Leitsatz (amtlich)

1. Es ist möglich, andererseits aber nicht erforderlich, daß ein Tendenzunternehmen mehreren der in § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG genannten Bestimmungen dient (im Anschluß an BAG 22, 360 = AP Nr. 13 zu § 81 BetrVG).

2. Nicht die persönliche Einstellung des Unternehmers, sondern der Unternehmenszweck ist für die Tendenzeigenschaft entscheidend (BAG a.a.O.).

3. Tendenzschutz genießen nicht nur Zeitungs- und Zeitschriftenverlage, sondern auch Buchverlage.

4. § 118 Abs. 1 BetrVG, insbesondere der Ausschluß der Bildung eines Wirtschaftsausschusses in Tendenzunternehmen, widerspricht weder Art. 3 Abs. 1 noch Art. 20 Abs. 1 GG.

 

Normenkette

BetrVG 1972 § 118 Abs. 1, §§ 106, 107 Abs. 2

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Beschluss vom 07.05.1974; Aktenzeichen 5 Ta BV 37/73)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Frankfurt/Main vom 7. Mai 1974 – 5 Ta BV 37/73 – wird zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob der antragstellende Betriebsrat von den Antragsgegnerinnen verlangen kann, einen von ihm gebildeten Wirtschaftsausschuß in wirtschaftlichen Angelegenheiten zu unterrichten und im Sinne der §§ 106 ff. BetrVG zu beteiligen.

Die Antragsgegnerinnen sind drei durch Verknüpfung im sogenannten „H.-Konzern” und hier konkret durch Organisation und Aufgabenbereich miteinander eng verbundene Buchverlage (Unternehmen), die in ihrem gemeinschaftlichen Betrieb in F. etwa 120 Arbeitnehmer beschäftigen, darunter allein 105 Arbeitnehmer im S. F.-Verlag GmbH. Der Antragsteller besteht aus fünf Mitgliedern. Er hat am 4. Mai 1972 vier Arbeitnehmer zu Mitgliedern des Wirtschaftsausschusses bestellt und von den Antragsgegnerinnen verlangt, den Wirtschaftsausschuß über die wirtschaftlichen Angelegenheiten zu unterrichten und mit ihm zu beraten. Die Antragsgegnerinnen haben dies mit der Begründung abgelehnt, ihre Verlagstätigkeit diene unmittelbar und überwiegend den in § 118 Abs. 1 BetrVG genannten Zwecken.

Der Antragsteller meint, die Verlage der Antragsgegnerinnen legten ein zu weitgefächertes Angebot vor, um noch eine erkennbare geistig-ideelle Zielsetzung zu haben; das Gewinnstreben stehe im Vordergrund. Davon abgesehen verstoße die Regelung in § 118 Abs. 1 Satz 2 BetrVG gegen das in Art. 20 Abs. 1 GG verankerte Sozialstaatsprinzip. Mit diesem sei nicht zu vereinbaren, daß die Arbeitnehmer in einer Tendenzbetrieb weniger Mitwirkungsrechte als vergleichbare Arbeitnehmer anderer Betriebe hätten. Auch habe der Wirtschaftsausschuß auf die Verlagstätigkeit der Antragsgegnerinnen und ihre unternehmerischen Entscheidungen keinen Einfluß, gleichgültig ob die Entscheidungen nun tendenzbezogen seien oder nicht. Deshalb sei der Ausschluß der Bildung eines Wirtschaftsausschusses nicht zu rechtfertigen. Der Antragsteller hat beantragt, die Antragsgegnerinnen zu verpflichten, den vom Antragsteller gebildeten Wirtschaftsausschuß über die wirtschaftlichen Angelegenheiten der Unternehmen zu unterrichten und diese mit ihm zu beraten.

Die Antragsgegnerinnen haben beantragt, den Antrag des Betriebsrates zurückzuweisen. Sie sehen in der Regelung des § 118 Abs. 1 BetrVG eine Konkretisierung des Grundrechts der Meinungsfreiheit, das sie auch für sich als Buchverleger in Anspruch nehmen. Ihre Verlage dienten in den einzelnen Arbeitsgebieten sowohl der literarisch-künstlerischen wie der wissenschaftlichen und politischen Unterrichtung und damit in ihrer Gesamtheit einer geistig-ideellen Zweckbestimmung. Dem stehe das Streben nach einem möglichst die Kosten übersteigenden Gewinn nicht entgegen. Erst ein Gewinn ermögliche es, sich auch Aufgaben zu widmen, die von vornherein mit einem Geschäftsverlust kalkuliert, aber aus künstlerischen und wissenschaftlichen Gründen erfüllt werden müßten. Im einzelnen schlüsseln die Antragsgegnerinnen ihr Verlagsprogramm wie folgt auf:

S. F. Verlag

Berechnungsgrundlage Verzeichnis lieferbarer Titel 1972

Gesamtzahl lieferbarer Titel: 613

Aufschlüsselung:

wissenschaftlich

=

140

Titel

=

23 %

politisch

=

44

50 Titel

=

8 %

erzieherisch

=

6

künstlerisch

=

337

=

55 %

unterhaltend

=

86

=

14 %

F.-Taschenbuch-Verlag

Berechnungsgrundlage Gesamtverzeichnis 1972/73

Gesamtzahl lieferbarer Titel: 722

Aufschlüsselung

wissenschaftlich

=

199

Titel

=

28 %

politisch

=

89

=

12 %

erzieherisch

=

65

=

9 %

künstlerisch

=

161

=

22 %

unterhaltend

=

208

=

29 %

Das Arbeitsgericht hat dem Begehren des Antragstellers mit der Begründung entsprochen, das breitgefächerte Verlagsangebot sei wertneutral auf Gewinnerzielung ausgerichtet und falle deshalb nicht unter § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Die Antragsgegnerinnen seien auch kein Tendenzbetrieb gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG.

Das Landesarbeitsgericht hat auf die Beschwerde der Antragsgegnerinnen die erstinstanzliche Entscheidung abgeändert und den Antrag des Betriebsrats zurückgewiesen. Es hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Der Verlagsverbund der Antragsgegnerinnen sei auf künstlerische, wissenschaftliche, erzieherische und politische Zwecke ausgerichtet. Im literarischen Bereich diene der Hauptverlag der Bewahrung des klassischen Erbes und fördere die moderne Literatur. Im politischen und gesellschaftspolitischen Bereich diene der Verlagsverbund der Aufklärung, der Information und der Aufarbeitung der Zeitgeschichte. Im wissenschaftlichen Bereich brächten die Verlage der Antragsgegnerinnen Publikationen auf soziologischem, psychologischem und psychoanalytischem Gebiet und dienten damit der Aufklärung im Sinne größerer Erkenntnismöglichkeiten für den Menschen der Jetztzeit. In der Abteilung des Theaterverlages bemühe man sich, junge deutsche Dramatiker bekanntzumachen. Der Taschenbuch-Verlag eröffne durch preiswerte Angebote moderne deutsche Klassiker, zeitgenössische deutsche Literatur sowie Werke der Weltliteratur einem breiten Leserpublikum. Außerdem stelle er wissenschaftliche Informationen, besonders im Bereich der Humanwissenschaften, bereit und gebe zeitgeschichtliche Dokumentationen sowie politische Informationen. In einer Sonderabteilung des Taschenbuchverlages, dem Kolleg „Das Abiturwissen” werde ein die Schule und das Schulwissen ergänzendes Kompendium angeboten, das ohne Gewinnstreben kalkuliert worden sei. Mit diesem Verlagsangebot diene der Verlagsverbund der Antragsgegnerinnen künstlerischen, erzieherischen und politischen Bestimmungen im Sinne des § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG und zwar in seiner Gesamtheit und nicht nur überwiegend. Die angebotene Unterhaltungslektüre verdiene die Bezeichnung „künstlerisch”; das Informationsschrifttum lasse sich ohne weiteres unter die Begriffe „wissenschaftlich” und „politisch” einordnen. Daß die Verlage mehreren der in § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG wahlweise aufgestellten Bedingungen dienten, stehe einer Anwendung des § 118 BetrVG nicht entgegen. Das Gewinnstreben schließe die Anwendung des § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ebenfalls nicht aus. Die Sonderbestimmung für Tendenzbetriebe begegne auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, vielmehr könne die Regelung des § 118 Abs. 1 BetrVG sachlich vertreten werden. Wenn nämlich der Bundestag den Tendenzunternehmen zur Erfüllung ihrer privilegierten Aufgaben eine auch von wirtschaftlicher Mitberatung freie Entfaltung gewähre und damit deren Arbeitnehmern weniger Mitwirkungsmöglichkeiten als den Arbeitnehmern anderer Betriebe habe zugestehen wollen, so sei das eine Entscheidung, die noch in der Bandbreite des dem Gesetzgeber eingeräumten Ermessens liege.

Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt der Antragsteller die Wiederherstellung der Entscheidung des Arbeitsgerichts, während die Antragsgegnerinnen beantragen, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.

1. Der Antrag begegnet in der gestellten Form keinen rechtlichen Bedenken. Der Betriebsrat, der für den einheitlichen Betrieb der drei Antragsgegnerinnen besteht, hat nach dem unstreitigen Sachvorbringen bereits einen Wirtschaftsausschuß nach § 107 Abs. 2 Satz 1 BetrVG bestimmt. Man muß deshalb davon ausgehen, daß der Wirtschaftsausschuß tatsächlich besteht, die Antragsgegnerinnen ihm aber ein Tätigwerden im Sinne der §§ 106 ff. BetrVG vereiteln, insbesondere eine Zusammenarbeit mit ihm ablehnen. Das Begehren des Antragstellers kann sich deshalb sinnvoll nur darauf richten und ist dahin auszulegen, daß die Antragsgegnerinnen verpflichtet werden sollen, den gebildeten Wirtschaftsausschuß im Sinne der gesetzlichen Vorschriften zu beteiligen.

2. Zu Recht geht das Landesarbeitsgericht davon aus, der Betrieb der Antragsgegnerinnen falle unter die Ausnahmevorschrift des § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Die Antragsgegnerinnen dienen mit ihrem Verlagsprogramm jedenfalls erzieherischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Bestimmungen. Es kann deshalb dahinstehen, ob sie auch den nach § 118 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG tendenzgeschützten Zwecken dienen; die Erfordernisse der Nr. 1 und der Nr. 2 des § 118 stehen nebeneinander („oder”). Auch die in Nr. 1 genannten Zwecke müssen ihrerseits nicht kumulativ erfüllt werden, es genügt, daß einer oder einige davon „unmittelbar und überwiegend” verfolgt werden. Andererseits ist aber auch eine Vielfalt der Zweckrichtung in diesen Bereichen unschädlich (BAG 22, 360 [369] = AP Nr. 13 zu § 81 BetrVG).

Keine Rolle spielt für den Tendenzcharakter des Betriebs oder des Unternehmens die Motivation des Unternehmers. Es kommt also nicht darauf an, ob der Unternehmer Gewinn erzielen will und auch deshalb sein Unternehmen betreibt. Nicht die persönliche Einstellung des Unternehmers, sondern die Art des Unternehmens begründet die Tendenzeigenschaft (vgl. BAG, a.a.O.; Fitting-Auffarth-Kaiser, BetrVG, 11. Aufl., § 118 Anm. 5; Dietz-Richardi, BetrVG, 5. Aufl., § 118 Anm. 18). Die Beschränkung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei Unternehmen der in § 118 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BetrVG genannten Art soll im gesellschaftlichen Interesse eine ungebundene Entfaltung der Betätigung im geistig-ideellen Bereich gewährleisten (vgl. Dietz-Richardi, a.a.O.). Die Rechtsbeschwerde wendet sich nicht gegen die vom Landesarbeitsgericht über die Arbeitsbereiche der Antragsgegnerinnen getroffenen tatsächlichen Feststellungen, meint aber, gerade die zu den Akten gereichten Prospekte zeigten, daß es überhaupt keine Verlagsmöglichkeit gebe, die von den Antragsgegnerinnen nicht ausgenutzt werde. Es fehle deshalb eine konkrete zielbewußte und schutzwürdige Tendenz, eine bestimmte „Gesinnung”, eine konkrete wissenschaftliche oder politische Zielsetzung. Die einzige Tendenz der Antragsgegnerinnen bestehe darin, in guter Art mit gutem Inhalt alles das zu verlegen, was verlegbar ist und damit beim Kunden ankomme. Der Vergleich mit einem „Warenhausangebot” sei ohne weiteres zu treffen. Dieser Ansicht vermag der Senat nicht zu folgen.

Es ist einhellige Meinung, daß Tendenzschutz nicht nur Verlagsunternehmen genießen, die Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichen, sondern alle Verlagsunternehmen, insbesondere auch die Buchverlage (vgl. Dietz-Richardi, a.a.O., Anm. 44; Fitting-Auffarth-Kaiser, a.a.O., Anm. 18). Zunächst vertrat zwar das Bundesarbeitsgericht (vgl. BAG 18, 159 [165] = AP Nr. 4 zu § 81 BetrVG) – wie im vorliegenden Verfahren das Arbeitsgericht – die Auffassung, Buchverlagen mit breitem Verlagsprogramm könnte Tendenzschutz nicht zuerkannt werden. Diese Auffassung hat der erkennende Senat aber schon in BAG 22, 360 (= AP Nr. 13 zu § 81 BetrVG) jedenfalls insoweit aufgegeben, als die Vielfalt des Verlagsprogramms als solche noch nicht tendenzschädlich sein soll. Daran ist auch und gerade unter der Geltung des neuen Betriebsverfassungsgesetzes festzuhalten: § 118 Abs. 1 BetrVG nennt nämlich u.a. (in Nr. 2) die „Berichterstattung”, ein Tendenzzweck, der im alten Recht (§ 81 Abs. 1 BetrVG 1952) nicht ausdrücklich erwähnt war. Die Berichterstattung ist – jedenfalls in aller Regel – notwendig vielfältig. Wenn aber dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut nach, gleichwohl der Tendenzschutz eingreift, so ist nicht einzusehen, daß hinsichtlich der unter § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG genannten Zweckrichtungen eines Unternehmens etwas anderes gelten, d.h. die „Berichterstattung” durch Verlegen von literarischen Werken verschiedener Richtungen tendenzschädlich sein soll. Gerade der auch durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützte wissenschaftliche und künstlerische Bereich, in welchem sich die Antragsgegnerinnen – wie schon dargelegt – auch betätigen, beinhaltet notwendig eine gewisse „Tendenzvielfalt”, er verträgt keine bestimmte „Gesinnung”. Die Breite des Verlagsprogramms, dem sich die Antragsgegnerinnen widmen, kann deshalb nicht tendenzschädlich sein.

Was ggf. für ausgesprochene Randbereiche, wie z.B. reine Adreßbuchverlage u.ä.m. zu gelten hätte, war hier nicht zu entscheiden.

3. Das Landesarbeitsgericht hat die Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 118 Abs. 1 BetrVG bejaht. Der Senat tritt dieser Auffassung bei. Wie vom Landesarbeitsgericht richtig gesehen, konkurriert hier die auf dem Verfassungsgrundsatz der Sozial Staatlichkeit (Art. 20 Abs. 1 GG) beruhende Betriebsverfassung mit den Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 GG. In solchen Fällen hat der Gesetzgeber, wie schon vom Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt, einen Ermessensspielraum dahingehend, welchem tragenden Verfassungsgrundsatz er im Falle einer solchen Konkurrenz stärkere Bedeutung beimißt. Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß Konflikte zwischen der in Art. 5 Abs. 1 GG gewährleisteten Meinungs- und Pressefreiheit und den allgemeinen Gesetzen durch eine Güterabwägung gelöst werden müßten. Zwischen Pressefreiheit und den allgemeinen Gesetzen bestehe eine Wechselwirkung in dem Sinne, daß die allgemeinen Gesetze zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Schranken setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlich demokratischen Staat ausgelegt und so in ihr das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder begrenzt werden müßten (vgl. BVerfGE 7, 198 [208]; BVerfGE 20, 162 [176]; BVerfGE 35, 307 [309]); derselbe Grundgedanke gilt bei der Möglichkeit eines Konflikts zwischen den Grundrechten nach Art. 5 Abs. 1 GG und anderen durch das Grundgesetz geschützten Werten (BVerfGE 21, 239 [243]). Bei der Auslegung gesetzlicher Bestimmungen ist deshalb, soweit nicht der Gesetzeswortlaut entgegensteht, derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben, die im Einklang mit dem Grundgesetz – insgesamt – steht (BVerfGE 8, 38 [41], 210 [221]). Angesichts des Ausschlusses gewisser betriebsverfassungsrechtlicher Kompetenzen des Betriebsrats bzw. sonstiger betriebsverfassungsrechtlicher Organe bei Tendenzunternehmen gemäß § 118 Abs. 1 BetrVG muß man davon ausgehen, daß der Gesetzgeber des Betriebsverfassungsgesetzes der Meinungs- und Pressefreiheit sowie der Freiheit der Kunst und der Wissenschaft so starke Bedeutung beigemessen hat, daß er demgegenüber die sich letzten Endes aus dem Sozialstaatlichkeitsprinzip ergebenden betriebsverfassungsrechtlichen Rechte in gewissem Umfang einschränken wollte (vgl. Dütz, BB 1975, 1261 [1268]; Rüthers, AfP 1974, 542 [544]). Der Gesetzgeber wollte in Kenntnis der Probleme eine ausgewogene Regelung zwischen Sozialstaatsprinzip und Freiheitsrechten der Tendenzträger treffen (vgl. schriftlicher Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu BT-Drucks. VI/2729 S. 17; BAG AP Nr. 2 zu § 118 BetrVG 1972 mit weiteren Nachweisen). Die gebotene Abwägung hat der Gesetzgeber in einer Weise vorgenommen, die verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (vgl. zum BetrVG 1952 BAG 22, 360 [369] = AP Nr. 13 zu § 81 BetrVG).

Abzulehnen ist auch die Meinung, § 118 BetrVG sei mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Auch insoweit ist dem Landesarbeitsgericht beizupflichten, daß dann, wenn die Gleichbehandlung gleicher Tatbestände als Grundrecht normiert wird, damit nicht gleichzeitig eine etwa zu große Differenzierung verschiedener Sachverhalte als grundgesetzwidrig zu erachten wäre (a.M. insbesondere hinsichtlich des Ausschlusses der §§ 106110 BetrVG: Ihlefeld, AuR 1975, 234 f.). Ob nun bei Anwendung der Tendenzschutzbestimmung des § 118 Abs. 1 BetrVG auf ein Unternehmen der völlige Ausschluß ausgerechnet der §§ 106 bis 110 BetrVG besonders sinnvoll oder zweckmäßig ist, wenn im übrigen bei stärkerer Einflußmöglichkeit des Betriebsrats auf das Geschehen im Betrieb oder Unternehmen nur ein relativer Ausschluß der Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes eingreift („soweit die Eigenart des Unternehmens oder des Betriebs dem entgegensteht”), hat der Senat nicht zu entscheiden. Hier steht der klare Gesetzeswortlaut des § 118 Abs. 1 Satz 2 BetrVG einer anderen Auslegung entgegen; der in § 118 Abs. 1 Satz 1 enthaltene Relativsatz – wie oben in Klammer zitiert – ist von Satz 2 durch das Satzzeichen „Punkt” getrennt. Es verbietet sich deshalb die Anwendung dieses Relativsatzes auf die in § 118 Abs. 1 Satz 2 BetrVG enthaltene eigenständige und abweichende Regelung. Der Rechtsbeschwerde, die nach dem Sinn dieser unterschiedlichen Regelung fragt, könnte immerhin entgegengehalten werden, daß auch schon das Wissen des Betriebsrats bzw. Wirtschaftsausschusses um die wirtschaftliche Situation eines Unternehmens oder dessen Zukunftsabsichten unter wirtschaftlicher Sicht eine Tätigkeit des Betriebsrats auslösen kann, das u.U. geeignet sein könnte, die Tendenz zu berühren.

Die angefochtene Beschwerdeentscheidung erweist sich damit als richtig.

 

Unterschriften

gez.: Dr. Auffarth, Wendel, Bichler, Andersch, Dr. Menzel

 

Fundstellen

Haufe-Index 1436673

JR 1977, 101

Nachschlagewerk BGH

JZ 1976, 519

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