Zum Abschied von André Große-Jäger BMAS

Im Bundesministerium für Arbeit und Soziales hinterlässt André Große-Jäger einen großen Fußabdruck. In 35 Berufsjahren baute sich der Referatsleiter ein großes Netzwerk in der Politik, bei Sozialpartnern, Verbänden und in die Unternehmen auf. Sein Verdienst: Den klassischen Arbeitsschutz hat er zu einem normativen Konzept der menschengerechten Gestaltung der Arbeitswelt fortentwickelt. Eine Würdigung.

André Große-Jäger hat sich schon als junger Mensch dafür entschieden, in der Arbeitsverwaltung Karriere zu machen. Nach dem Studium der Umwelttechnik stieg er 1986 bei der Hessischen Landesanstalt für Umwelt in Kassel in den Beruf ein. Bei der Gremienarbeit, die ihn das ganze Berufsleben begleiten sollte, lernte er Mitarbeitende aus dem Bundesarbeitsministerium (BMAS) kennen, die offenbar von seinen Kompetenzen und seinem Charme angetan waren und ihn 1989 ins BMAS lockten, das in Bonn, dem damaligen Sitz der Bundesregierung, angesiedelt war. Als der junge Umwelttechniker seine Mutter voller Stolz über den neuen Job informierte, kommentierte diese den anstehenden Wechsel voller Skepsis: "Ist das für Dich nicht eine Nummer zu groß?" Vom Wechsel in die Arbeitsverwaltung konnte sie ihn nicht mehr abhalten, er trat seinen Dienst unter dem damaligen Bundesminister Norbert Blüm an und bewies in seinem Berufsleben, dass er der Aufgabe nicht nur gewachsen war, sondern seine Rolle als aktiver Gestalter der Arbeitswelt fand.

Humanisierung der Arbeitswelt

In den ersten Berufsjahren, Ender der achtziger Jahre, war die Humanisierung der Arbeitswelt ein mächtiges Thema im BMAS. In den Fabriken war der Taylorismus in der Krise, neue Produktions- und Arbeitskonzepte wie Gruppenarbeit wurden entwickelt. Es gab eine Euphorie in der Arbeitsgestaltung und große Etats standen für Projekte mit den Sozialpartnern zur Verfügung. Große-Jäger steckte die Euphorie an, er war an den großen Projekten beteiligt und konnte bei Spezialaufgaben im Arbeitsschutz, etwa zur Betriebssicherheit und zu Störfällen, seine Kompetenzen unter Beweis stellen.

Gründung der INQA

Die Gründung der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) im Jahr 2002 war ein Meilenstein für seine weitere Karriere, die auch das Selbstverständnis des Arbeitsschutzes im Ministerium veränderte. Was in den Projekten zur Humanisierung der Arbeitswelt ausgearbeitet wurde, fand jetzt in der INQA auch einen institutionellen Ort. Die INQA sollte ein Forum werden, in dem sich Sozialpartner zusammen mit Unternehmen über eine menschengerechte Gestaltung der Arbeitswelt austauschen und dafür auch Benchmarks entwickeln. Beim Arbeitsschutz ging es jetzt nicht mehr allein darum, Beschäftigte durch Gesetze und Verordnungen vor schlechten Arbeitsbedingungen zu schützen, sondern das Ministerium wollte sich fortan auch darum kümmern, was gute Arbeitsbedingungen ausmacht. Dieses neue Selbstverständnis des Arbeitsschutzes, das schon in den Projekten zur Humanisierung der Arbeitswelt vorgedacht wurde, trägt bis heute maßgeblich auch die Handschrift von Große-Jäger.

Die Gründungsgeschichte der INQA zeigt, wie Große-Jäger es verstand, die Möglichkeiten eines Ministeriums zu nutzen. Große-Jäger war beauftragt, eine Rede für den damaligen Bundesarbeitsminister Walter Riester zu schreiben. Zusammen mit einem Kollegen formulierte er eine Passage in der Rede, dass "eine neue Initiative für die Qualität der Arbeit" notwendig sei, um die Zukunftsfragen besser lösen zu können. Das war mutig, hatte es doch zu diesem Thema noch keinen Austausch mit dem Minister gegeben. Doch Riester hielt sich ans Manuskript und trug die Passage vor. Das Thema passte in die Zeit und fand Resonanz, es kam zu Rückfragen. Der Minister wollte jetzt kurzfristig ein Konzept für eine solche Initiative haben. Große-Jäger und seine Kollegen standen bereit. Die Initiative war geboren.

Im Arbeitgeberlager fand die Initiative zunächst keinen Anklang. Die Arbeitgeberverbände beteiligten sich, aber manche Personalmanager kritisierten, dass ein Ministerium sich nicht einmischen soll, Standards für gute Arbeit zu formulieren. Doch die Kritik verstummte bald, mancher Kritiker wurde später selbst Botschafter der Initiative.

Große-Jäger: Ein Herz für Basisarbeit

Große-Jäger hört das Gras wachsen. Das stellte er in seinem Berufsleben immer wieder unter Beweis. In den 2010er Jahren entwickelte sich um New Work ein regelrechter Hype. In der Öffentlichkeit und auch bei HR-Fachleuten standen die Wissensarbeiter im Mittelpunkt, sie galten als die wichtigste Ressource für die Zukunft. Mit Arbeitszeitautonomie, Homeoffice und Eigenverantwortung wurden Arbeitskonzepte eingeführt, die sich vor allem um die Wissensarbeit drehten. Große-Jäger stand den Diskussionen zwar positiv gegenüber, erkannte früh aber auch die Schattenseiten. Er stellte berechtigte Fragen: "Wer hält eigentlich die ganze Gesellschaft am Laufen? Sind das nicht auch die Paketboten, die Kassiererinnen in den Supermärkten oder die Reinigungskräfte?" Große-Jäger hatte nicht nur ein Herz für die "kleinen Leute" – er versuchte, für sie etwas zu bewegen. Mit dem Projekt "Basisarbeit" ließ er nicht nur die Arbeitsbedingungen dieser Berufsgruppen erforschen, er initiierte einen gesellschaftlichen Dialog, um den Basisarbeitenden mehr Sichtbarkeit zu verschaffen. Die Betriebe, so seine Mission, sollten sich mehr um deren Bedürfnisse kümmern und deren Arbeitsbedingungen verbessern.  

Steuerung durch Corona

Die Coronapandemie erschütterte im Jahr 2020 die Arbeitswelt. Um die Ausbreitung des Virus zu vermeiden, sollten Beschäftigte Kontakte vermeiden und Abstand halten, sodass bestehende Arbeitskonzepte nicht mehr funktionierten. Der Arbeits- und Gesundheitsschutz stand plötzlich im Mittelpunkt. Große-Jäger und sein Team waren gefordert. Die Lage änderte sich ständig, es mussten Verordnungen und Gesetze geschrieben werden, um Orientierung und Rechtssicherheit zu schaffen. "Unsere Überlegungen drehten sich immer um die Frage, wie man die Arbeit in den Betrieben aufrechterhalten kann", erläutert Große-Jäger, der in dieser Zeit auch abends und an Wochenenden arbeiten musste.

"Das war ein riesiges Arbeitspensum", sagt er und blickt mit etwas Stolz auf das Erreichte zurück: Die Verordnungen seien größtenteils umgesetzt worden, sie hätten in der Arbeitswelt Rechtssicherheit geschaffen. Betriebe und Beschäftigte in Deutschland seien im europäischen Vergleich gut durch die Pandemiejahre gekommen. "Das wurde auch vom Minister wahrgenommen", sagt Große-Jäger in der ihm eigentümlichen Bescheidenheit und verweist auf die agile und abteilungsübergreifende Teamarbeit, die das möglich gemacht habe - ganz der Teamplayer.

Für viele ein Vorbild

Menschengerechte Gestaltung der Arbeit hat Große-Jäger nicht nur propagiert, sondern auch gelebt. Sein Führungsverhalten wird von seinen Mitarbeitenden geschätzt, im Ministerium ist er bestens vernetzt und geschätzt. "Er ist ein Menschenfänger", sagt jemand, der viele Jahre eng mit ihm zusammengearbeitet hat.

Hat er in seinen 35 Dienstjahren einen Beitrag geleistet, um die Arbeitswelt besser zu machen? Große-Jäger zögert mit der Antwort. In seinem Kopf drehen sich die Gedanken um die Paketzusteller, die ihren Job wegen dem Verschleiß meist nicht bis zur Rente ausüben können. "Die Arbeitswelt entwickelt sich ständig weiter. Der Fortschritt bringt auch immer neue Gefahren und Probleme mit sich, um die man sich kümmern muss", sagt er und ergänzt: "Wir sind nie damit fertig, uns um eine menschengerechte Gestaltung der Arbeitswelt kümmern zu müssen."

Die Gestaltungsfreiheit im Bundesarbeitsministerium schätzt er sehr, gerade auch in den letzten Dienstjahren. "Auch früher habe ich viele Vorschläge gemacht. Aber niemand glaubte, dass diese umsetzbar seien. In den letzten Jahren war das Vertrauen groß und ich konnte vieles bewegen", blickt Große-Jäger zurück. Und was hat ihn den vielen Jahren am meisten beeindruckt? "Ich habe über meinen Beruf viele interessante Leute kennengelernt. Das war das Tollste am Job."

Schlagworte zum Thema:  Arbeitsrecht, New Work