Rufbereitschaft kann in vollem Umfang Arbeitszeit sein

Bereitschaftszeit in Form von Rufbereitschaft kann in vollem Umfang Arbeitszeit darstellen, wenn die dem Arbeitnehmer für die Zeit der Rufbereitschaft auferlegten Einschränkungen seine Möglichkeit zur Freizeitgestaltung ganz erheblich beeinträchtigen.

Die Bereitschaftszeit eines Arbeitnehmers ist nach der Rechtsprechung des EuGH als entweder „Arbeitszeit“ oder „Ruhezeit“ im Sinne der Richtlinie 2003/88 einzustufen. Bereitschaftszeit ist danach automatisch als „Arbeitszeit“ anzusehen, wenn der Arbeitnehmer während dieser Zeit verpflichtet ist, an seinem Arbeitsplatz zu bleiben, der nicht mit seiner Wohnung identisch ist, und sich dort seinem Arbeitgeber zur Verfügung zu halten hat.

Arbeitszeit auch bei erheblichen Einschränkungen der Freizeitgestaltung

In zwei aktuellen Entscheidungen hat der EuGH nun klargestellt, eine Bereitschaftszeit in Form von Rufbereitschaft stelle auch dann in vollem Umfang Arbeitszeit dar, wenn die dem Arbeitnehmer auferlegten Einschränkungen seine Möglichkeit der freien Freizeitgestaltung ganz erheblich beeinträchtigten. Umgekehrt sei dann, wenn es keine entsprechenden Einschränkungen gebe, nur die Zeit als „Arbeitszeit“ anzusehen, die mit der ggf. tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung verbunden sei.

Hintergründe der beiden Entscheidungen

In dem einen zur Entscheidung stehenden Fall ging es um einen Feuerwehrmann aus Offenbach, der regelmäßig Bereitschaftszeiten in Form von Rufbereitschaften leisten musste. Während dieser Zeiten war er nicht verpflichtet, sich an einem von seinem Arbeitgeber bestimmten Ort aufzuhalten. Er musste jedoch erreichbar und in der Lage sein, im Alarmfall binnen 20 Minuten in Einsatzkleidung und mit dem Einsatzfahrzeug die Stadtgrenzen zu erreichen.

Der andere Fall betraf einen Techniker, der neben seinen 12 Stunden regulärer Arbeitszeit in den slowenischen Bergen täglich sechs Stunden Rufbereitschaft leistete. Während dieser Zeit war er nicht verpflichtet, am Arbeitsort zu bleiben. Er musste aber telefonisch erreichbar und in der Lage sein, bei Bedarf innerhalb einer Stunde dorthin zurückzukehren. Auf Grund der geografischen Lage des Arbeitsortes war er dabei jedoch faktisch gezwungen, sich während seiner Bereitschaftsdienste ohne große Freizeitmöglichkeiten in einer von seinem Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Dienstunterkunft aufzuhalten.

Organisatorische Schwierigkeiten der Freizeitgestaltung reichen nicht aus

Bei der Beurteilung, ob eine Bereitschaftszeit „Arbeitszeit“ darstelle, könnten, so der EuGH,  nur Einschränkungen berücksichtigt werden, die dem Arbeitnehmer durch nationale Rechtsvorschriften, durch einen Tarifvertrag oder seinen Arbeitgeber auferlegt würden.

Unerheblich seien hingegen organisatorische Schwierigkeiten, welche die Bereitschaftszeit

  • infolge natürlicher Gegebenheiten oder
  • der freien Entscheidung des Arbeitnehmers

für ihn mit sich brächten, wenn etwa das Gebiet, das der Arbeitnehmer während seiner Rufbereitschaft praktisch nicht verlassen könne, nur wenige Möglichkeiten für Freizeitaktivitäten biete.

Gesamtwürdigung aller Umstände erforderlich

Bei der von den nationalen Gerichten im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmenden Prüfung, ob „Arbeitszeit“ vorliege, seien insbesondere

  • die Angemessenheit der Rückruffrist an den Arbeitsplatz und
  • die durchschnittliche Häufigkeit der vom Arbeitnehmer während seiner Bereitschaftszeiten geleisteten Einsätze

zu berücksichtigen.

Dies sei an Hand des konkreten Falles zu beurteilen, wobei nicht nur weitere dem Arbeitnehmer auferlegte Einschränkungen, wie die Verpflichtung, mit einer speziellen Ausrüstung am Arbeitsplatz zu erscheinen, zu berücksichtigen seien, sondern auch ihm gewährte Erleichterungen. Letztere könnten etwa auch in der Bereitstellung eines Dienstfahrzeuges bestehen, mit dem von Sonderrechten gegenüber der Straßenverkehrsordnung Gebrauch gemacht werden kann.

Keine Aussage zu Art und Weise der Vergütung

Der EuGH stellte in seinen Entscheidungen zudem erneut klar, dass die Einordnung als „Arbeitszeit“ im Sinne der Richtlinie 2033/88 keine Aussage treffe zur Art und Weise der Vergütung der Bereitschaftszeiten. Sie stehe der Anwendung innerstaatlicher Rechtsvorschriften, eines Tarifvertrages oder einer Entscheidung des Arbeitgebers nicht entgegen, wonach bei der Vergütung Zeiten, in denen tatsächlich Arbeitsleistungen erbracht werden, und solchen, in denen keine tatsächliche Arbeit geleistet werde, in unterschiedlicher Weise berücksichtigt werden können, selbst wenn diese Zeiten in vollem Umfang als „Arbeitszeit“ anzusehen seien.

Nach diesen Vorgaben müssen nun die zuständigen nationalen Gerichte die Rechtsfälle entscheiden, für welche die Vorabentscheidungen des EuGH bindend sind. 

(EuGH, Urteile v. 09.03.2021, Rs. C-580/19 und Rs.C-344/19).

Hintergrund: Rufbereitschaft

Rufbereitschaft ist dadurch gekennzeichnet, dass der Arbeitnehmer sich nach eigener Wahl frei bewegen kann und nur seine ständige Erreichbarkeit gewährleisten muss (BAG, Urteil v. 24.10.2000,  9 AZR 634/99, NZA 2001, 449). Der Arbeitnehmer, der sich in Rufbereitschaft befindet, kann folglich im Unterschied zum Arbeitnehmer im Bereitschaftsdienst seinen Aufenthaltsort selbst bestimmen. Allerdings muss er bei Abruf seine Arbeit alsbald aufnehmen können. Dies bedeutet, dass er sich noch in einer Entfernung von der Arbeitsstelle aufhalten muss, die es ihm gestattet, diese in angemessen kurzer Zeit zu erreichen (BAG, Urteil v. 19.12.1991, 6 AZR 592/89, NZA 1992, 560).

Entsprechendes gilt für die Erreichbarkeit per Mobiltelefon. In diesem Falle kann der Arbeitnehmer seinen Aufenthaltsort wählen, ohne seinen Arbeitgeber jeweils informieren zu müssen. Er ist verpflichtet, über ein von ihm ständig betriebs- und empfangsbereit zu haltendes Funktelefon erreichbar zu sein (BAG, Urteil v. 29.6.2000, 6 AZR 900/98, NZA 2001, 165).
Aus: Deutsches Anwalt Office Premium

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Schlagworte zum Thema:  Arbeitszeit, Arbeitszeitgesetz