Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Abgrenzung der Arbeitnehmer von den Selbständigen im Sozialversicherungsrecht (hier: Konkursausfallgeldrecht)

 

Leitsatz (redaktionell)

Gründet ein bisher selbständiger Handwerker zusammen mit seiner Ehefrau eine GmbH & Co KG, deren Geschäftsführung er übernimmt, so wird er nur dann Arbeitnehmer iS des Sozialversicherungsrechts, wenn er die wesentlichen wirtschaftlichen Entscheidungen tatsächlich nicht mehr allein treffen kann.

 

Orientierungssatz

Ob der Geschäftsführer einer GmbH u Co KG, an der er mit 5 % und seine Ehefrau mit 95 % kapitalmäßig beteiligt sind, iS der Kaug-Regelung (§ 141a ff AFG) als Arbeitnehmer oder als Selbständiger anzusehen ist, hängt von der Möglichkeit seiner tatsächlichen Einflußnahme auf die Entscheidungen der Gesellschaft ab. Dazu muß geklärt werden, ob den Gesellschaftsgründungen etwa wirtschaftliche Vorgänge zugrunde liegen, die es rechtfertigen, der Ehefrau praktisch das alleinige Stimmrecht in der GmbH einzuräumen. Falls die Ehefrau tatsächlich wesentliches Vermögen in das Geschäft eingebracht haben sollte, ist nicht auszuschließen, daß der Ehemann nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich verpflichtet war, vor wesentlichen wirtschaftlichen Entscheidungen die Zustimmung seiner Ehefrau einzuholen. Seine fachliche Überlegenheit als Handwerker schließt das nicht aus.

 

Normenkette

AFG § 141b; RVO § 165 Abs. 1 Nrn. 1-2; AFG § 168 Abs. 1 S. 1; SGB IV § 7 Fassung: 1976-12-23; RVO § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; AFG § 141a Fassung: 1974-07-17

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 05.12.1980; Aktenzeichen L 11 Al 61/79)

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 05.12.1980; Aktenzeichen L 11 Al 60/79)

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 05.12.1980; Aktenzeichen L 11 Al 59/79)

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 05.12.1980; Aktenzeichen L 11 Al 62/79)

SG Würzburg (Entscheidung vom 27.11.1978; Aktenzeichen S 6 Al 250/79)

SG Würzburg (Entscheidung vom 27.11.1978; Aktenzeichen S 6 Al 257/78)

SG Würzburg (Entscheidung vom 27.11.1978; Aktenzeichen S 6 Al 220/78)

SG Würzburg (Entscheidung vom 27.11.1978; Aktenzeichen S 6 Al 200/78)

 

Tatbestand

Der Streit geht darum, ob der Kläger als Geschäftsführer und Mitgesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) Konkursausfallgeld (Kaug) zu beanspruchen hat.

Der Kläger und seine Ehefrau waren die Gesellschafter der I - und W mbH, O. Diese Gesellschaft war die unbeschränkt haftende Gesellschafterin - Komplementärin - einer Kommanditgesellschaft -KG- (L - GmbH & Co KG). Der KG gehörte die Ehefrau des Klägers als Kommanditistin an. Die KG betrieb Bauarbeiten. Für den Kläger, der buchungsmäßig als Angestellter der GmbH behandelt wurde, sind zeitweise Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung gezahlt worden.

Am 14. September 1977 lehnte das Amtsgericht die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der GmbH mangels Masse ab.

Die Beklagte gewährte dem Kläger kein Kaug, weil er nicht Arbeitnehmer der GmbH gewesen sei (Bescheid vom 27. Dezember 1977; Widerspruchsbescheid vom 3. Juli 1978).

Das Sozialgericht (SG) Würzburg hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 27. November 1978), das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die zugelassene Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 5. Dezember 1980).

Der Kläger rügt mit der vom LSG zugelassenen Revision eine Verletzung der §§ 141a und 141b Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Er meint, er sei Arbeitnehmer im Sinne dieser Vorschriften gewesen. Er beantragt (sinngemäß),

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts

vom 5. Dezember 1980 und das Urteil des Sozialgerichts

Würzburg vom 27. November 1978 aufzuheben und die Beklagte

unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide zu

verurteilen, ihm für die Zeit vom 14. Juli bis 14. September

1977 Konkursausfallgeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben. Die Sache ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Nach § 141b Abs 1 AFG haben nur Arbeitnehmer Anspruch auf Kaug. Der Begriff des Arbeitnehmers ist in den Vorschriften über das Kaug (§§ 141a bis 141n AFG) nicht geregelt. Es gelten deshalb grundsätzlich die Abgrenzungsmerkmale, wie sie in den Vorschriften über die Beitragspflicht (§§ 167 bis 186 AFG) verwendet worden sind (Gagel in Gagel/Jülicher, Kommentar zum AFG, 1981, § 141a Anm 2; Schmitz/Specke/Picard, Kommentar zum AFG, 2. Aufl, Stand: 1. April 1981, § 141a Anm 1.1; Schönfelder/Kranz/Wanka, Kommentar zum AFG, Stand: Januar 1982, § 141b RdNr 3 - mit hier nicht interessierenden Einschränkungen). Dem steht nicht entgegen, daß Kaug nicht durch Beiträge der Arbeitnehmer finanziert wird. Nach § 168 Abs 1 Satz 1 AFG sind beitragspflichtig Personen, die als Arbeiter oder Angestellte gegen Entgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind (Arbeitnehmer). Diese Legaldefinition wird ergänzt ua durch § 173a, der für die Beitragspflicht auch der Arbeitnehmer auf die Vorschriften des 4. Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB 4) über die Beschäftigung (§ 7) verweist und die entsprechende Anwendung anordnet. Nach § 7 Abs 1 SGB 4 ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Deshalb können, wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 29. Juli 1982 (10 RAr 9/81, zur Veröffentlichung vorgesehen) entschieden hat, für die Abgrenzung der Arbeitnehmer von den Selbständigen die Gesichtspunkte dienen, die die Rechtsprechung zur Versicherungspflicht der Arbeiter und Angestellten in der Krankenversicherung (§ 165 Abs 1 Nrn 1 und 2 Reichsversicherungsordnung -RVO-) und in der Rentenversicherung (§ 1227 RVO, 2. Angestelltenversicherungsgesetz -AVG-) entwickelt hat.

Versicherungspflichtiger Arbeitnehmer ist danach, wer von einem Arbeitgeber persönlich abhängig ist (BSGE 20, 6, 8; 35, 20, 21; 38, 53, 57; 51, 165, 167). Wirtschaftliche Abhängigkeit wird nicht gefordert. Persönlich abhängig ist bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb der Beschäftigte, der in den Betrieb eingegliedert ist und einem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt, das Zeitdauer und Ort der Arbeitsausführung umfaßt (BSGE 13, 196, 197, 201 f; 35, 20, 21; SozR Nr 68 zu § 165 RVO; SozR 2200 § 1227 Nrn 4 und 8). Dieses Weisungsrecht kann allerdings besonders bei Diensten höherer Art erheblich eingeschränkt und "zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozeß verfeinert" sein (BSGE SozR 2200 § 1227 Nr 19; ähnlich auch schon BSGE 16, 289, 294). Kennzeichnend für eine selbständige Tätigkeit ist das eigene Unternehmerrisiko, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die Möglichkeit frei über Arbeitsort und Arbeitszeit zu verfügen (BSGE 13, 196, 201; 16, 289, 293; 35, 20, 21; 38, 53, 57; SozR Nr 68 zu § 165, SozR 2200 § 1227 Nrn 4, 8 und 19). Wenn eine Tätigkeit Merkmale aufweist, die auf Abhängigkeit und auf Unabhängigkeit hinweisen, ist entscheidend, welche Merkmale überwiegen. Dabei sind alle Umstände des Falles zu berücksichtigen. Maßgebend ist zunächst die vertragliche Ausgestaltung des Verhältnisses. Weicht diese jedoch von den tatsächlichen Verhältnissen ab, so sind diese entscheidend (BSGE 35, 20, 21; 38, 53, 57; BSG SozR 2200 § 1227 Nrn 4, 8 und 19). Ergeben die Ermittlungen keine eindeutige Antwort auf die Frage, ob eine abhängige Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit vorliegt, ist das bisherige Berufsleben als weiteres Indiz heranzuziehen (BSG SozR 2200 § 1227 Nr 19 S 44).

Das LSG hat sich von diesen Gesichtspunkten leiten lassen und zutreffend erkannt, daß der Geschäftsführer einer GmbH und der Betriebsleiter eines Handwerksbetriebs von der GmbH und dem Betriebsinhaber derartig abhängig sein kann, daß er als Arbeitnehmer zu kennzeichnen ist (BSG SozR § 3 AFG Nr 22 = NJW 1974, 207; BSGE 13, 196, 198, 200). Es hat auch zutreffend erkannt, daß hier indessen vieles dafür spricht, daß der Kläger nicht persönlich abhängig war, sondern "Kopf und Seele" des Handwerksbetriebs geblieben ist, den er als Alleininhaber, dann in der Rechtsform einer KG, schließlich in der einer GmbH und Co KG geführt hat. Die dazu getroffenen tatsächlichen Feststellungen reichen allerdings nicht aus, um dies mit hinreichender Sicherheit sagen zu können.

Der Kläger und seine Ehefrau haben mit gesellschaftsrechtlichen Mitteln bewirkt, daß der Kläger nicht Alleininhaber seines Handwerksbetriebs geblieben ist, sondern Komplementär einer KG und dann geschäftsführender Angestellter einer GmbH wurde. An dieser GmbH wurde der Kläger nur zu fünf Prozent, seine Ehefrau zu 95 Prozent beteiligt. Die GmbH übernahm die Stellung des Klägers als Komplementär der KG.

Diese Veränderungen, die schriftlich nur durch den GmbH-Vertrag durchgeführt wurden, machten nach der oben angeführten Rechtsprechung aus dem ursprünglich selbständigen Kläger nur dann einen Arbeitnehmer, wenn er persönlich abhängig wurde. Das ist dann der Fall, wenn die geschilderten rechtlichen Veränderungen tatsächlich auch in der Weise durchgeführt wurden, daß der Kläger in seinen geschäftlichen Entscheidungen mehr als bisher auf die Zustimmung seiner Ehefrau angewiesen war. Das LSG hat zwar festgestellt, daß der Kläger in seinen Entscheidungen nicht durch die Gesellschaftsgründung eingeschränkt worden sei. Diese Feststellung ist aber nicht überzeugend begründet. Es ist nicht festgestellt worden, warum der Kläger und seine Ehefrau die Gesellschaftsgründungen durchgeführt haben. Das ist nachzuholen. Sollten gewichtige wirtschaftliche Gründe maßgebend gewesen sein, so könnte sich ergeben, daß der Kläger tatsächlich wesentliche Entscheidungen nicht mehr unabhängig treffen konnte. Daran wäre besonders dann zu denken, wenn der Kläger etwa deshalb hinsichtlich Kapitalbeteiligung und Stimmrecht nur geringfügig an der GmbH beteiligt worden wäre, weil seine Ehefrau die Kapitalgeberin war. Sind allerdings die gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen nur deshalb getroffen worden, weil der Kläger dadurch haftungsrechtlich oder / und steuerrechtlich besser zu stehen glaubt, so hat sich an der Selbständigkeit des Klägers wahrscheinlich nichts geändert.

Die Meinung der Revision, es sei schon ohne weitere tatsächliche Feststellungen klar, daß das sachliche Recht es verbiete, den Kläger als Selbständigen zu behandeln, trifft nicht zu.

Gegen die Behandlung des Klägers als Selbständigen spricht nicht das im Sozialversicherungsrecht in den letzten Jahrzehnten anerkannte Interesse, auch zwischen Familienangehörigen Beschäftigungsverhältnisse und damit sozialversicherungsrechtlichen Schutz grundsätzlich anzuerkennen. Denn anerkannt ist damit nur, daß familienrechtliche Bindungen nicht grundsätzlich arbeitsrechtliche Weisungen ausschließen (zur Rechtsentwicklung: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand: März 1982, § 165 Anm 4 b aa). Hier kann aber möglicherweise festgestellt werden, daß der Kläger keinen Weisungen seiner Ehefrau unterworfen war. Dazu reicht allerdings nicht, daß der Kläger seiner Ehefrau fachlich überlegen war.

Gegen die Selbständigkeit des Klägers spricht auch nicht, daß er nur mit einem verhältnismäßig geringen Kapital und Stimmrecht an der GmbH beteiligt worden ist. Die Selbständigkeit eines Gesellschafter-Geschäftsführers ist nicht davon abhängig, daß er gerade über seine Kapitalbeteiligung einen entscheidenden Einfluß auf die Gesellschaft ausüben kann (BSGE 38, 53, 58). Auch bei einem GmbH-Geschäftsführer ohne Kapitalbeteiligung können die Verhältnisse so liegen, daß Selbständigkeit angenommen werden muß (BSG SozR § 3 AVG Nr 22 = NJW 1974, 207; BSGE 13, 196, 201; zur Unfallversicherung vgl BSGE 17, 15, 20).

Entgegen der Meinung des Klägers, das Handwerksrecht verlange, daß zwischen einer Kapitalgesellschaft und dem Betriebsleiter ein Arbeitsverhältnis bestehe, verlangt das Handwerksrecht nur, daß der Betrieb einer Kapitalgesellschaft von einem Handwerker geleitet wird (§ 7 Abs 4 Satz 1 Handwerksordnung), nicht aber, daß dieser Handwerker gegenüber der Gesellschaft weisungsgebunden ist.

Der Kläger muß schließlich auch nicht deshalb als Arbeitnehmer behandelt werden, weil die Einzugsstelle ihn als versicherungspflichtig in der Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung behandelt hat. Dieses Verhalten der Einzugsstelle könnte allenfalls zu Überlegungen dahin führen, ob der Kläger in den Versicherungszweigen als Arbeitnehmer zu behandeln ist, für die die Einzugsstelle tätig wird (vgl §§ 213, 1422 RVO, 144 AVG, 186 AFG). Hierüber ist aber hier nicht zu entscheiden. Die Kaug-Versicherung gehört nämlich nicht zu diesen Versicherungszweigen. Die Kaug-Versicherung wird nicht durch Beiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber finanziert, die die Einzugsstelle einzieht, sondern nur durch Umlage der Arbeitgeber, die die zuständige Berufsgenossenschaft erhebt (§ 186c AFG). Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 60387

HFR 1984, 241-242 (LT1)

RegNr, 9970

Das Beitragsrecht Meuer, 59 B 39 (ST1)

KVRS, A-1000/18 (LT1)

USK, 82140 (ST1)

ZIP 1983, 103

ZIP 1983, 103-104 (LT1)

Breith 1983, 739-742 (LT1)

DBlR 2799a, AFG/§ 141b (ST1)

MDR 1983, 436 (LT1)

SozR 2100 § 7, Nr 7 (LT1)

VersR 1983, 296-297 (LT1)

Breith. 1983, 739

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