlichen Tatsachen zu ermitteln, um eine Entscheidung treffen zu können, die dem Kindeswohl gerecht wird.[1353] Bestandteil des Amtsermittlungsgrundsatzes ist die Durchführung der gesetzlich vorgeschriebenen Anhörung des Kindes (§ 159 FamFG), der Eltern (§ 160 FamFG), des Jugendamts (§ 162 FamFG), ggf. des Verfahrensbeistands und etwaiger weiterer Dritter,[1354] wie etwa Pflegepersonen (§ 161 FamFG), wenn das Kind längere Zeit in einer Pflegefamilie gelebt hat. Anhören (§ 29 FamFG, sog. Freibeweis) oder förmlich vernehmen (§ 30 FamFG, Strengbeweis)[1355] kann das Familiengericht aber auch Lehrer, behandelnde Ärzte, Verwandte oder andere Bezugspersonen des Kindes sowie sonstige Zeugen. So kann es etwa im Verfahren nach §§ 1666, 1666a BGB geboten sein, den Lebensgefährten, der mit der Sorgeberechtigten einen gemeinsamen Haushalt führt, persönlich anzuhören; dies gilt insbesondere, wenn die Frage der Rückführung des derzeit in einer Pflegefamilie lebenden Kindes der Sorgeberechtigten zu dieser in Rede steht[1356] (zur Einholung eines Sachverständigengutachtens siehe im Einzelnen Rdn 394 ff.).

 

Rz. 385

In welchem Umfang vom Familiengericht zur Beurteilung des Kindeswohls Tatsachen zu ermitteln sind, bestimmt sich aufgrund § 26 FamFG. Das Gericht hat danach von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und die geeignet erscheinenden Beweise zu erheben, was sowohl für Amts- als auch für Antragsverfahren gilt. Dabei wirken das Elternrecht sowie das staatliche Wächteramt auch auf das Verfahrensrecht und seine Handhabung im Sorgerechtsverfahren ein. Das Gericht ist zum Erlass einer alle Umstände des Einzelfalls abwägenden Entscheidung verpflichtet. Sein Verfahren muss daher geeignet sein, ihm eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine solche, am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu verschaffen.[1357] Der genaue Umfang der erforderlichen Ermittlungen richtet sich nach den im konkreten Fall betroffenen Kindeswohlbelangen.[1358] Die Amtsermittlungspflicht verpflichtet das Gericht allerdings nicht, allen nur denkbaren Möglichkeiten nachzugehen; insbesondere besteht keine Pflicht zu einer Amtsermittlung "ins Blaue hinein", weshalb bloße Verdachtsäußerungen, die jeglicher tatsächlichen Grundlage entbehren, keinen Ermittlungsanlass geben.[1359]

 

Rz. 386

Für Verfahren nach § 1666 BGB hat der BGH den Umfang der Amtsermittlungspflicht in seiner Entscheidung vom 17.2.2010 ausführlich präzisiert.[1360] Mit Blick auf den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eines Elternteiles kann dieser nicht gezwungen werden, sich gegen seinen Willen körperlich oder psychiatrisch bzw. psychologisch untersuchen zu lassen.[1361] Eine diesbezügliche Weigerung ist daher auch nicht nach dem allgemeinen Rechtsempfinden als verwerflich und Treu und Glauben zuwiderlaufend zu bewerten, so dass gegebenenfalls zu Lasten dieses Elternteiles nach den – grundsätzlich auch im Amtsverfahren anwendbaren – Grundsätzen der Umkehr der Feststellungslast eine Tatsache als bewiesen behandelt werden könnte.[1362] Gleichwohl ist das Gericht verpflichtet, alle zur Sachverhaltsaufklärung dienlichen Ermittlungen anzustellen, soweit das Vorbringen der Beteiligten und der Sachverhalt hierzu Anlass geben. Um eine – möglicherweise kindeswohlwidrige – Entscheidung nach den Grundsätzen der Feststellungslast zu vermeiden, dürfen die Ermittlungen erst dann abgeschlossen werden, wenn ein die Entscheidung beeinflussendes Ergebnis durch weitere Ermittlungen nicht mehr erwartet werden kann.[1363] Wegen der verfassungsrechtlichen Vorgaben in Art. 6 Abs. 2 GG gelten in Kindschaftsverfahren dabei besondere Anforderungen. Dazu kann etwa gehören, dass das Gericht den die Begutachtung verweigernden Elternteil in Anwesenheit eines Sachverständigen gerichtlich anhört und zu diesem Zweck das persönliche Erscheinen des Elternteils anordnet und nötigenfalls mit Zwangsmitteln durchsetzt. Der zu erwartende Erkenntniszugewinn wird freilich dadurch relativiert, dass der Elternteil nicht gehalten ist, sich im Anhörungstermin zu äußern.[1364] Gleiches gilt für die Anhörung des Kindes in Anwesenheit und unter Mitwirkung des Sachverständigen. Soweit darüber hinausgehend ohne eine psychologische Untersuchung des Kindes keine ausreichende Sachverhaltsaufklärung möglich ist, kann die Einwilligung des Elternteils in die psychologische Begutachtung des Kindes nach § 1666 Abs. 3 BGB – unter den Voraussetzungen des § 1666 Abs. 1 BGB – ersetzt und dessen Zuführung zur Begutachtung durch ergänzende Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts durchgesetzt werden.[1365] Die spezifisch hierfür erforderliche Kindeswohlgefährdung ist regelmäßig dann zu bejahen, wenn das Gericht ohne die Begutachtung von Maßnahmen nach § 1666 B...

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