Am Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit (U1-Verfahren) nehmen nach § 1 Abs. 1 AAG die Arbeitgeber teil, die in der Regel nicht mehr als 30 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen beschäftigen. Ausgenommen von der Teilnahme am U1-Verfahren sind nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 AAG u.a. der Bund, die Länder, die Gemeinden und Gemeindeverbände sowie sonstige Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie die Vereinigungen, Einrichtungen und Unternehmungen, die hinsichtlich der für die Beschäftigten des Bundes, der Länder oder der Gemeinden geltenden Tarifverträge tarifgebunden sind.

Die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung haben den im Deutschen Bundestag oder in den Landtagen vertretenen Fraktionen in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber in der Vergangenheit die Anwendung der Ausnahmeregelung nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 AAG zugestanden. Im Fall der Gemeinderatsfraktionen innerhalb des Landes Baden-Württemberg waren die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung hingegen zu dem Ergebnis gelangt, dass sie von der Ausnahmeregelung des § 11 Abs. 1 Nr. 1 AAG nicht erfasst werden und damit der Umlagepflicht unterliegen (vgl. TOP 14 der Niederschrift zur Besprechung über Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs am 23./24.11.2011).

Das SG Gelsenkirchen hat mit Urteil vom 14.11.2017, S 28 KR 633/14, den Bescheid über die Feststellung der U1-Umlagepflicht für eine Gemeinderatsfraktion in Nordrhein-Westfalen aufgehoben. Unter Bezugnahme auf ein Gutachten der Fachschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen führt das SG aus, dass das von den Sozialversicherungsvertretern angeführte Unterscheidungsmerkmal zwischen Bundes- und Landesebene einerseits und den Gemeinderatsfraktionen andererseits nicht überzeugen könne. Auch Gemeinden würden (materielle) Gesetze beschließen und verabschieden. Nach der Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalens könnten Gemeinden beispielsweise durch Satzungen Hebesätze für Gemeindesteuern, wie Grund- und Gewerbesteuern, beschließen. Die Auffassung, dass Satzungen zwar materielle, aber nicht formelle Gesetze seien und dies deswegen dazu führe, dass Fraktionen auf kommunaler Ebene nicht in die Ausnahmeregelung des § 11 AAG einzubeziehen wären, sei dem AAG nicht zu entnehmen. Für Fraktionen bestehe zudem wegen der Zuwendungen für die sachlichen und personellen Aufwendungen keine Schutzbedürftigkeit i.S.d. AAG.

Die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung haben vor dem Hintergrund der durch das vorgenannte Urteil entstandenen unterschiedlichen Rechtsauffassungen über die Umlagepflicht von Fraktionen neu beraten. Sie sind dabei zu der Auffassung gelangt, dass die Zugehörigkeit zum Kreis der von der Teilnahme am U1-Verfahren ausgenommenen Arbeitgeber nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 AAG nicht von den Aufgaben und Tätigkeiten abhängig ist, die den Fraktionen innerhalb der jeweiligen Parlamente auf Bundes- oder Landesebene bzw. kommunaler Ebene zugewiesen sind. Dementsprechend lässt sich eine unterschiedliche Behandlung von Fraktionen auf Bundes- und Landesebene einerseits und von Fraktionen auf kommunaler Ebene andererseits allein über die jeweils zugewiesenen Aufgaben und Tätigkeiten, insbesondere im Bereich der Gesetzgebung, nicht (mehr) begründen. Damit sind auch die wesentlichen Entscheidungsgründe in dem Urteil des SG Gelsenkirchen vom 14.11.2017 nicht tragfähig.

Fraktionen auf Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene sind von der Ausnahmeregelung in § 11 Abs. 1 Nr. 1 AAG nicht erfasst. Sie sind

  • weder (Teil-)Organe der jeweiligen Vertretungsorgane des Bundestages, der Landtage und der Gemeindevertretungen und können insofern nicht unter "Bund", "Länder", "Gemeinden" und "Gemeindeverbände" subsumiert werden
  • noch gehören sie zu den "sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechts" oder sind ihnen gleichgestellt
  • noch sind sie "Vereinigungen", die hinsichtlich der für die Beschäftigten des Bundes, der Länder oder der Gemeinden geltenden Tarifverträge tarifgebunden sind.

Die im Deutschen Bundestag, in den Landtagen und in den Gemeinderäten vertretenen Fraktionen sind keine öffentlichen Arbeitgeber (vgl. BAG, Urteil vom 16.5.2019, 8 AZR 315/18 betreffend Fraktionen des bayerischen Landtags). Sie sind aufgrund ihrer Rechtsstellung – gemäß dem Abgeordnetengesetz sowie den Fraktionsgesetzen der Bundesländer und Gemeindeordnungen – nicht Teil der öffentlichen Verwaltung und üben keine öffentliche Gewalt aus. Die Mitarbeiter von Fraktionen stehen im Allgemeinen aufgrund privatrechtlicher Beschäftigungsverhältnisse in den Diensten der Fraktionen (vgl. Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages vom 19.1.2010, WD 3–011/10, Rechtsfragen zum Fraktionsstatus). Fraktionen sind rechtlich selbstständig und handeln nicht als Organe des Parlaments, sondern nehmen unter ihrem Namen am Rechtsverkehr teil. Dementsprechend sind sie nicht in die staatliche Behördenstruktur eingegliedert (vgl. für die Bundestagsfraktionen: Gesetzesbegründung zum Fraktio...

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