Zelensky und die Rolle von Kleidung in der Führung

Führen und Folgen sind die Grundlage gelingender Zusammenarbeit. Doch ihre Voraussetzungen unterliegen dem Wandel. Unser Kolumnist Randolf Jessl beleuchtet diesmal die Frage: Welche Rolle spielt Kleidung beim Führen?

Kleider machen Leute, weiß der Volksmund. Aber hilft Kleidung auch, als Führungspersönlichkeit wahrgenommen zu werden? Unsere Alltagserfahrung wie auch Forschung legen das nahe.

Denken wir zum Beispiel an eines der bittersten, aber auch atemberaubendsten Leadership-Beispiele der letzten Zeit: Ein Komiker wandelt sich im Zuge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine zum Kriegsherrn und füllt diese Rolle noch dazu so überzeugend aus, dass ihm (zumindest in der westlichen Welt) die Herzen zufliegen.

Vom Komiker zum Kriegsherrn: Auch eine Kleiderfrage

Die Rede ist von Volodymyr Zelensky. Der 2019 ins Amt gewählte, heute 44-jährige Präsident der Ukraine hatte sich damals bereits eine ungeheure Reputation als Comedian in der ostslawischen Welt erworben. Er war so etwas wie der Stefan Raab der ukrainischen Unterhaltungsindustrie und scheute auch nicht davor zurück, in Unterhosen über die Bühne zu hüpfen, um seine Fans zum Lachen zu bringen.

Wie anders das Bild, das Zelensky seit Kriegsbeginn im Februar 2022 abgibt. Aus dem Komiker wurde in den Augen der Welt ein Staatsmann, der sein Volk durch eine Zeit von "Blut, Schweiß und Tränen" führt und mit klaren Ansagen vermittelt, was die Ukraine will und was sie von ihren Partnern erwartet. In Unterhosen trägt der Präsident diese Forderungen nicht mehr vor, aber auch nicht im Anzug – wie es die meisten Staatsmänner der westlichen Welt in ihrem Alltag tun.

Zelensky trägt seit Kriegsbeginn ein Kampf-T-Shirt und Kampfhosen der ukrainischen Streitkräfte. Er weiß wahrscheinlich sehr genau, warum er das tut. Denn auch über Kleidung wird kommuniziert – und das gilt umso mehr, je mehr Augen auf einen gerichtet und je mehr Medien im Spiel sind.

Kleidung sendet Signale

Generell gilt, dass formale Kleidung nach wie vor mit Führungsaufgaben assoziiert wird. Chefinnen und Chefs tragen (Hosen-)Anzüge. Formale Kleidung signalisiert Professionalität, Kompetenz – aber auch eine gewisse Distanz und Abgehobenheit. Demgegenüber vermittelt ein lockerer, von der Business-Norm abweichender Kleidungsstil Kreativität, Nahbarkeit, Individualität.

Die Pioniere einer neuen Unternehmens- und Führungswelt im kalifornischen Silicon Valley hatten sich diesen Effekt zunutze gemacht, als sie ab den 1970er Jahren wahlweise in Rollkragenpullis, Bermuda-Shorts oder grellen T-Shirts ihren Führungsjobs nachgingen. Die Botschaft: "Ich breche die Regeln, ich schere mich um keine Konvention – und gemeinsam erfinden wir die Welt neu". Ironischerweise ist sehr bald ihre Kleider-Rebellion zum neuen Dresscode ihrer Branchen geworden.

Daraus folgt: Wer eine wichtige Botschaft hat – und das ist bei Führungskräften mit einer Vision und Mission meist der Fall –, die oder der kann sie mit Kleidung verstärken. Bei Zelensky unterstreicht das Outfit die Botschaft nach innen "Ich bin einer von Euch und kämpfe mit Euch", nach außen betont der Kleidungsstil "Wir sind im Ausnahmezustand, es geht um Leben und Tod".

Kleidung beeinflusst, wie man sich fühlt

Doch noch eine Funktion hat Kleidung. Wie Forschung zeigt, beeinflusst sie auch die Selbstwahrnehmung der Person, die diese Kleidung trägt. Anzüge vermitteln denen, die sie tragen, eben genau jenes Gefühl von Professionalität, Kompetenz und hervorgehobener Bedeutung.

Eine Studie von Forschern der Universitäten Innsbruck, Vaduz und Bozen ist dem Spannungsfeld auf den Grund gegangen, in dem Führungskräfte agieren, die wahlweise den Dresscode brechen oder ihm entsprechen. Ihre Erkenntnis lautet: Nach wie vor signalisiert ein formaler Dresscode potenziellen Followern eine Führungsrolle und einen Führungsanspruch. Er trägt durchaus dazu bei, dass diesen Menschen beim Erstkontakt von Außenstehenden Führungsstärke attestiert wird.

Allerdings zahlt die Brechung der Kleidungsnorm (wie im Falle Zelenskys und der frühen Silicon-Valley-Unternehmer) auf etwas ein, das in der Forschung rund um den "transformationalen Führungsstil" sich als besonders wirksam erwiesen hat, um Gefolgschaft zu gewinnen: Die Rede ist von Charisma. Wer sich abhebt und seinen eigenen Stil setzt, demonstriert, dass ihm oder ihr Konventionen egal sind, dass er oder sie einen eigenen Kopf hat, dass diese Person entschlossen neue Wege geht. Das sehen Follower an ihren Leadern gerne. Das alles funktioniert aber nur, wenn die Menschen wahrnehmen, dass die Person in der gegebenen Situation wirklich und gewollt die Regeln bricht – und eben nicht nur einem alternativen Dresscode anhängt.

Kleine Entscheidungshilfe in Kleiderfragen

So gesehen sollte, wer führen will, in Sachen Kleidung dreierlei bedenken:

  1. Welche Botschaft sendet die Art, wie ich mich kleide, generell auf Menschen aus?
  2. Zahlt diese Botschaft bei anderen auf die Wahrnehmung von Führungsstärke ein?
  3. Was macht die Kleidung mit mir? Fühle ich mich in diesem selbst gewählten Outfit wirklich gestärkt oder eher verunsichert, weil ich nur einen Effekt erzielen will und all das eigentlich nicht zu mir passt?

Mit Blick auf die Anmutung von Führungsstärke und dem Vermögen, andere zum Folgen zu bewegen, dürfte daher die Kombination aus bewusst gesendeten Signalen durch eine Kleidung, in der man sich wohl und gestärkt fühlt, die beste Wahl für Führungspersönlichkeiten sein. Bei Volodymyr Zelensky scheint mir das gelungen.


Randolf Jessl ist freier Journalist und Inhaber der  Kommunikations - und Leadershipberatung Auctority. Er unterstützt Menschen und Organisationen, die etwas bewegen und in Führung gehen wollen.


Schlagworte zum Thema:  Leadership, Mitarbeiterführung