Auskunftspflicht der Kinder beim Elternunterhalt

Bei pflegebedürftigen Eltern sind Kinder gegenüber dem Sozialhilfeträger erst ab einem Bruttojahreseinkommen von mehr als 100.000 EUR zur Auskunft über ihre Einkommensverhältnisse verpflichtet.

Das BSG hat eine für Kinder pflegebedürftiger Eltern bedeutende Grundsatzentscheidung getroffen. Danach müssen Kinder

  • erst bei einem Bruttojahreseinkommen von über 100.000 EUR Auskunft über ihr Einkommen erteilen.
  • Eine Auskunftspflicht setzt konkrete Anhaltspunkte für die Annahme voraus, dass das Einkommen des Kindes diese Einkommenshöhe erreicht.
  • Eine Auskunft über die Vermögensverhältnisse kann erst in einer sich anschließenden 2. Stufe verlangt werden, wenn feststeht, dass die Einkommensgrenze überschritten wird.

Sozialhilfeträger verlangt Einkommens- und Vermögensauskunft

Im konkreten Fall hatte der Sohn eines in einem Seniorenheim lebenden Vaters vor dem Sozialgericht gegen den Sozialhilfeträger geklagt. Der Sozialhilfeträger leistete Beihilfe zur Pflege des Vaters und forderte vom Sohn Auskunft über sein jährliches Einkommen sowie über sein Vermögen. Das Auskunftsverlangen begründete der Sozialhilfeträger damit, dass aufgrund von aus dem Internet ersichtlichen Informationen zum Arbeitgeber des Sohnes davon auszugehen sei, dass dieser ein Jahreseinkommen von über 100.000 EUR bezieht.

Klage des Sohns gegen Auskunftsverwaltungsakt

Der Sohn wehrte sich gerichtlich gegen das Auskunftsersuchen des Sozialhilfeträgers. Nach unterschiedlichen Instanzentscheidungen gab das Bundessozialgericht (BSG) dem klagenden Sohn recht und hob den Bescheid des Sozialhilfeträgers auf Einkommens- und Vermögensauskunft auf. Nach Auffassung des BSG hat der angegriffene Auskunftsverwaltungsakt die Grenzen der gesetzlichen Ermächtigung zur Einholung von Auskünften gegenüber Angehörigen überschritten.

Entlastung unterhaltsverpflichteter Kinder

Das BSG stellte klar, dass ein möglicher Unterhaltsanspruch der Eltern gemäß § 1601 BGB gegenüber einem erwachsenen Kind gemäß § 94 Absatz 1a SGB XII erst dann auf den Sozialhilfeträger übergeht, wenn die Summe seiner einkommensteuerrechtlich relevanten Einkünfte einen Jahresbetrag von 100.000 EUR übersteigt. Mit dem Angehörigen-Entlastungsgesetz hatte der Gesetzgeber mit Wirkung zum 1.1.2020 eine umfassende Beschränkung des grundsätzlich vorgesehenen Anspruchsübergangs nach § 94 Abs. 1 SGB XII zum Zweck der Entlastung von unterhaltsverpflichteten Kindern und Eltern vorgenommen. Hiermit sollte die sogenannte „verschämte Armut“ eingedämmt werden, die entsteht, wenn Eltern auf Sozialleistungen verzichten, um einen Rückgriff der Sozialhilfeträger auf ihre Kinder als Unterhaltspflichtige zu verhindern.

Konkrete Anhaltspunkte für Überschreitung der Einkommensgrenze erforderlich

Der Sozialhilfeträger kann nach der Entscheidung des BSG die Auskunft über das jährliche Einkommen erst dann verlangen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Einkommensgrenze von 100.000 EUR jährlich überschritten wird. Insoweit bestehe nach dem Angehörigen-Entlastungsgesetz eine generelle gesetzliche Vermutung, dass diese Grenze nicht überschritten wird. Zur Widerlegung dieser Vermutung sei eine durch konkrete Umstände belegte gewisse Wahrscheinlichkeit der Überschreitung dieser Einkommensgrenze darzulegen.

Sozialhilfeträger darf eigene Nachforschungen anstellen

Zum Zwecke der Nachforschung dürften Sozialhilfeträger nach Auffassung des BSG die ihnen zur Verfügung stehenden und zugänglichen Quellen zur Ermittlung des Einkommens der betroffenen Personen nutzen. Hierzu gehören auch Informationen aus dem Internet als öffentlich allgemein zugänglicher Quelle sowie Erfahrungswerte hinsichtlich bestimmter Berufe, bei denen bekanntermaßen sehr gut verdient wird.

Hinreichende Anhaltspunkte für Überschreitung der Einkommensgrenze

Im konkreten Fall besteht nach Auffassung des BSG aufgrund der aus dem Internet ersichtlichen Informationen eine nicht fernliegende Wahrscheinlichkeit, dass das jährliche Einkommen des Sohnes die von § 94 Absatz 1a Satz 5 SGB XII gezogene Einkommensgrenze überschreitet. Dieser arbeite als CTO (Chief Technology Officer) in einer europaweit tätigen Digitalagentur. Bei dieser Tätigkeit sei von einem Einkommen in dieser Größenordnung auszugehen. Damit bestehe grundsätzlich eine Auskunftspflicht gemäß § 117 SGB XII.

Auskunftspflicht ist zweistufig angelegt

Nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Vorschriften, unter Berücksichtigung des Nachranggrundsatzes sowie unter Beachtung des verfassungsrechtlich geschützten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist nach Auffassung des Gerichts allerdings von einer 2-stufigen Auskunftsverpflichtung auszugehen. Erst nachdem feststehe, dass das Einkommen die 100.000 EUR Grenze überschreite, dürfe nach dem Vermögen gefragt werden. In der 1. Stufe sei daher das Auskunftsrecht gegenüber erwachsenen Kindern von pflegebedürftigen Eltern zunächst auf das Einkommen des Kindes beschränkt. Erst in der 2. Stufe könne der Sozialhilfeträger auch eine Auskunft über die Vermögensverhältnisse fordern.

Auskunftsverlangen war zu weit gefasst

Da der Sozialhilfeträger im konkreten Fall eine Auskunft sowohl über die Einkommens- als auch über die Vermögensverhältnisse des Kindes verlangt hatte, bewertete das BSG den Auskunftsverwaltungsakt insgesamt als nicht von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt und damit als rechtswidrig. Die Klage des Sohnes war damit erfolgreich.

(BSG, Urteil v. 21.11.2024, B 8 SO 5/23 R)