Beteiligte

…, Klägerin und Revisionsklägerin

Deutsche Angestellten-Krankenkasse, Hamburg, Nagelsweg 27 - 35, Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 16.09.1999; Aktenzeichen B 3 KR 1/99 R)

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I

Die Klägerin begehrt von der beklagten Krankenkasse (KK) nach § 33 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - (SGB V) die Ausstattung mit einem Hilfsmittel der Krankenversicherung (KV).

Die 1950 geborene Klägerin leidet an einem leichten bis mittleren cellulären Immundefekt mit unspezifischer Überempfindlichkeit gegenüber inhalativen Stoffen (Allergie gegen Hausstaub, Hausstaubmilben, Schimmelpilzen und Pollen). Sie ist nicht an die Wohnung gebunden und kann zeitweilig auch an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen. Sie beantragte im Juli 1988 bei der beklagten KK die Übernahme der Kosten für ein kassenärztlich verordnetes Luftreinigungsgerät (LRG); sie habe das Gerät bereits leihweise gehabt und so wenigstens zu Hause "mit weniger Problemen" leben können. Nach einer beigefügten Werbeanzeige filtert das 11 kg schwere und 51 x 31 x 17 cm große Gerät Bakterien, Mikroben, Staubteilchen, Tabakrauch und schlechte Gerüche bis zu 99 % aus. Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 27. September 1988; Widerspruchsbescheid vom 3. März 1989). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 13. Juni 1991). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 11. August 1994). Es hat die Hilfsmitteleigenschaft verneint, weil das Gerät nicht bei der Behinderung selbst ansetze, also nicht den Körper so beeinflusse, daß er auf bestimmte Stoffe "nicht mehr so, wie früher ohne das Gerät" reagiere.

Die Klägerin rügt mit der vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Revision Verletzung des § 33 SGB V. Wenn das LRG täglich acht bis zehn Stunden im Schlafbereich benutzt werde, so schütze, unterstütze und stärke das Gerät ihr defektes Immunsystem und schaffe so auch Reserven, um in der übrigen Zeit besser mit Fremdsubstanzen fertig zu werden.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichtes Nordrhein-Westfalen vom 11. August 1994 und des Sozialgerichtes Düsseldorf vom 13. Juni 1991 sowie den Bescheid vom 27. September 1988 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 1989 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für ein Luftreinigungsgerät zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

II

Die Revision der Klägerin ist iS der Zurückverweisung begründet. Die Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um einen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf ein LRG als Hilfsmittel iS der §§ 13, 33 SGB V - wie die Instanzgerichte -zu verneinen oder aber zu bejahen.

Die Klägerin begehrt das LRG als Sachleistung. Das entspricht ihren bisherigen Anträgen, die Beklagte zur Übernahme der Kosten für ein LRG zu verurteilen (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 13). Dem Urteil des LSG ist kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, daß sich die Klägerin das LRG selbst beschafft hat und nach § 13 SGB V Kostenerstattung begehrt. Im Revisionsverfahren hat die Klägerin allerdings beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die von ihr (der Klägerin) "aufgewandten" Kosten für ein LRG zu erstatten. Der Senat hat dies iS der ursprünglich begehrten Kostenübernahme verstanden, weil jeder weitere Hinweis auf den zwischenzeitlichen Erwerb eines LRG fehlt. Der Konkretisierung auf einen bestimmten Gerätetyp bedarf es dabei nicht (vgl Urteil vom 23. August 1995 - 3 RK 7/95 -Lese-Sprechgerät; Urteil vom 25. Oktober 1995 - 3 RK 30/94 - Schreibtelefon; Urteil vom 17. Januar 1996 - 3 RK 39/94 -Telefaxgerät -, alle zur Veröffentlichung vorgesehen).

Nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V idF durch das Gesundheits-Reformgesetz (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (1. Alternative) oder eine Behinderung auszugleichen (2. Alternative), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind.

Ein Anspruchsausschluß nach § 34 Abs 4 SGB V idF durch das GRG, der durch Gesetz vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 2266) einziger Absatz der Vorschrift wurde, greift nicht ein. In der aufgrund dieser Vorschrift erlassenen Verordnung über Hilfsmittel von geringem therapeutischem Nutzen oder geringem Abgabepreis in der gesetzlichen Krankenversicherung (HMVO) vom 13. Dezember 1989 (BGBl I 2237), die idF durch die Verordnung vom 17. Januar 1995 (BGBl I 44) gilt, sind LRGe nicht erfaßt.

Ein Ausschluß der LRGe aus der Leistungspflicht der KKn ergibt sich auch nicht aus den Vorschriften zum Hilfsmittelverzeichnis. Diese ermächtigen nicht dazu, den Anspruch des Versicherten einzuschränken, sondern nur dazu, eine für die Gerichte unverbindliche Auslegungshilfe zu schaffen (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 16). Das Hilfsmittelverzeichnis schließt LRGe nicht aus (Hilfsmittelverzeichnis vom 29. Januar 1993, BAnz Beilage 1993, Nr 50a, 1-140 mit Ergänzungen; vgl auch Gemeinsames Rundschreiben der Spitzenverbände der KKn zur Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln nach dem Recht der gesetzlichen KV vom 15. August 1990, ErsK 1990, 454).

Der Senat kann aufgrund der bisherigen Feststellungen nicht beurteilen, ob das LSG die Hilfsmitteleigenschaft zu Recht verneint hat. Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, daß das Gerät nicht bei der Behinderung selbst ansetze, also nicht den Körper so beeinflusse, daß er auf bestimmte Stoffe "nicht mehr so, wie früher ohne das Gerät" reagiere. Damit verlangt das LSG eine Heilung, zumindest aber eine partielle Gesundheitsbesserung oder deren Aufrechterhaltung. Mit dieser Begründung kann lediglich die 1. Alternative des § 33 Abs 1 SGB V ("um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern") verneint werden, nicht aber auch die 2. Alternative ("um eine Behinderung auszugleichen"). Für diese reicht es aus, daß das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Funktion - zB Hören, Sehen, Sitzen, Gehen usw - ersetzt (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 16, BSG SozR 2200 § 182b Nr 12 - Fernsehlesegerät -; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 7 - Rollstuhlboy - mwN). Bei der Klägerin ist die Funktion "Ausscheiden inhalativer Stoffe aus der Atemluft" gestört. Diese Funktion übernimmt nach der Behauptung der Klägerin das LRG. Das LSG wird die hierzu fehlenden Feststellungen nachzuholen haben.

Der Auffassung des LSG, das LRG sei als Hilfsmittel nicht ausreichend, nicht zweckmäßig oder nicht wirtschaftlich und die Klage sei auch aus diesem Grunde abzuweisen (§ 12 Abs 1 SGB V), vermag der Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen ebenfalls nicht zuzustimmen. Die Wirksamkeit des LRG in nur einem Raum ergibt entgegen der Auffassung des LSG allein noch nicht, daß das LRG als Hilfsmittel nicht ausreichend ist. Wenn der Ausgleich ein elementares Grundbedürfnis betrifft, muß die Wirkung nicht vollständig sein; es genügt auch eine partielle, aber nicht ganz unerhebliche, nicht ganz unbedeutende Wirkung (vgl BSGE 33, 263, 264 f = SozR § 187 RVO Nr 2; BSG SozR 2200 § 187 Nr 3; BSGE 39, 275 = SozR 2200 § 187 Nr 4; BSG SozR 2200 § 182b Nrn 9, 10, 12, 17, 25, 26, 34; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 7; BSG SozR 5420 § 16 Nr 1). Der Ausgleich ermöglicht nach der Behauptung der Klägerin die Nachtruhe und damit ein körperliches Minimal-Wohlbefinden. Insoweit ist ein Grundbedürfnis betroffen. Den Feststellungen des LSG ist nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit zu entnehmen, daß der Klägerin auch ohne LRG eine ausreichende Nachtruhe möglich ist oder daß umgekehrt auch bei Gebrauch des LRG keine ausreichende Nachtruhe erreicht werde, etwa weil der Leidenszustand psychisch bestimmt sei.

Das LRG ist aufgrund der bisherigen Feststellungen auch nicht unwirtschaftlich. Unwirtschaftlich ist ein Hilfsmittel insbesondere, wenn es eine Behinderung nur in einem unwesentlichen Umfang ausgleicht oder wenn jede begründbare Relation zwischen Kosten und Gebrauchsvorteil fehlt (vgl zu beidem: Urteil des Senats vom 23. August 1995 - 3 RK 7/95 - Lese-Sprechgerät - für SozR vorgesehen; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 4 - Bildschirmlesegerät - mwN, stRspr). Das LSG hat zu seiner Auffassung, daß das LRG unwirtschaftlich ist, lediglich ausgeführt, daß dem LRG neben der vorbeugenden Wirkung (die keine Aufgabe der gesetzlichen KV ist) eine lindernde Wirkung in nur begrenztem (gemeint ist: in nicht ausreichendem) Maße zukomme. Damit hat das LSG zum Umfang der Gebrauchsvorteile keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Es ist möglich, daß das Gerät schon bei einer zeitlich begrenzten Nutzung - etwa während einer achtstündigen Nachtruhe - die ausgefallene Funktion "Ausscheiden inhalativer Stoffe aus der Atemluft" weitgehend übernimmt und so medizinisch zu einer vollständigen oder relevant erleichternden Wirksamkeit kommt. Es ist nach den Feststellungen des LSG darüber hinaus auch möglich, daß die Klägerin das Gerät täglich weit mehr als acht Stunden nutzen kann, etwa wenn sie wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes ihr Leben fast ausschließlich zu Hause und dort in einem kombinierten Wohnschlafraum mit Kochnische verbringt. Es fehlen insoweit Feststellungen des LSG über die Lebensgewohnheiten und die Wohnungsaufteilung der Klägerin sowie über die medizinische Wirkung des Gerätes bei einer zeitlich begrenzten Benutzung und - zur Kosten-Nutzen-Analyse iS der oben erwähnten Rechtsprechung - zu den Kosten eines für die Klägerin geeigneten Geräts. Dabei werden auch die nicht unerheblichen Kosten von Alternativen (umfangreiche Medikamentenbehandlung, Kuraufenthalt an der See uä) einerseits und die Möglichkeit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der Klägerin andererseits mit in die Überlegungen einzubeziehen sein.

Soweit nach den vorstehenden Ausführungen medizinische Feststellungen notwendig sind, käme bei einer Ablehnung der Mitwirkung seitens der Klägerin noch die Möglichkeit von Aktengutachten in Betracht; die Folgen einer eventuellen Beweislosigkeit hätte dann allerdings die Klägerin zu tragen (objektive Beweislast).

Die Feststellungen des LSG reichen auch nicht aus, das LRG als allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens iS des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V anzusehen. Die Frage des allgemeinen Gebrauchs eines Gegenstandes hängt, wie vom Senat näher dargelegt (Urteil vom 17. Januar 1996 - 3 RK 39/94 - für BSGE und SozR vorgesehen) in erster Linie von seiner praktischen Bedeutung für die Lebensführung der Menschen und ihre alltäglichen Lebensbetätigungen ab. Neben der tatsächlichen Verbreitung ist auch der Preis in die Wertung miteinzubeziehen. Das folgt aus Sinn und Zweck der Regelung. Diese trägt einmal dem Gesichtspunkt der Kausalität Rechnung, weil bei Gebrauchsgegenständen, deren sich praktisch jeder bedient, angenommen werden kann, daß diese auch ohne Krankheit erworben worden wären. Dieser Gesichtspunkt der Kausalität wird in der Regelung zum Bundesversorgungsgesetz (BVG) deutlicher als in derjenigen zur KV angesprochen, gilt aber auch hier. Im Bereich der KV kommt der Gesichtspunkt hinzu, daß eine durchaus noch "übliche" Anschaffung - auch wenn die Verbreitung des Gebrauchsgegenstandes nicht so groß ist, daß der Versicherte ihn mutmaßlich auch ohne Krankheit erworben hätte - uU gleichwohl unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit vom KV-Schutz ausgenommen und dem privaten Bereich zugeordnet werden kann. Es liegt auf der Hand, daß dies bei geringwertigen Gegenständen leichter angenommen werden kann.

Da der Gesetzgeber nicht pauschal alle "Gebrauchsgegenstände" von der Leistungspflicht der KV ausgenommen hat, sondern lediglich die allgemeinen Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens, kann nicht die Verbreitung bzw übliche Verwendung eines Gegenstandes in bestimmten Bereichen der Gesellschaft wie zB in der gewerblichen Wirtschaft, in der Verwaltung oder bei freien Berufen maßgeblich sein, sondern nur die Verbreitung innerhalb der privaten Haushalte der gesamten Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland, wobei Einschränkungen auf die betroffenen Teile der privaten Haushalte zu machen sind, wenn ein Gegenstand von seiner Verwendungsmöglichkeit her nur in bestimmten Haushalten vorkommen kann (zB Baby-Rufanlage nur in Haushalten mit Kleinkindern, BSG SozR 2200 § 182b Nr 37; Autokindersitze nur in Haushalten mit Kindern bis zum 12. Lebensjahr, BSG SozR 2200 § 182b Nr 6). Kommt ein Gegenstand in einem Haushalt üblicherweise nicht nur einmal vor, sondern - zB wegen des persönlichen Gebrauchs - häufig mehrfach, ist die Verbreitung pro Kopf entscheidend.

Das BSG hat zum erforderlichen Verbreitungsgrad bisher entschieden, daß bei einem Verbreitungsgrad von 12 vH (bezogen auf die Gesamtbevölkerung Deutschlands besitzen zwölf von 100 Menschen den Gegenstand) stets von einer üblichen Verwendung und damit von einem allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens gesprochen werden kann (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 16 - zum Personalcomputer in üblicher Ausstattung -) und daß bei einem Verbreitungsgrad von weniger als 3 vH eine Qualifizierung als allgemeiner Gebrauchsgegenstand ausgeschlossen ist (Urteil vom 17. Januar 1996 - 3 RK 39/94 -, für BSGE und SozR vorgesehen). Bei Gegenständen, die für den allgemeinen Gebrauch hergestellt werden und bei denen der Hersteller in den Prospekten und Bedienungsanleitungen auch nicht auf eine spezielle Eignung für Kranke oder Behinderte hinweist, kann zumindest dann die übliche Verwendung durch eine große Anzahl von Menschen vermutet werden, wenn der Anschaffungspreis 1.000,00 DM nicht überschreitet und deshalb anzunehmen ist, daß sie auch in Haushalten mit einem durchschnittlichen Einkommen nicht nur vereinzelt anzutreffen sind. Ob und unter welchen Voraussetzungen sehr teure Gegenstände (zB Luxusartikel) oder auf sehr spezialisierte Interessen einzelner Menschen abzielende Gegenstände, die von vornherein nur eine sehr geringe Verbreitung in der Bevölkerung finden können, als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens gelten können, bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung.

Das LSG wird zu ermitteln haben, ob LRGe privat ausschließlich oder zumindest überwiegend von kranken bzw behinderten Menschen und - ggf - umgekehrt, ob sie in einer großen Anzahl aller Haushalte der Bundesrepublik benutzt werden und ob LRGe für weniger als 1.000,00 DM verkauft werden. Zu denken wäre für derartige Ermittlungen etwa an Anfragen beim Statistischen Bundesamt, bei Elektrogeräteherstellern und deren Verbänden oder bei Einzelhandelsunternehmen.

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens (einschließlich der Nichtzulassungsbeschwerde) zu entscheiden haben.BUNDESSOZIALGERICHT

 

Fundstellen

Dokument-Index HI517726

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