Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachteilsausgleich. Tendenzbetrieb

 

Leitsatz (redaktionell)

Im Tendenzbetrieb kommt ein Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG in Betracht, wenn der Arbeitgeber eine Massenentlassung i.S.v. § 17 KSchG plant und es unterlässt, mit dem Betriebsrat die Frage zu beraten, ob die Entlassungen vermieden oder beschränkt und ob ihre sozialen Folgen gemildert werden können. Dies folgt aus der gemeinschaftskonformen Auslegung der §§ 118 Abs. 1 Nr. 2 und 113 Abs. 3 BetrVG.

 

Normenkette

BetrVG § 113 Abs. 3, § 118 Abs. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt (Oder) (Urteil vom 21.09.2001; Aktenzeichen 1 Ca 1312/01)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 18.11.2003; Aktenzeichen 1 AZR 637/02)

 

Tenor

1. DasUrteil des Arbeitsgerichts Frankfurt (Oder) vom21.09.2001 – 1 Ca 1312/01 – wird teilweise abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin weitere 9.604,62 EUR zu zahlen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch um die Zahlung von Nachteilsausgleich.

Die am 10.10.1965 geborene Klägerin, die einem Kind unterhaltsverpflichtet ist, war seit dem 01.10.1991 bei der Beklagten als Anzeigenberaterin beschäftigt. Sie ist ausgebildet als Ingenieurin für Holztechnik. Zuletzt wurde zwischen den Parteien unstreitig, dass die Klägerin monatlich 5.633 DM brutto monatlich erzielte.

Die Beklagte beschäftigte zum Jahresbeginn 2001 450 Arbeitnehmer. Bei der letzten Wahl zum Betriebsrat am 14.03.2002 gab es 357 wahlberechtigte Arbeitnehmer. Die Beklagte ist Herausgeberin der Tageszeitung „Märkische Oxxxzeitung” sowie der im wesentlichen auf Werbeanzeigen spezialisierten Anzeigenblätter „Mxxxxxxxxx Markt” und „Neuer Uxxxx Markt”. Das bestimmende Geschäftsfeld für die Beklagte ist die Herausgabe der Tageszeitung „Märkische Oxxxzeitung”, andere Geschäftsfelder haben eine untergeordnete Bedeutung. Die Beklagte betrieb Anfang 2001 außerhalb ihres Sitzes in Fxxxxxxxxxxxxx zehn Geschäftsstellen. In diesen Geschäftsstellen waren u.a. die Lokalredaktionen ansässig. Einen Großteil der Kleinanzeigen wickelt die Beklagte über ein Call-Center ab, das als Gesellschaft für Mediendienstleistungen mbH als hundertprozentige Tochtergesellschaft der Beklagten organisiert ist. Die restlichen Kleinanzeigen sowie das Anzeigengeschäft der Großkunden wurde über die Geschäftsstellen betreut. In den Geschäftsstellen wurden neben den Redaktionsmitarbeitern die Mitarbeiter des Geschäftsstelleninnendienstes, des Anzeigenaußendienstes und die Geschäftsstellenleiter beschäftigt.

Zum Jahresende 2000 führte die Beklagte mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat Gespräche über eine Änderung des Vergütungssystems für die von ihr beschäftigten Anzeigenberater. In einer Betriebsversammlung am 28.11.2000 und einer Information für alle Mitarbeiter wies die Beklagte auf die problematische Kostensituation im Unternehmen hin. Sie erläuterte Maßnahmen zur Eindämmung der Kostenentwicklung, unter anderem erwarte sie von der Einführung eines neuen Provisionssystems für die Anzeigenberater positive Impulse. Am 04.01.2001 lehnte der Betriebsrat die Einführung eines vom Arbeitgeber am 16. Dezember 2000 vorgeschlagenen Provisionssystems für die Anzeigenberater ab. Wegen der Einzelheiten des Schreibens wird auf Blatt 115 – 116 der Akten verwiesen. Der Betriebsrat machte der Geschäftsführung am 30.01.2000 einen eigenen Vorschlag zu einer Vergütungsgestaltung der Anzeigenberater. Daraufhin traf die Geschäftsführung der Beklagten am Freitag, den 16. Februar 2001 die Entscheidung, die Organisation des Anzeigenverkaufs von angestellten Anzeigenberatern auf freie Handelsvertreter umzustellen. Am Montag den 19.Februar 2001 teilte die Beklagte dem Betriebsrat mit, dass die unternehmerische Entscheidung getroffen worden sei, zur Verbesserung der Verkaufsarbeit komplett auf den Einsatz freier Handelsvertreter umzustellen. Sie teilte weiter mit:

„Um die formale Voraussetzung für diesen Schritt zu schaffen, müssen die bestehenden Vertragsverhältnisse mit allen angestellten Anzeigenberatern zum 30.06.2001 gekündigt werden (bzw. zum nächst möglichen Zeitpunkt, wenn längere Kündigungsfristen zu beachten oder Erziehungsurlaub gegeben ist). Zur Wahrung der Fristen werden wir dies noch im Februar 2001 tun.

Im Rahmen unseres Kostenprojekts arbeiten wir auch an einem neuen Zuschnitt der Verkaufsgebiete, weil nicht alle Verkaufsgebiete wirtschaftlich sind. Da sich im Zuge dieses Entscheidungsprozesses auch die Zahl der Verkaufsgebiete verringern wird, werden wir nicht allen gekündigten Anzeigenberatern ein Vertragsangebot als freie Handelsvertreter machen können.

Aus der Verringerung der Verkaufsbezirke folgt auch eine Reduzierung der Zahl der Geschäftsstellenleiter. Auch hier werden wir als Voraussetzung für die Neuregelung allen Geschäftsstellenleitern zum 30.06.2001 kündigen. Einigen Geschäftsstellenleitern werden wir Verträge als freie Handelsvertreter anbieten, anderen Verträge als ...

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