Der Anspruch folgt nicht aus § 113 Abs. 3 BetrVG. Zwar kann danach ein Arbeitnehmer, der infolge einer Betriebsänderung iSv. § 111 BetrVG entlassen worden ist, grundsätzlich einen Nachteilsausgleich verlangen, wenn der Unternehmer die Betriebsänderung durchführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben; diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Nach § 118 Abs. 1 Satz 2 BetrVG sind jedoch die §§ 111 bis 113 BetrVG auf Unternehmen, die Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung dienen, nur insoweit anzuwenden, als sie den Ausgleich oder die Milderung wirtschaftlicher Nachteile für die Arbeitnehmer infolge von Betriebsänderungen regeln. Die Beklagte ist ein solches Unternehmen. Sie musste deshalb einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat nicht versuchen. Den eingeschränkten Anforderungen der § 111 Satz 1, § 118 Abs.1 Satz 2 BetrVG ist sie nachgekommen.
1. Die Beklagte hat eine Betriebsänderung iSd. § 111 BetrVG durchgeführt.
a) Bei einer Gesamtbelegschaft von etwa 450 Arbeitnehmern liegt in der Kündigung und anschließenden Entlassung von 38 Mitarbeitern zum 30. Juni 2001 eine Einschränkung des Betriebs nach § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG. Eine Betriebseinschränkung kann in einem bloßen Personalabbau bestehen. Voraussetzung ist, dass die Personalreduzierung den Quoten des § 17 Abs. 1 KSchG entspricht und dabei zumindest 5 % der Gesamtbelegschaft betroffen sind (BAG 10. Dezember 1996 – 1 AZR 290/96 – AP BetrVG 1972 § 113 Nr. 32 = EzA BetrVG 1972 § 111 Nr. 34; 6. Dezember 1988 – 1 ABR 47/87 – BAGE 60, 237, 241, zu B II 3b der Gründe). Das ist hier der Fall. Eine Entlassung liegt auch dann vor, wenn ein Arbeitsverhältnis beendet und dem Arbeitnehmer die Weiterbeschäftigung als freier Mitarbeiter oder selbständiger Handelsvertreter angeboten wird.
b) Die Aufgabe des mit eigenen Angestellten durchgeführten Anzeigendienstes zugunsten des Aufbaus eines Netzes selbständiger Handelsvertreter mit neu zugeschnittenen Zuständigkeitsgebieten stellt zugleich eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation iSv. § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG dar. Eine Änderung der Betriebsorganisation liegt vor, wenn der Betriebsaufbau, insbesondere hinsichtlich Zuständigkeiten und Verantwortung, umgewandelt wird (Fitting BetrVG § 111 Rn. 92; Hess in HSWG § 111 Rn. 70). Grundlegend ist die Änderung, wenn sie sich auf den Betriebsablauf in erheblicher Weise auswirkt; maßgeblich ist dafür der Grad der Veränderung (BAG 26. Oktober 1982 – 1 ABR 11/81 – BAGE 41, 92). Die Beklagte hat die Zuständigkeit und Verantwortung für den Anzeigendienst auf außerhalb des Betriebs stehende Handelsvertreter verlagert. Dies war wegen des damit einhergehenden Verlustes betrieblicher Arbeitsplätze mit einer erheblichen Umgestaltung des Betriebsaufbaus und -ablaufs verbunden.
2. Die Beklagte musste wegen § 118 Abs. 1 Satz 2 BetrVG mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich, dh. eine Verständigung über das Ob und Wie der beabsichtigten Maßnahme nicht versuchen.
a) Bei der Beklagten handelt es sich um einen Tendenzbetrieb iSd. § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG. Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung dienen alle Unternehmen, die Zeitungen oder Zeitschriften veröffentlichen (BAG 7. November 1975 – 1 ABR 78/74 – BAGE 27, 322, 328, zu III 2 der Gründe). Dem entspricht der Schwerpunkt der geschäftlichen Tätigkeit der Beklagten. Dieser liegt in der Herausgabe der “M Ozeitung”. Nach den unangegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts tritt der Vertrieb der reinen Anzeigenblätter dahinter zurück.
b) Bei Betriebsänderungen besteht auch in Tendenzbetrieben iSd. § 118 Abs. 1 Satz 2 BetrVG eine Pflicht zur vorherigen Unterrichtung und Konsultation des Betriebsrats, deren Verletzung zu Nachteilsausgleichsansprüchen nach § 113 Abs. 3 BetrVG führen kann. Dagegen ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, einen Interessenausgleich zu versuchen.
aa) Im Schrifttum wird allerdings die Auffassung vertreten, § 113 Abs. 3 in Verb. mit § 111 BetrVG finde auch in Tendenzbetrieben uneingeschränkt Anwendung (DKK- Wedde § 118 Rn. 61, 62; Wedde Anm. AiB 2000, 42). Dies folge aus dem Wortlaut des § 118 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, der mit § 113 auf eine Vorschrift Bezug nehme, die vorrangig vom Interessenausgleich handele. Wenn sich daraus nicht entsprechende Beteiligungsrechte des Betriebsrats ableiten ließen, sei die Verweisung sinnlos. Auch der Tendenzunternehmer habe deshalb über das Ob und Wie der Betriebsänderung vor deren Durchführung mit dem Betriebsrat zu beraten.
Ein anderer Teil des Schrifttums ist statt dessen der Ansicht, § 113 Abs. 3 BetrVG sei auf Tendenzbetriebe gänzlich unanwendbar (Richardi/Thüsing BetrVG § 118 Rn. 172; Fabricius/Weber GK-BetrVG § 118 Rn. 152; MünchArbR/Matthes § 365 Rn. 5; Kraft Anm. EzA BetrVG 1972 § 113 Nr. 27; Rinsdorf ZTR 2001, 197). Die einschränkende Formulierung in § 118 Abs. 1 Satz 2 BetrVG stimme mit der Definition des Sozialplans in § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG überein. § 113 Abs. 3 BetrVG verhalte sich dagegen ausschließlich über den Interessenausgleich und habe deshalb im Tendenzbetrieb keinen Anwendungsbereich. Weil das Fehlen einer Einflussmöglichkeit auf das Ob und Wie der Betriebsänderung für Tendenzbetriebe gesetzlich gewollt sei, führe dies nicht zu einer Schutzlücke. Der Betriebrat könne einen Sozialplan auch noch nach Durchführung der Betriebsänderung erzwingen. Demgegenüber sei nicht auszuschließen, dass selbst eine nur hinsichtlich des Sozialplans bestehende Pflicht zur vorherigen Unterrichtung und Beratung mittelbar Einfluss auf die Durchführung der Betriebsänderung als solche habe.
bb) Der Senat hat im Urteil vom 27. Oktober 1998 (– 1 AZR 766/97 – BAGE 90, 65, 72 ff., zu III 2b der Gründe) darauf erkannt, dass keiner dieser Auffassungen zu folgen ist. Vielmehr ist in Tendenzbetrieben § 113 Abs. 3 BetrVG jedenfalls insoweit anzuwenden, als die Vorschrift eine Sanktion für die Verletzung von Pflichten bietet, die dem Arbeitgeber im Hinblick auf das Zustandekommen eines Sozialplans auferlegt sind.
§ 118 Abs. 1 Satz 2 BetrVG enthält einen Anwendungsbefehl, der sich mit den vorgesehenen Einschränkungen ausdrücklich auch auf § 113 BetrVG erstreckt. Das vom Gesetz anerkannte, auf den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile für die Belegschaft bezogene kollektive Interesse besteht darin, dass der Betriebsrat in die Lage versetzt werden muss, sein Mitbestimmungsrecht nach § 112 Abs. 4 BetrVG wirksam auszuüben. Dies kann er nur, wenn der Arbeitgeber seine in diesem Umfang auch in Tendenzbetrieben bestehende Pflicht aus § 111 Satz 1 BetrVG erfüllt. Er muss den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend über die geplante Betriebsänderung unterrichten und im Hinblick auf die sozialen Folgen mit ihm beraten. Wenn die Anwendung von § 113 Abs. 3 BetrVG auch im Falle der Verletzung dieser beschränkten Pflicht ausgeschlossen wäre, bestünde in Tendenzbetrieben eine gesetzlich nicht gewollte Schutzlücke. Zwar sichert die dort vorgesehene Sanktion dem Wortlaut nach nur den Versuch des Interessenausgleichs und auf diese Weise auch die damit untrennbar verbundene Information und Beratung. Da letztere aber zugleich eine unverzichtbare Grundlage für das spätere Zustandekommen eines Sozialplans darstellen, erstreckt sich die tatsächliche Schutzwirkung des § 113 Abs. 3 BetrVG immer auch auf den Sozialplan. Obwohl der Betriebsrat einen Sozialplan noch nach Durchführung der Betriebsänderung durchsetzen kann, erfordern die auch im Tendenzbetrieb geschützten Belange der betroffenen Arbeitnehmer eine frühzeitige Erwägung aller sozialen Folgen einer Betriebsänderung und der Maßnahmen, die zum Ausgleich und zur Milderung in Betracht kommen. Diese Belange werden beeinträchtigt, wenn mangels rechtzeitiger Unterrichtung des Betriebsrats im Vorfeld der Betriebsänderung, zB selbst nach dem Ausspruch von Kündigungen, noch völlige Unklarheit über einen möglichen Sozialplan und damit über die Bedingungen bestehen, auf welche die Arbeitnehmer sich einzustellen haben und reagieren können. Der Schutzbedarf des Betriebsrats beschränkt sich in diesem Zusammenhang auf die rechtzeitige Verfügbarkeit der Informationen, die er benötigt, um erforderlichenfalls mit Hilfe seines Initiativrechts auch gegen den Willen des Arbeitgebers das Verfahren zur Aufstellung eines Sozialplans in Gang zu setzen.
An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Sie hat im Schrifttum Zustimmung erfahren (vgl. Fitting BetrVG § 118 Rn. 47; HaKo-BetrVG/Lakies § 118 Rn. 23; Kukat Anm. BB 1999, 688; wohl auch ErfK/Kania § 118 BetrVG Rn. 18). Argumente, mit denen sich der Senat nicht bereits auseinandergesetzt hätte, sind in ablehnenden Stellungnahmen nicht vorgebracht worden (vgl. etwa Hess in HSWG § 118 Rn. 55; Fabricius/Weber GK-BetrVG § 118 Rn. 149, 152).
c) Die nach § 118 Abs. 1 Satz 1 in Verb. mit § 111 Satz 1 BetrVG auch im Tendenzbetrieb vor Durchführung der Betriebsänderung gebotene Unterrichtung und Beratung hat die Beklagte im ausreichenden Maße vorgenommen.
aa) Sie hat gegen ihre Unterrichtungs- und Beratungspflicht nicht etwa dadurch verstoßen, dass sie den Betriebsrat erst nach ihrer endgültigen Änderungsentscheidung vom 16. Februar 2001 beteiligt hat. Der Tendenzunternehmer hat mit dem Betriebsrat keinen Interessenausgleich über das Ob und Wie der geplanten Betriebsänderung zu versuchen. Hinsichtlich des Sozialplans ist es nach § 118 Abs. 1 Satz 2 in Verb. mit § 111 Satz 1 BetrVG rechtzeitig, wenn er den Betriebsrat vor der Durchführung der Betriebsänderung, hier also vor dem Ausspruch von Kündigungen unterrichtet und Beratungen mit ihm aufgenommen hat (BAG 27. Oktober 1998 – 1 AZR 766/97 – BAGE 90, 65, 73 ff., zu III 2b bb der Gründe; Bauer/Lingemann NZA 1995, 813, 815).
bb) Die Beklagte hat die erforderlichen Auskünfte im vorstehenden Sinne rechtzeitig und inhaltlich ausreichend erteilt.
Unmittelbar nachdem sie dies beschlossen hatte, hat die Beklagte den Betriebsrat am 19. Februar 2001 darüber informiert, dass sie die angestellten Anzeigenberater durch selbständige Handelsvertreter ersetzen und die Anzahl der Verkaufsgebiete verringern wolle. Zugleich übermittelte sie dem Betriebsrat alle relevanten Sozialdaten der Betroffenen. Am 29. März 2001 sprach die Beklagte die beabsichtigten Kündigungen aus.
Der Betriebsrat hatte auf diese Weise schon knapp sechs Wochen vor dem Ausspruch der Kündigungen erfahren, dass die Beklagte die Aufgabe des eigenen Anzeigenbetriebs beschlossen hatte. Ebenso lang wusste er, wie viele Personen von der Maßnahme erfasst würden. Anhand der mitgeteilten Sozialdaten konnte er ferner ersehen, welche wirtschaftlichen Nachteile damit im Einzelfall verbunden wären. Der Betriebsrat war demnach bereits geraume Zeit vor Durchführung der Betriebsänderung in der Lage, eigene Vorstellungen hinsichtlich eines Sozialplans zu entwickeln und an die Beklagte heranzutragen. Der Umstand, dass er erst am 21. März 2001 erfuhr, wie vielen Personen tatsächlich ein Angebot zum Abschluss eines Handelsvertretervertrags unterbreitet würde, steht dem nicht entgegen. Dass nicht sämtliche Anzeigenberater als Handelsvertreter würden weiterarbeiten können, war ihm seit dem 19. Februar 2001 bekannt. Er konnte, wenn er dies für richtig hielt, von Anfang an entsprechend differenzierte Sozialplanregelungen ins Auge fassen. Es kommt hinzu, dass ihm die Beklagte am 19. März 2001 den eigenen Entwurf eines Sozialplans und damit eine weitere, detaillierte Beratungsgrundlage übermittelte und die Betriebsparteien am 23. und 26. März 2001 Verhandlungen aufnahmen.
cc) Die Beklagte war auch nicht verpflichtet, dem Betriebsrat die von ihm mit Schreiben vom 14. März 2001 erbetenen Auskünfte über die Gründe für die Umstellung des Anzeigenbetriebs, über die Höhe der erwarteten Einsparungen und die Bedingungen einer Weiterbeschäftigung als Handelsvertreter zu erteilen. Darauf erstreckte sich die Informationspflicht der Beklagten nicht. Der Tendenzunternehmer braucht den Betriebsrat über die Motive für die beabsichtigte Betriebsänderung nicht im Einzelnen zu unterrichten. Diese betreffen nicht den Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile. Die mit einer Betriebsänderung verbundenen Einsparungen können zwar von Bedeutung für die wirtschaftliche Vertretbarkeit des Gesamtvolumens eines Sozialplans sein (BAG 6. Mai 2003 – 1 ABR 11/02 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 161 = EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 8, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen), und auch die Bedingungen einer Weiterbeschäftigung als Handelsvertreter haben Einfluss auf den Umfang der wirtschaftlichen Nachteile der Betroffenen. In der Weigerung der Beklagten, diese Informationen zu erteilen, liegt aber kein nach § 118 Abs. 1 Satz 2, § 113 Abs. 3 BetrVG beachtlicher Verstoß. Der Betriebsrat kann auch dann sachangemessene Überlegungen zum Inhalt eines möglichen Sozialplans anstellen, wenn er nicht schon zu Beginn der Beratungen entsprechend unterrichtet ist. Um selbst ernst zu nehmende Regelungsvorschläge unterbreiten zu können, benötigt er nicht bereits bei Aufnahme von Verhandlungen sämtliche später möglicherweise tatsächlich relevant werdenden Informationen. Die Einigung über einen Sozialplan beruht regelmäßig auf einem Prozess der Annäherung unterschiedlicher Ausgangspositionen der Betriebsparteien, unabhängig davon, ob sie mit oder ohne Hilfe der Einigungsstelle zustande kommt. Das Prozesshafte der Verständigung würde übersehen, wenn der Unternehmer dem Betriebsrat schon zu Verhandlungsbeginn alle Daten mitzuteilen hätte, die sich schließlich für den als angemessen angesehenen Abschluss als erforderlich erweisen. § 118 Abs. 1 Satz 2 in Verb. mit § 111 Satz 1 BetrVG verlangt nicht, dass der Betriebsrat schon vor Durchführung der Betriebsänderung in die Lage versetzt wird, einen gegen alle Einwände abgesicherten Entwurf eines Sozialplans vorzulegen. Zur wirksamen Ausübung seines Mitbestimmungsrechts nach § 112 Abs. 4 BetrVG genügt es vielmehr, dass er bei Durchführung der Betriebsänderung imstande ist, einigermaßen fundiert abzuschätzen, auf welche Regelungen eines künftigen Sozialplans die Betroffenen sich einzustellen haben. Dies war dem Betriebsrat im Streitfall anhand der erteilten “Basisinformationen” möglich.
Auf eine andere Rechtsgrundlage als § 113 Abs. 3 BetrVG lassen sich Nachteilsausgleichsansprüche wegen der Verletzung von Informationspflichten nach deutschem Recht nicht stützen. Liegen – wie im Streitfall – deren Anwendungsvoraussetzungen nicht vor, ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts eine Korrektur dieses Ergebnisses auch im Hinblick auf die Richtlinie 98/59 EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl. EG Nr. L 225/16 vom 12. August 1998 – künftig: RL) nicht möglich.
1. Nach Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 RL hat der Arbeitgeber eines Betriebs mit in der Regel mindestens 300 Arbeitnehmern, der innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen mindestens 30 Arbeitnehmer entlässt, oder – je nach Wahl des Mitgliedstaates – der Arbeitgeber, der, unabhängig von der Betriebsgröße, innerhalb von 90 Tagen mindestens 20 Arbeitnehmer entlässt, die Arbeitnehmervertretung rechtzeitig zu konsultieren, um zu einer Einigung zu gelangen. Gemäß Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 RL erstrekken sich diese Konsultationen zumindest auf die Möglichkeit, Massenentlassungen zu vermeiden oder zu beschränken, und auf die Möglichkeit, ihre Folgen durch soziale Begleitmaßnahmen zu mildern. Damit die Arbeitnehmervertretung konstruktive Vorschläge unterbreiten kann, hat der Arbeitgeber ihr rechtzeitig im Verlauf der Konsultationen die zweckdienlichen Auskünfte, darunter in jedem Fall bestimmte, im Einzelnen aufgezählte Informationen zu erteilen. Nach Art. 6 RL haben die Mitgliedstaaten ausserdem dafür zu sorgen, dass den Arbeitnehmervertretungen und/oder den Arbeitnehmern administrative und/oder gerichtliche Verfahren zur Durchsetzung der Verpflichtungen des Arbeitgebers aus der Richtlinie zur Verfügung stehen.
Der deutsche Gesetzgeber hat Art. 1, Art. 2 RL 98/59 EG und die inhaltsgleichen Bestimmungen der Richtlinie 75/129/EWG vom 17. Februar 1975 (Abl. EG Nr. L 48/29 vom 22. Februar 1975) durch § 17 Abs. 1 bis Abs. 3a KSchG in das nationale Recht umgesetzt, auch soweit dies wegen des schon bestehenden § 111 Satz 1 BetrVG 1972 nicht mehr erforderlich war.
Weder die Massenentlassungsrichtlinie (Art. 1 Abs. 2 RL) noch das Kündigungsschutzgesetz (§§ 23, 24 KSchG) nehmen Tendenzbetriebe nach § 118 Abs. 1 BetrVG von ihrem Geltungsbereich aus. Auch Tendenzunternehmer sind deshalb nach Maßgabe von Art. 2 Abs. 2 RL und § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG verpflichtet, mit dem Betriebsrat rechtzeitig die Möglichkeit zu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken (Fabricius/Weber GK-BetrVG § 118 Rn. 147).
2. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist die Beklagte ihren Verpflichtungen aus § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG nicht nachgekommen. Zugunsten der Klägerin kann unterstellt werden, dass die dagegen erhobene Verfahrensrüge der Beklagten nicht durchgreift. Der angenommene Verstoß der Beklagten begründet gleichwohl keinen Anspruch auf Nachteilsausgleich.
a) Verstöße des Arbeitgebers gegen seine Unterrichtungs- und Beratungspflichten nach § 17 Abs. 2 KSchG führen zur Unwirksamkeit der Entlassung der betroffenen Arbeitnehmer iSv. § 18 Abs. 1 KSchG, wenn diese Verstöße zugleich die Fehlerhaftigkeit der Anzeige an das Arbeitsamt nach § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG zur Folge haben (st. Rechtsprechung; vgl. zuletzt BAG 18. September 2003 – 2 AZR 79/02 – ZIP 2004, 677, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu B III 2 der Gründe mwN). Ein Anspruch auf Nachteilsausgleich ist dagegen in § 18 KSchG nicht ausdrücklich vorgesehen.
b) Im Fehlen eines solchen Anspruchs allein liegt kein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht. Zwar sind die Mitgliedstaaten wegen der Pflicht zur Umsetzung einer Richtlinie nach Art. 249 Abs. 3 EG gehalten, im Rahmen ihrer nationalen Rechtsordnung alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die vollständige Wirksamkeit der Richtlinie entsprechend ihrer Zielsetzung zu gewährleisten. Dazu gehört, dass sie wirksame und abschreckende Sanktionen für den Fall des Verstoßes gegen Rechtsnormen vorsehen, deren Erlass von der Richtlinie vorgeschrieben ist. Diese können auch darin bestehen, dass die Betroffenen bei einem Verstoß einen Anspruch auf eine angemessene Entschädigung haben (vgl. EuGH 10. April 1984 – Rs. 14/83 – [v. Colson und Kamann] Slg. 1984, I-1891; BAG 23. September 2003 – 1 AZR 576/02 – DB 2004, 658, zu II 4 der Gründe). In der Wahl der Sanktionen ist der nationale Gesetzgeber jedoch frei. Ein Anspruch auf Nachteilsausgleich mag deshalb als geeignete Sanktion für die Verletzung der nach Art. 2 RL und § 17 Abs. 2 KSchG bestehenden Konsultationspflichten anzusehen sein. Der Umstand, dass er in § 18 KSchG auch für die nicht von § 113 Abs. 3 BetrVG erfassten Fälle nicht vorgesehen ist, verletzt gleichwohl keine gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben.
c) Eine solche Verletzung wäre mangels wirksamer Umsetzung der Massenentlassungsrichtlinie freilich anzunehmen, wenn die in § 18 Abs. 1 KSchG vorgesehene Sanktion sich nicht als ausreichend erweisen sollte und andere Sanktionen aus dem nationalen Recht nicht abzuleiten wären. Zugunsten der Klägerin mag eine solche Rechtslage unterstellt werden. Dann sind zwar die Gerichte für Arbeitssachen im Interesse der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts dazu aufgerufen zu prüfen, ob sich der geltendgemachte Nachteilsausgleichsanspruch mit Hilfe einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts begründen lässt. Dies ist jedoch nicht möglich.
aa) Das Gebot zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung folgt unabhängig von der Intention eines umsetzungswilligen Gesetzgebers aus dem Grundsatz der Gemeinschaftstreue gemäß Art. 10 EG in Verb. mit dem Umsetzungsgebot gemäß Art. 249 Abs. 3 EG (EuGH 10. April 1984 – Rs. 14/83 – [v. Colson und Kamann] Slg. 1984, I-1891, 1909, zu Nr. 26 der Gründe; 13. November 1990 – C-106/89 – [Marleasing] Slg. 1990, I-4156, 4159, zu Nr. 8 der Gründe; 24. September 1998 – C-111/97 – [EvoBus Austria] Slg. 1998, I-5427). Es wird allseits akzeptiert und ist mit deutschem Verfassungsrecht vereinbar (BVerfG 8. April 1987 – 2 BvR 687/85 – BVerfGE 75, 223, 240; BAG 2. April 1996 – 1 ABR 47/95 – BAGE 82, 349; BGH 9. April 2002 – XI ZR 91/99 – BGHZ 150, 248). Das Gebot gilt allerdings nur innerhalb der Grenzen richterlicher Gesetzesauslegung. Diese werden bestimmt durch die allgemeinen Auslegungsregeln. Insoweit gilt nichts anderes als für die verfassungskonforme Auslegung. Lassen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang und Sinn und Zweck des Gesetzes mehrere Deutungen zu, von denen jedenfalls eine zu einem verfassungsgemäßen bzw. gemeinschaftsrechtskonformen Ergebnis führt, so ist eine Auslegung geboten, die mit dem Grundgesetz bzw. dem Gemeinschaftsrecht in Einklang steht. Die verfassungs- und gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung darf jedoch zu dem Wortsinn und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht in Widerspruch treten (BVerfG 24. Mai 1995 – 2 BvF 1/92 – BVerfGE 93, 37, 81 zu D I der Gründe; BAG 18. Februar 2003 – 1 ABR 2/02 – AP BGB § 611 Arbeitsbereitschaft Nr. 12 = EzA ArbZG § 7 Nr. 4, zu B IV 3b dd (1) der Gründe; 5. März 1996 – 1 AZR 590/92 (A) – BAGE 82, 211, 225 f., zu B II 2b bb (1) der Gründe). Der Gehalt einer nach Wortsinn, Systematik und Zweck eindeutigen Regelung kann nicht im Wege der richtlinienkonformen Auslegung in sein Gegenteil verkehrt werden (Jarass Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts 1994 S. 95 mwN).
Diese Auslegungsgrenze steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dieser hat mehrfach ausgeführt, das innerstaatliche Gericht habe das nationale Gesetz unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale Recht einräume, und “soweit wie möglich” richtlinienkonform auszulegen (EuGH 10. April 1984 – Rs. 14/83 – [v. Colson und Kamann] Slg. 1984, I-1891; 26. September 1996 – C-168/95 – [Arcaro] Slg. 1996, I-4719; 27. Juni 2000 – C-240/98 bis C-244/98 – [Océano Grupo Editorial und Salvat Editores] Slg. 2000, I-4963, 4975, zu Nr. 30 der Gründe).
bb) § 18 KSchG lässt sich ein Anspruch auf Nachteilsausgleich auch im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung nicht entnehmen. § 18 Abs. 1 KSchG sieht als Sanktion für die Verletzung von Konsultationspflichten aus § 17 Abs. 2, Abs. 3 KSchG eine Entlassungssperre vor. Mit Wortsinn und Systematik der Bestimmung lässt sich eine auf sie gestützte (zusätzliche) Gewährung eines Nachteilsausgleichs nicht vereinbaren. Unter der Unwirksamkeit einer Entlassung kann schlechterdings nicht die Pflicht zur Zahlung einer Entschädigung verstanden werden. Nach der Rechtsprechung des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts steht der Wortlaut des § 18 Abs. 1 KSchG schon der Möglichkeit entgegen, die “Entlassung” im Wege richtlinienkonformer Auslegung mit “Kündigung” gleichzusetzen (BAG 18. September 2003 – 2 AZR 79/02 – ZIP 2004, 677, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu B III 4c der Gründe).
cc) Als Sanktion für einen Verstoß des Tendenzunternehmers gegen seine Konsultationspflichten aus § 17 Abs. 2 KSchG, Art. 2 Abs. 2 RL lässt sich ein Nachteilsausgleichsanspruch auch nicht aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 113 Abs. 3 BetrVG herleiten. Der deutsche Gesetzgeber hat den Anspruch auf Nachteilsausgleich an die Verletzung von Unterrichtungs- und Beratungspflichten nach § 111 Satz 1 BetrVG geknüpft. Für Tendenzunternehmer sind diese Pflichten auf die zur Herbeiführung eines Sozialplans erforderlichen Informationen und Beratungen beschränkt. Von der Pflicht zur Beratung über die Möglichkeiten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken, sind diese Unternehmer nach § 118 Abs. 1 Satz 2 BetrVG gerade ausgenommen. Wortsinn des Gesetzes und zugrunde liegender Wille des Gesetzgebers sind auch hier eindeutig. Beide lassen keine Auslegung dahin zu, dass sich gleichwohl auch Tendenzunternehmer über die Möglichkeit, Entlassungen zu vermeiden oder zu beschränken, mit dem Betriebsrat zu beraten haben. Auf diese Weise würden die Grenzen der Auslegung überschritten und die vom Betriebsverfassungsgesetz vorgesehene Privilegierung der Tendenzunternehmer aufgehoben. Ein solches Vorgehen ist den Gerichten für Arbeitssachen nach Art. 20 Abs. 3 GG verwehrt.
d) Ob den Vorschriften des Kündigungsschutz- oder des Betriebsverfassungsgesetzes eine andere – und ggf. welche – Rechtsfolge entnommen werden kann, die sämtliche Fälle einer Verletzung der Konsultationspflichten des Arbeitgebers aus Art. 2 Abs. 2 RL, § 17 Abs. 2 KSchG wirksam sanktioniert, ist für den Streitfall nicht zu entscheiden. Der von der Klägerin ausschließlich geltend gemachte Nachteilsausgleichsanspruch jedenfalls kommt dafür auch unter dem Gesichtspunkt der Durchsetzung der Richtlinienziele in Tendenzbetrieben nicht in Frage.
Diese Feststellung kann der Senat ohne Vorlage an den Europäischen Gerichtshof treffen. Auf die Auslegung von Gemeinschaftsrecht kommt es nicht an. Unabhängig davon, welche Sanktion das Gemeinschaftsrecht für den Fall des Verstoßes gegen die in Art. 2 Abs. 2 RL vorgesehenen Konsultationspflichten fordert, lässt sich dem deutschen Recht der von der Klägerin geltendgemachte Anspruch auf Nachteilsausgleich nicht entnehmen.