Fachkräftemangel kostet Milliarden: HR neu bewerten

Der Arbeitskräftemangel kostet Deutschland nach Berechnungen der Unternehmensberatung BCG jährlich rund 86 Milliarden Euro verlorener Wirtschaftsleistung. Experten zufolge stellt er derzeit eines der größten Geschäftsrisiken für Unternehmen dar. Eine Neubewertung der HR-Funktion könnte einen Ausweg bieten. Dafür müsste die Wertschätzung gegenüber Personalerinnen und Personalern im Unternehmen steigen.

Der Mangel an Fach- und Führungskräften gehört für deutsche Unternehmen derzeit zu den größten Geschäftsrisiken und verursacht Kosten in Milliardenhöhe. Einer Berechnung der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) zufolge, könnten die Kosten für dadurch verlorene Wirtschaftleistung bei bis zu 86 Milliarden Euro jährlich liegen. Das größte Handlungspotenzial für Unternehmen sieht der Personalexperte Matthias Clesle in den Personalabteilungen. Diese hätten jedoch mit schlechter Bezahlung, schlechter Ausstattung und mangelnder Wertschätzung zu kämpfen.

HR als Schlüsselfaktor für den Unternehmenserfolg

"Der Fachkräftemangel erfordert ein Umdenken", sagt Clesle. Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) blieben allein im dritten Quartal 2022 rund 1,8 Millionen Stellen in Deutschland unbesetzt. Der Arbeitsmarkt ist in vielen Branchen mittlerweile so leergefegt, dass Personalabteilungen mehr denn je zum Schlüsselfaktor für den Unternehmenserfolg geworden sind.

Sei der Geschäftsbereich gut aufgestellt, so Clesle, würden hier die wenigen am Markt verfügbaren Fachkräfte gewonnen, die für das Wachstum eines Unternehmens unerlässlich seien. Daneben dürften natürliche Fluktuation sowie Verrentung die Lage in vielen Betrieben weiter zuspitzen. Clesle findet dafür dramatische Worte: "Von den Personalverantwortlichen hängt die Überlebensfähigkeit eines Betriebs ab". Er plädiert deshalb für eine Neubewertung der HR-Funktion.

Personaler oft unterbezahlt

Paradoxerweise spiegelt sich die Bedeutung, die der Geschäftsbereich angesichts des Arbeitskräftemangels einnimmt, in vielen Unternehmen nicht wider. Das zeigt bereits ein Blick auf die Gehaltsstruktur. So verdient in Deutschland der Großteil der Führungskräfte im HR-Bereich circa 15 bis 25 Prozent weniger als etwa vergleichbar qualifizierte Mitarbeitende im Vertrieb. Auch bei den Einstiegsgehältern ist eine deutliche Diskrepanz zu erkennen. Vergleicht man etwa das Gehalt von Personalsachbearbeitenden mit dem von Mitarbeitenden im IT-Bereich, liegt dieses teils um über 25 Prozent darunter. 

Verschenktes Potenzial in Personalabteilungen

Ein Ungleichgewicht, das dazu beiträgt, dass Motivation und Performance im Human Ressource Management nicht selten weit unter dem Möglichen bleiben, glaubt Clesle. Doch es ist nicht allein die Bezahlung, die wenig Anreize setzt. Viel entscheidender sei, dass der Personalabteilung in vielen Unternehmen nicht das strategische Gewicht eingeräumt wird, das ihr zukommen müsste: Oft verbrächten hochqualifizierte HRler ihre Arbeitszeit mit dem Abarbeiten einfacher Vorgänge, wie zum Beispiel der Seminarorganisation oder dem Veröffentlichen von Stellenanzeigen. Wirkliche Veränderungen trieben sie im Unternehmen so selten voran und ihre Stärken und Talente blieben ungenutzt – für Clesle verschenktes Potenzial. 

Fachkräftemangel: Paradigmenwechsel notwendig

Um ihre Überlebensfähigkeit zu sichern, rät der Experte Unternehmen dazu, umzudenken und den Personalbereich  aufzuwerten. "Es geht um einen Paradigmenwechsel", sagt der Personalentwickler. Der Abteilung müsse  der Stellenwert eingeräumt werden, den sie als strategischer Problemlöser de facto einnimmt. Statt nach Fachkräften zu suchen, müsse es darum gehen, die vorhandene Belegschaft weiterzuentwickeln und Demotivation zu verhindern. Beides könne den Arbeitskräftemangel abmildern.

Um das Potenzial im HR-Bereich zu heben, sei allerdings ein Umdenken auf beiden Seiten erforderlich. Die Geschäftsführung müsse HR mit mehr Gestaltungsspielraum und Ressourcen ausstatten, um leistungsfähiger zu werden. Gleichzeitig müssten Personalerinnen und Personaler sich aktiver einbringen und ihre Ergebnisse sichtbarer machen, so Clesle. Diese Forderung ist nicht neu und wird auch regelmäßig von Berufs- und Branchenverbänden formuliert. Sie umzusetzen, liegt jedoch im Handlungsfeld von HR.


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