Rz. 36

Anknüpfungspunkt dieser Auffassungen ist immer § 1408 Abs. 1 BGB.

§ 1408 Abs. 1 BGB ist als Rechtsnorm ein Rechtssatz.

Eine Legaldefinition kennzeichnet den Sprachgebrauch von Rechtsnormen und ist deshalb ebenfalls ein Rechtssatz.[24] Daher können jeweils die allgemeinen Auslegungssätze angewendet werden.

[24] Kaufmann/Hassemer/Neumann/Schroth, Kap. 6.3.1 Fn 27.

a) Grammatikalische Auslegung

 

Rz. 37

 

Hinweis

"Die Ehegatten können ihre güterrechtlichen Verhältnisse durch Vertrag (Ehevertrag) regeln" besagt nur eines: wenn sie dies tun, ist dieser Vertrag ein Ehevertrag.

Daraus folgt nicht, dass jeder Ehevertrag auch ein Güterrechtsvertrag ist: Ein Rechteck ist ein Viereck, aber nicht jedes Viereck ist auch ein Rechteck (es kann vielmehr auch Trapez, Rhombus usw. sein).

 

Hinweis

Daher folgt aus dem Wortlaut der Norm: Ein Ehevertrag kann ein Güterrechtsvertrag oder auch ein anderer Vertrag sein (der ggf. natürlich weitere Voraussetzungen zu erfüllen hat).

 

Rz. 38

Genus proximum des Begriffs "Ehevertrag" ist "Vertrag". Differentia spezifica ist "Ehe" (und nicht "Güterrecht").

 

Rz. 39

Daraus folgt: Da ein Vertrag etwas rechtlich regelt und Regelungsgegenstand des Ehevertrages die Wirkungen der Ehe sind, ist – was den Regelungsgegenstand betrifft – jeder Vertrag ein Ehevertrag, der die Rechtsbeziehungen regelt, die sich aus einer bestimmten Ehe ergeben.

b) Systematische Auslegung

 

Rz. 40

Die familienrechtlichen Vorschriften sind in ihrer Anordnung ein System von Wertentscheidungen. § 1408 BGB steht im Titel 6 "Eheliches Güterrecht", Untertitel 2 "Vertragliches Güterrecht", Kapitel 1 "Allgemeine Vorschriften" und ist systematisch eindeutig ausschließlich dem Güterrecht zugeordnet. Dasselbe gilt für § 1410 BGB, der unstreitig nur den Ehevertrag i.S.v. § 1408 BGB meint.

 

Rz. 41

Eindeutig erscheint ferner der gleichwertige Sprachgebrauch "Ehevertrag" in beiden Absätzen des § 1408 BGB. Wenn Absatz 1 der Vorschrift nur Güterrechtsverträge meinte, würde Absatz 2 (in derselben Vorschrift!) keinen erkennbaren systematischen Sinn ergeben. Angesichts dieser Umstände fällt es schwer, mit der herrschenden Meinung anzunehmen, der Regelungsbereich des Ehevertrages sei mit § 1408 Abs. 2 BGB nicht über das Ehegüterrecht hinaus erweitert, sondern die Regelung des Versorgungsausgleich lediglich den Vorschriften der §§ 1410, 1411 BGB unterworfen worden.[25]

[25] Langenfeld/Milzer, § 1 Rn 7.

c) Historische Auslegung

 

Rz. 42

Aus der Entwicklungsgeschichte lässt sich nichts für den rein güterstandsbezogenen Ehevertragsbegriff herleiten.[26] Zumindest aus heutiger Sicht stechen folgende Gesichtspunkte hervor:

 

Rz. 43

Die vertragliche Regelung des Versorgungsausgleichs ist die Regelung einer Scheidungsfolge und somit nicht der Ehe. Dennoch ist sie in § 1408 Abs. 2 BGB geregelt. Gleichzeitig aber bewirkt der Ausschluss des Versorgungsausgleichs nicht mehr den automatischen Eintritt der Gütertrennung (vgl. § 1413 BGB a.F.). Der Gesetzgeber hat den Versorgungsausgleich also vom Güterstand entkoppelt, diese Scheidungsfolge aber trotzdem in § 1408 BGB aufgenommen, der folglich zumindest seitdem keine rein güterrechtliche Bedeutung mehr haben kann.

 

Rz. 44

Die vom Bundesgerichtshof eingeführte Inhalts- und Ausübungskontrolle von "Eheverträgen” (!) schließt ausgerechnet das Güterrecht aus ihrem Anwendungsbereich, nämlich aus dem Kernbereich der Scheidungsfolgen, aus."

 

Rz. 45

Auch in kostenrechtlicher Hinsicht ist eine Angleichung erfolgt. Früher kam es darauf an, ob es sich um einen generellen oder speziellen Ehevertrag handelt.[27] Bei der Begründung oder Aufhebung eines Güterstands entsprach der Geschäftswert dem Wert des betroffenen Vermögens (§ 39 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 a.F. KostO, wobei die Vorschrift das Tatbestandsmerkmal "Eheverträge" enthielt); bei der modifizierten Zugewinngemeinschaft war der Wert grundsätzlich nach § 30 Abs. 1 a.F. KostO zu bestimmen[28] (wobei die Vorschrift nicht das Tatbestandsmerkmal "Eheverträge" enthielt), mithin lediglich nach dem Ausmaß der vereinbarten Änderungen. § 30 a.F. KostO war die allgemeinere Vorschrift gegenüber der Spezialregelung des § 39 a.F. KostO.[29] Dieses Spezialitätsverhältnis, welches unmittelbar vom Ehevertragsbegriff abhängig war, hat der Gesetzgeber aufgegeben. Er hat erkannt, dass auch die Modifikation der Zugewinngemeinschaft durch Ehevertrag erfolgt und geht nunmehr in § 100 Abs. 1 Nr. 1 GNotKG auch hier vom vollen Wert des modifizierten Reinvermögens aus (modifiziertes Reinvermögen = Summe der gegenwärtigen Vermögen beider Ehegatten unter Abzug der Verbindlichkeiten bis maximal zur Hälfte des Aktivvermögens).

 

Rz. 46

Im Übrigen spricht § 100 Abs. 1 Nr. 1 GNotKG nunmehr ausdrücklich von "Eheverträgen im Sinne des § 1408 BGB, die sich nicht auf Vereinbarungen über den Versorgungsausgleich beschränken" und bestätigt damit zweierlei:

Es gibt auch Eheverträge außerhalb des § 1408 BGB.
Eheverträge über den Versorgungsgleich sind Eheverträge im eigentlichen Sinn und nicht im funktional erweiterten Sinn.
 

Rz. 47

Eheverträge, die lediglich den Versorgungsausgleich betreffen, unterfallen ge...

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