Verbindendes und Trennendes führen

Boris Grundl wird als einer erfolgreichsten Managementtrainer Deutschlands gefeiert. Grundlage seiner Arbeit ist die Erforschung und Lehre von Unterscheidungen. Wer diese mentalen Denkmuster wahrnimmt, kann sich entwickeln. In seiner aktuellen Kolumne, in der Zeitschrift "wirtschaft + weiterbildung", zeigt er, warum Mitarbeitende und Unternehmen nicht in allen Werten übereinstimmen müssen.

Waren Sie schon einmal verliebt? Mit Schmetterlingen im Bauch? Falls Sie sich nicht mehr erinnern können, helfe ich Ihnen kurz: Es ist ein Zustand, in dem Sie eine Straße nicht mehr schlicht überqueren, sondern förmlich überschweben und Bekannte feixen: "Es ist mir egal, welche Drogen du nimmst, aber gib mir bitte welche ab …"

Das Verbindende zwischen Menschen erleben

Was für ein schöner Zustand! Betroffene nehmen nur wahr, was sie mit einer anderen Person verbindet. Beide werden zur Einheit. Für Menschen scheint es eine tiefe Sehnsucht zu sein, vollkommen mit jemand anderem zu verschmelzen. Zuerst geistig und schließlich auch körperlich. Doch wir alle wissen: Diese Euphorie hält nicht ewig. Irgendwann – nach Wochen, Monaten oder Jahren – wird klar, dass es Aspekte gibt, die uns vom anderen trennen. Und jetzt wird es interessant.

Das Trennende zwischen Menschen erkennen

Aus Enttäuschung, doch nicht die ewige Liebe gefunden zu haben, machen sich einige auf den Weg, einen neuen Gegenpart zu finden. Andere verfallen in Beschwerden, weil das Gegenüber nicht mehr die ersehnten Glücksgefühle hervorruft. Geistig Reifere reagieren völlig anders. Ihnen ist bewusst, dass sich bei Neuem unser Bewusstsein zunächst auf das Verbindende ausrichtet. Doch sie wissen auch, dass Trennendes, das sich nach der ersten Verliebtheitsphase zeigt, von Anfang an mitschwingt. Nur eben noch unbewusst. Bei einer reifen Liebe wissen beide, was sie verbindet und was sie trennt. Sie richten sich immer wieder auf Ersteres aus. Die Gier nach kompletter Verschmelzung wird durch Realitätssinn ersetzt.

Das Verbindende und Trennende zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften

Was auf der intimsten Ebene eines Paares funktioniert, gilt auch für andere Beziehungen. Wer beispielsweise die Firma wechselt, hat bei der alten Arbeitsstelle das Trennende und im neuen Job nur das Verbindende im Kopf. Doch auch bei der neuen Stelle erkennt die Person irgendwann die trennenden Faktoren. Unreifere Charaktere suchen häufig Arbeitsplätze, die maximal mit den eigenen Werten übereinstimmen. Sei es bezüglich Unternehmenskultur oder Führungskraft. Umgekehrt gibt es Vorgesetzte, die Mitarbeitende mit identischen Werten zur Firma suchen. So verständlich dieser Wunsch ist, so sehr geht er an der Realität vorbei. Zwischen jedem Menschen, jeder Kultur, also bei jeder Form von Beziehung, gibt es immer beides: Trennendes und Verbindendes.

Es gibt Vorgesetzte, die Mitarbeitende mit identischen Werten zur Firma suchen. So verständlich dieser Wunsch ist, so sehr geht er an der Realität vorbei.

Professionalität im Job heißt auch, Trennendes zu akzeptieren

Es reicht völlig, wenn Menschen einen Platz finden, mit dem sie sich etwas mehr als 50 Prozent verbinden. Dann nimmt ein trainiertes Bewusstsein Unterschiede klar wahr und richtet sich bewusst auf die verbindenden Elemente aus. Diese Professionalität kommt viel zu selten vor. Die Gier nach verbindenden Gefühlen ist weit verbreitet. Der Wunsch nach freudvollen Emotionen vernebelt die Sinne für die Realität der Professionalität. Als Firmenverantwortlicher ist es völlig in Ordnung, mit Menschen über dieses Thema zu sprechen. Man sollte akzeptieren, dass es Empfindungen gibt, die Menschen voneinander trennen.

Unternehmenskultur braucht professionelle Klarheit

Welch wunderbare Erleichterung, wenn das in Organisationen gelebt wird. Das ist bei der Transformation von Firmenkulturen immer wieder der entscheidende Durchbruch. Diese Klarheit entlastet emotional und bringt falsche Erwartungen ans Tageslicht. Dieses Gefühl an Wahrhaftigkeit wünsche ich Ihnen. Wenn Sie diese Klarheit noch nicht erleben, fangen Sie bitte gleich heute damit an. Es lohnt sich!


Über den Kolumnisten: Boris Grundl ist Führungskräftetrainer und gilt bei Managern und Managerinnen sowie Medien als "Der Menschenentwickler" (Süddeutsche Zeitung). Er ist Inhaber des Grundl Leadership Instituts, das Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden. Dafür erforscht, testet und lehrt das Institut hochwertige, praxisrelevante Unterscheidungen - als Voraussetzung für Wahrnehmung und Erkenntnis. Seine Kolumne erscheint in der Haufe-Zeitschrift "wirtschaft + weiterbildung".

Schlagworte zum Thema:  Mitarbeiterführung, Leadership, Weiterbildung