New Work in Zeiten der Krise: Interview mit Sabine Kluge

Die Industrie befindet sich in einer Rezession. Sabine Kluge gehört zu den Gründern von "Working Out Loud“ in Deutschland und ist eines der prominentesten Gesichter der New-Work-Bewegung. Im Interview mit dem Personalmagazin erklärt sie, wie sich die Krise auf New Work auswirkt.

Personalmagazin: Die Industrie ist in der Rezession und fährt Kostensenkungsprogramme. Welche Folgen hat das für New-Work-Initiativen?

Sabine Kluge: Die Reaktionen auf die Rezession sind für mich bisweilen überraschend kontrovers: Die einen Unternehmen investieren nicht mehr in das Thema neue Arbeitsorganisation – wegen der sich abzeichnenden Krise. Und die anderen investieren erst recht – auch wegen der sich abzeichnenden Krise. Ein großer Automobilhersteller beispielsweise überführt sein großes, erfolgreiches Digitalisierungsprojekt nun nach wenigen Jahren "in den Regelbetrieb", was in Konzernen meiner Erfahrung nach meist zu einem starken Abbremsen der Initiative führt, da ihr Ressourcen entzogen werden – personell wie finanziell.

New Work: Kontroverse Reaktionen in der Automobilbranche

Personalmagazin: Kennen Sie auch Beispiele aus Konzernen, wo es anders läuft?

Kluge: Ja. Die Automobilzulieferer stehen ja derzeit unter besonderem Kostendruck und bauen vielfach Personal ab. Einer der größten Zulieferer hat jetzt ein Purpose-Projekt gestartet, weil kluge Vordenker im Haus der Überzeugung sind, dass das Unternehmen nur mit der Schärfung des gemeinsam vertretenen Unternehmenszwecks gut und erfolgreich in die Zukunft kommt.

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Personalmagazin: In den Initiativen sind viele selbstbewusste Leute engagiert. Wie reagieren diese?

Kluge: Bei Mitarbeitern, die Kürzungen beobachten oder in ihren Projekten selbst erleben, geht dies mit einer gehörigen Portion Frustration einher. Gerade in der Automobilindustrie geht ganz viel Spirit und Pioniergeist verloren. Für mich ist es ein bemerkenswertes Phänomen, wie viele dieser Talente und Hoffnungsträger sich derzeit umorientieren, in den sozialen Netzwerken starke Profile aufbauen. Dabei geht es ihnen erfahrungsgemäß in den seltensten Fällen um existenzielle Zweifel, vielmehr geht es vielen von ihnen vielfach darum, etwas anderes, "Sinnvolles" zu tun.

Personalmagazin: Eine der großen Initiativen ist ja "Working Out Loud". Wird die WOL-Bewegung an Kraft verlieren?

Kluge: Wir erleben in Bezug auf WOL weiterhin wachsendes Interesse. Für unser diesjähriges "Wolcamp", bei dem Praktiker von Praktikern lernen, mussten wir in eine größere Location umziehen: Die Teilnehmerzahl hat sich von 2018 auf 2019 verdoppelt! Das liegt auch daran, dass die Entscheidungsträger in den Unternehmen mehr und mehr verstehen, wie wichtig soziales Lernen ist, und welche Kraft sich daraus entwickeln kann, wenn es um Kreativität und Innovation geht. Erkenntnisse wie Druckers "Culture eats strategy for breakfast" oder Peter M. Senges Modell der Lernenden Organisation kommen langsam, vielleicht noch zu langsam, aber zunehmend in den Köpfen der Entscheidungsträger an.

Vertrauen der Entscheidungsträger ist notwendig

Personalmagazin: Eignet sich WOL nicht auch, um Krisenstrategien zu erarbeiten und umzusetzen?

Kluge: Erstens eignet sich WOL, um alle Kräfte und Potenziale aus den Köpfen der Mitarbeiter für das Unternehmen nutzbar zu machen: Ohne Vernetzung geht es nicht. Zweitens können selbstverständlich Circles auch an konkreten unternehmerischen Fragestellungen arbeiten, und tatsächlich starten wir genau so ein Experiment bei einem von uns betreuten Schweizer Unternehmen. Aber wie schon immer gilt auch hier: Die Erkenntnisse müssen dann von den Entscheidungsträgern auch gewürdigt werden, deren Vertrauen ist notwendig, damit es zur Umsetzung von Maßnahmen kommt, die sich im Zweifelsfall außerhalb der ausgetretenen Pfade befinden. Hier hapert es bisweilen.

Personalmagazin: Kommen wieder autoritäre Führungsmodelle zurück, die partizipative Modelle verdrängen?

Kluge: Die partizipativen Modelle waren zumindest in traditionellen Unternehmen auf großer Fläche nie wirklich verankert. Die Ablauforganisationen wurden zwar fragmentarisch mit selbstorganisierten Teams durchsetzt, wo Initiatoren sich bereit erklärten, diesen bisweilen steinigen Weg zu gehen und Konflikte mit der Restorganisation in Kauf zu nehmen. An den Aufbauorganisationen hat sich jedoch nichts geändert.

"Loslassen" als Voraussetzung für Selbstorganisation

Personalmagazin: Kennen Sie auch positive Beispiele?

Kluge: Ich habe neulich einen CEO erlebt, der davon berichtete, wie schwer es ihm fällt, mit selbstorganisierten Teams umzugehen. Wenn seine weitgehend selbstorganisierten Mitarbeiter zu ihm mit Ideen kämen, gehe er innerlich bisweilen an die Decke, wenn er eine eigene, vermeintlich bessere Lösung habe. Aber er wisse genau, dass er sich dann zurücknehmen müsse, wenn er die Idee der Selbstorganisation ernst nehme und am Leben erhalten wolle. Das war für mich ein echter Leader in einem ganz konservativen traditionellen Unternehmen. Davon brauchen wir noch viel mehr.

Personalmagazin: Was hindert Organisationen daran, auf mehr Selbstorganisation zu setzen und daran auch in Krisenzeiten festzuhalten?

Kluge: Wir predigen das berühmte "Loslassen" als Voraussetzung für Selbstorganisation. Doch das fällt traditionell sozialisierten Führungskräften immens schwer, weil sie damit auch die mit Führung einhergehenden Statusthemen hinterfragen müssen. Und das ist ein großes Tabu. Viele Führungskräfte verwechseln Selbstorganisation – diese hochstrukturierten, partizipativen Kommunikationsformate – immer noch mit nettem zwischenmenschlichen Umgang und patriarchischen Strukturen. Das hochkomplexe Kommunikationssystem Soziokratie – als echte Alternative zur Hierarchie – ist vielen Akteuren zu mühsam, es fehlt die Zeit, sich überhaupt in derlei Strukturen einzuarbeiten.

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Personalmagazin: Wie können New-Work-Initiativen überleben?

Kluge: Hinter diesen Initiativen stehen ja immer Mitarbeiter, in der Regel eher aus der Mitte des Unternehmens, die "das Neue" hereintragen. Und viele dieser New-Work-Akteure machen schon eines richtig: Sie sind in der Regel hochvernetzt und hochkommunikativ. Dank sozialer Vernetzung werden diese Initiativen unsterblich, sie multiplizieren sich, sie sorgen unternehmensübergreifend für ein Netzwerk von Verbündeten.

Partizipation braucht kein großes Budget

Personalmagazin: Ihre Zuversicht ist offenbar groß. Wird das Engagement der Mitarbeiter ausreichen, wenn es um die Existenz von Teams oder Unternehmensbereichen geht?

Kluge: In jedem Unternehmen diskutieren wir, wie die jeweilige Initiative auf die Unternehmensstrategie einzahlt, und sorgen in der Kommunikation und in der Umsetzung für Anschlussfähigkeit. Das überzeugt ganz oft Entscheidungsträger, insbesondere, wenn wir ihnen eine konkrete Sicht auf das Thema "Komplexität" geben und ihnen so helfen zu verstehen, warum Plan, Kommando und Kontrolle keine Wirksamkeit mehr entfalten. Zu beobachten ist aber auch: Manches Bällebad verschwindet gerade im Kampf ums kurzfristige wirtschaftliche Überleben. Und manche Führungskraft fällt in archaische Muster zurück. Aber meine These, vielleicht einfach auch Hoffnung ist: Das Bällebad wird nie mehr dem Kasernenhof weichen; Partizipation braucht kein großes Budget, sondern die Kommunikationsfähigkeit ihrer Akteure. Und daran wird in vielen Unternehmen auf vielen Ebenen eifrig gearbeitet.

Personalmagazin: Ich beobachte, dass viele New Worker derzeit schweigsam werden, wenn es um die unangenehmen Fragen wie Kostenreduktion und Personalabbau geht. Die Themen greifen sie in ihren Social-Media-Postings nicht auf. Warum eigentlich?

Kluge: Das sind sicher unterschiedliche Motive. In manchen Unternehmen gibt es ausgesprochene oder unausgesprochene Regeln, solche Vorgänge nicht nach außen zu kommunizieren. Daran müssen sich dann auch alle halten. Viele denken aber auch, dass sie mit negativen Nachrichten den New-Work-Initiativen schaden. Das wollen sie vermeiden und suchen nach Strategien zum Überwintern.


Das Interview ist im Personalmagazin 12/2019 erschienen. Lesen Sie die gesamte Ausgabe auch in der Personalmagazin-App

Sabine Kluge war 16 Jahre lang bei Siemens in der Personalentwicklung tätig, wo sie sich zuletzt mit sozialem Lernen und vernetztem Arbeiten beschäftigte. Sie hat die "Working Out Loud"-Bewegung in Deutschland mitinitiiert und sich mit dem Thema selbstständig gemacht. Heute ist Kluge geschäftsführende Gesellschafterin von Kluge + Konsorten.


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Schlagworte zum Thema:  New Work