New Work in Brandenburg
Der kürzlich verstorbene Philosoph und Managementsoziologe Frithjof Bergmann hat mit seinen Ideen zu "New Work" auch das Human Resource Management nachhaltig beeinflusst. Vieles wie zum Beispiel "Agilität" oder "mobiles Arbeiten" hat sich inzwischen verselbstständigt und gute Chancen, sich unter "Moden und Mythen" einzureihen. Dabei kann "New Work" nach wie vor mehr sein als eine zeitgemäß erscheinende Managementtechnologie. Nahezu zeitlos ist bspw. die Frage, ob "Arbeit glücklich macht – oder krank", wie sie in der Diskussion um den Wertewandel in den 80er Jahren gestellt wurde, oder ob sie doch ein Weg zu mehr "Individualisierung und Flexibilisierung" jenseits von modern daherkommenden Rationalisierungsmethoden ist. Die folgenden Ausführungen beschreiben einige eher unbekannte Facetten des Wirkens von Frithjof Bergmann in Brandenburg und Berlin.
Zum arbeitsmarktpolitischen Ansatz
1996 hielt Frithjof Bergmann im Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) einen Vortrag zum Thema "Neue Arbeit – Neue Kultur". Auch die damalige Arbeitsministerin Regine Hildebrandt und der damalige Abteilungsleiter für Arbeit des Landes Brandenburg, Dr. Rolf Schmachtenberg, waren unter den Zuhörern.
Etwa 2006 wurde über Umsetzungsmöglichkeiten von "New Work – New Culture" nachgedacht. Bergmann hielt einen Workshop zu "Neuer Arbeit – Neuer Kultur", organisiert durch die Landesagentur für Struktur und Arbeit (LASA), und unterbreitete im persönlichen Gespräch das Anliegen, eine Fabrik für Elektroautos zur Beschäftigung Langzeitarbeitsloser – inspiriert durch Erfahrungen in Indien – zu gründen. Leider sah man sich außerstande, aus dem Ministerium heraus so ein Unternehmen zu gründen oder ein geeignetes Unternehmen dazu zu ermuntern.
Allerdings gab es durchaus ein grundsätzliches Interesse vonseiten der Unternehmerschaft, auch wenn man seiner Vorstellung von selbstbestimmter Arbeit skeptisch gegenüberstand. Dabei wurde das Thema der digitalen Bauteilherstellung in der Diskussion mit Frithjof Bergmann über die Jahre zunehmend relevant. Dazu zählte die Frage, ob eine Digitalisierung der Arbeit, die ja auch den Erwerb von Kenntnissen (auch ein Grund für die Einrichtung von Center of New Work) erfordert, zu größerer Freiheit des Einzelnen beiträgt. Führt also "die Werkstatt auf dem Küchentisch" zu mehr Freiheit für den Einzelnen? Unter dem Aspekt der Selbstversorgung auch mit High-Tech-Gütern war für ihn die Antwort eindeutig Ja. Sowohl für den Einzelnen als auch gesamtwirtschaftlich zählt allerdings auch die oft vernachlässigte Frage nach der Produktivität, also die Problematik, ob jeder all die Dinge, die er selbst herstellen kann, in der zur Verfügung stehenden Zeit auch wirtschaftlich herzustellen in der Lage ist. Darin begründet sich die Idee des Tauschhandels, in dessen Rahmen jeder das herstellt, was er am besten und damit auch am schnellsten kann. Bergmann war kein erklärter Freund des Tauschhandels, aber auch kein Feind dieser Idee. Diese Diskussion wurde leider nie zu Ende geführt.
Frithjof Bergmann führte intensive Gespräche und erhielt Unterstützung für sein Werben um neue "Center of New Work". Um 1998/99 war Frithjof Bergmann in Lauchhammer im Süden von Brandenburg bei der Wirtschaftsentwicklungs- und Qualifizierungsgesellschaft GmbH tätig. Diese Arbeits- und Qualifizierungsgesellschaft erhielt die Förderung einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) für 15 Personen, die sich nach den Vorstellungen von Frithjof Bergmann ausgehend von ihren Wünschen eine berufliche Zukunft entwickeln sollten. Das Vorhaben wurde von dem damaligen Abteilungsleiter des Arbeitsministeriums Brandenburg, Dr. Rolf Schmachtenberg, ideell sehr unterstützt und begleitet.
Für das Projekt wurde ein architektonisch gelungenes Holzhaus gebaut, das "Haus der Möglichkeiten", wo Veranstaltungen und Seminare der ABM stattfanden. Es entstand auch eine Töpferei, die mehrere Jahre betrieben wurde. Frithjof Bergmann entwickelte mit den Teilnehmern das Konzept, die aufgelassene Friedensgedächtnis-Kirche in Lauchhammer als "Zentrum für Kunst, Kultur und Politik" zu nutzen.
2010 wurde die Breuninger Stiftung aktiv. Gefördert durch ESF-Mittel des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen des Landes Brandenburg und mit Unterstützung der Breuninger Stiftung wurde vom Europäischen Regionalen Förderverein e. V. als Träger das Projekt "100 x Neues Leben und Arbeiten in der Uckermark" in Angermünde für 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Mitte 2011 bis Ende 2013 umgesetzt.
Die Breuninger Stiftung erwarb das Gebäude der ehemaligen Berufsschule in Angermünde. Es bot unter anderem große Ateliers für Malerinnen und für ein Technologielabor mit 3D-Drucker et cetera. Das Haus steht – jetzt unter der Bezeichnung "Projekthaus AHA" – den Bewohnern Angermündes und Umgebung für ein geringes Entgelt zur Nutzung zur Verfügung. Akteure aus dem Projekt in Angermünde engagieren sich im Hebewerk e. V. in Eberwalde, das dort ein "Offenes Technologie Labor" betreibt. Hier treffen sich junge Leute zum Ideenaustausch, zur Entwicklung von Start-ups, zum gemeinsamen Arbeiten und auch Forschen.
Bereits 2006, als noch niemand von 3D-Druckern in Brandenburg sprach, wies Frithjof Bergmann auf diese technische Neuerung hin. Letztendlich durch seinen Anstoß wurde 2017 ein Kompetenzzentrum für 3D-Druck-Verfahren von dem damaligen Bereichsleiter der Deutschen Angestellten Akademie (DAA), Hans Stegemann, in Eberswalde eingerichtet.
Was wirkt arbeitsmarktpolitisch nach?
Unmittelbar geht auf Frithjof Bergmann in Brandenburg die Wiederbelebung der säkularisierten "Friedensgedächtniskirche" in Lauchhammer als ein Zentrum für Kultur, Kunst und Politik zurück. Darüber hinaus hat er die Verbindungen nach Österreich zu den "Offenen Technologie Laboren" hergestellt und verstärkt und die Schaffung nichtkommerzieller Co-Working-Spaces in Brandenburg beflügelt. Darüber hinaus wäre das 3D-Druck Kompetenzzentrum der DAA in Eberswalde ohne seine Kontakte zu Professor Andreas Gebhardt, FH, einem Pionier des 3D-Drucks in Deutschland, nicht zustande gekommen.
Die Formulierung einer konkreten Utopie – "ein Drittel der Zeit für Lohnarbeit, ein Drittel der Zeit für High Tech Self Providing und ein Drittel der Zeit, für das, was man wirklich, wirklich will" - wird nachwirken als Anstoß zum Nachdenken über die Überwindung des heutigen auf Profit und Konsum basierenden Wirtschaftssystems.
Sein Vorschlag des High Tech Self Providing könnte dazu führen, dass das Wirtschaften ökologischer wird, da Gebrauchsgegenstände, weil selbst gemacht, weniger weggeworfen werden. Bergmann stellte sich diesen Ansatz vor allen Dingen für arme, in prekären Situationen lebende Menschen vor, für die 80 Prozent der Menschen, die er als "Wüstenmenschen" bezeichnete, während er in Bezug auf Deutschland und Österreich immer von "Inseln der – ahnungslosen – Glückseligen" sprach. Bemerkenswert war seine stete Suche nach technischen Neuerungen zur Verwirklichung des High Tech Self Providing.
Es wirkt nach, dass Bergmanns Idee eine wissenschaftlich fundierte Theorie ist, die in Anlehnung an Erich Fromm und Karl Marx die philosophische Grundlage der "Freiheit der Menschen zur Entscheidung" weiterentwickelt und auf die neue Grundlage "der Freiheit der Menschen zum Handeln" gestellt hat. Das ist ein enormer Schritt und beinhaltet die Wandlung vom Passiven ins Aktive. Und das ist auch der Kern vieler "Center of New Work": die Unterstützung der Einzelnen bei der Entwicklung der Freiheit zum Handeln. Und auf dem Weg dahin zu erkennen, was wir "wirklich, wirklich wollen".
"Sein eigenes Ding durchzuziehen mit den Chancen zur schöpferischen Entfaltung" bilden das Zentrum der Überlegungen. Arbeit soll uns nicht auslaugen und erschöpfen, sondern mehr Kraft und Energie geben; sie soll uns zu vollkommeneren und glücklicheren Menschen machen. Wenn jetzt allerdings in Unternehmen von allen Mitarbeitern in falsch verstandener Anlehnung an New Work – New Culture die völlige Hingabe an die Arbeit verlangt wird, selbst wenn man sich "nur" den Lebensunterhalt verdienen will, zum Beispiel als Essenslieferant, ist das eine Perversion des Bergmannschen Ansatzes.
Zu den Autorinnen und Autoren:
Dieter Wagner ist emeritierter Professor der Betriebswirtschafslehre an der Universität Potsdam und Ehrenherausgeber der Zeitschrift "PERSONALquarterly".
Ursula Klingmüller war Referatsleiterin im Brandenburgischen Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen.
Andreas Gebhardt war Professor an der FH Aachen und unter anderem. Experte für 3D-Technologien. Beide waren mit Frithjof Bergmann eng befreundet.
Dieser Beitrag ist erschienen im Wissenschaftsjournal PERSONALquarterly 4/2021. Die gesamte Ausgabe mit dem Schwerpunkt zu Shared Leadership können Sie hier lesen.
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