Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer. Arbeitszeitgestaltung. Begriff ‚Arbeitszeit’. Bereitschaftszeit in Form von Rufbereitschaft. Spezialisierte Arbeit in Bezug auf die Wartung von Fernsehsendern, die fernab der bewohnten Gebiete liegen. Psychosoziale Risiken. Vorsorgepflicht

 

Normenkette

Richtlinie 2003/88/EG Art. 2; Richtlinie 89/391/EWG Art. 5-6

 

Beteiligte

Radiotelevizija Slovenija (Période d'astreinte dans un lieu reculé)

D. J

Radiotelevizija Slovenija

 

Tenor

Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist dahin auszulegen, dass Bereitschaftszeit in Form von Rufbereitschaft, während der ein Arbeitnehmer lediglich telefonisch erreichbar und in der Lage sein muss, sich bei Bedarf innerhalb von einer Stunde wieder an seinem Arbeitsplatz einzufinden, wobei er die Möglichkeit hat, sich in einer von seinem Arbeitgeber am Arbeitsort zur Verfügung gestellten Dienstunterkunft aufzuhalten, aber nicht verpflichtet ist, dort zu bleiben, nur dann in vollem Umfang Arbeitszeit im Sinne dieser Bestimmung darstellt, wenn eine Gesamtbeurteilung aller Umstände des Einzelfalls, zu denen die Folgen einer solchen Zeitvorgabe und gegebenenfalls die durchschnittliche Häufigkeit von Einsätzen während der Bereitschaftszeit gehören, ergibt, dass die dem Arbeitnehmer während der Bereitschaftszeit auferlegten Einschränkungen von solcher Art sind, dass sie seine Möglichkeit, dann die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen. Bei einer solchen Beurteilung ist es unerheblich, dass es in der unmittelbaren Umgebung des Arbeitsorts wenig Möglichkeiten für Freizeitaktivitäten gibt.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof, Slowenien) mit Entscheidung vom 2. April 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 2. Mai 2019, in dem Verfahren

D. J.

gegen

Radiotelevizija Slovenija

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Kammerpräsidenten M. Vilaras und N. Piçarra, des Richters T. von Danwitz, der Richterin C. Toader, der Richter M. Safjan, D. Šváby, S. Rodin und F. Biltgen, der Richterin K. Jürimäe, des Richters C. Lycourgos (Berichterstatter) und der Richterin L. S. Rossi,

Generalanwalt: G. Pitruzzella,

Kanzler: M. Longar, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 22. Juni 2020,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von D. J., vertreten durch M. Šafar und P. Boršnak, odvetnika,
  • der Radiotelevizija Slovenija, vertreten durch E. Planinc Omerzel und G. Dernovšek, odvetnika,
  • der slowenischen Regierung, vertreten durch A. Grum und N. Pintar Gosenca als Bevollmächtigte,
  • der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch B. Rous Demiri, B.-R. Killmann und M. van Beek als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. Oktober 2020

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 2003, L 299, S. 9).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen D. J. und der Radiotelevizija Slovenija wegen der von D. J. geforderten Vergütung für die von ihm in Form von Rufbereitschaft geleisteten Bereitschaftsdienste. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass im Rahmen des vorliegenden Urteils der Begriff „Bereitschaft” allgemein sämtliche Zeiträume umfasst, in denen der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber zur Verfügung steht, um auf dessen Verlangen eine Arbeitsleistung erbringen zu können, während mit dem Ausdruck „Rufbereitschaft” Bereitschaftszeiten bezeichnet werden, in denen der Arbeitnehmer nicht an seinem Arbeitsplatz bleiben muss.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 89/391/EWG

Rz. 3

Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit (ABl. 1989, L 183, S. 1) bestimmt:

„Der Arbeitgeber ist verpflichtet, für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer in Bezug auf alle Aspekte, die die Arbeit betreffen, zu sorgen.”

Rz. 4

Art. 6 der Richtlinie 89/391 bestimmt:

„(1) Im Rahmen seiner Verpflichtungen trifft der Arbeitgeber die für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer erforderlichen Maßnahmen, einschließlich der Maßnahmen zur Verhütung berufsbedingter Gefahren, zur Infor...

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