KI-Agenten im Recruiting
Die Nachfrage nach KI-Unterstützung im Recruiting ist enorm. In einer Branchenumfrage ermittelte das Institute for Competitive Recruiting ICR: Über 60 Prozent der Arbeitgeber setzen Künstliche Intelligenz im Recruiting ein. Damit hat sich dieser Wert im Vergleich zum Vorjahr verdreifacht.
Laut der Umfrage kommt KI in erster Linie beim Verfassen von Stellenanzeigentexten zum Zuge (59 Prozent), beim Erstellen von Social-Media-Beiträgen (47 Prozent), von E-Mail-Antworten (27 Prozent), von Interviewfragen (34 Prozent) und bei der Personalisierung der Ansprache im Active Sourcing (33 Prozent). Das heißt, die KI wird vor allem als eine Art Assistent genutzt, vergleichbar mit einem digitalen Sachbearbeiter. "Der KI-Assistent wartet, bis die Recruiterinnen und Recruiter ihn ansprechen, liefert einen Entwurf und bleibt anschließend passiv", so Wolfgang Brickwedde, Director des ICR. Wie das in der Praxis funktioniert, erläutert er am Beispiel einer Stellenanzeige: Das Recruiting klickt im Editor auf "AI Writer", bekommt 400 Wörter für eine Stellenanzeige zurück, stellt Formulierungen um und speichert das Ergebnis zur weiteren Verwendung. Zahlreiche Bewerbermanagementsysteme würden genau diese Funktionen zur Verfügung stellen, so Brickwedde.
KI-Agenten als digitale Teamkollegen
KI-Agenten gehen ein ganzes Stück weiter und arbeiten in einem gewissen Rahmen autonom. Sie erhalten ein Ziel und organisieren den Weg dorthin. "In einem modernen Bewerbermanagementsystem bedeutet das beispielsweise: Der Agent darf Datensätze ändern, Trigger auslösen oder Nachrichten verschicken, ohne dass jeder Einzelschritt bestätigt wird", sagt Wolfgang Brickwedde. Ein Beispiel für den Einsatz eines KI-Agenten beim Erstellen von Stellenanzeigen: Der Agent verfasst auf Basis des Stellentitels nicht nur den Text für die Stellenanzeige, sondern lädt das Ergebnis gleich in das Bewerbermanagementsystem, schickt es zur Freigabe an die menschliche Kontrollinstanz und plant Interviewslots.
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Es ist ein großer Schritt von einer KI, die auf Aufforderung zuarbeitet und dabei klar definierte Einzelaufgaben erledigt, bis zu einer KI, die Recruiting-Teilprozesse wie das Erfragen, Abspeichern und Strukturieren von Bewerberdaten selbstständig durchführt. Deshalb ermöglichen es einige Anbieter von Recruiting-Software ihren Kundenunternehmen, zunächst nur die Assistenten-Funktionen zu nutzen und erst dann agentische Funktionen zu aktivieren, wenn alle Datenschutzaspekte geklärt, die Nutzerinnen und Nutzer geschult sind und wenn eine menschliche Kontrollinstanz festgelegt ist.
KI-Assistenten oder KI-Agenten
Während KI-Agenten mehrere Werkzeuge orchestrieren und zu einer Kette autonomer Abläufe verbinden, bleiben Assistenten meist bei einem isolierten Tool und liefern eine zuvor erfragte Antwort oder erbetene Information. Beide Formen des KI-Einsatzes bieten Unterstützung im Recruiting: Die Assistenten helfen bei der Erfüllung von Aufgaben, bleiben aber reine "Zuarbeiter auf Abruf". Die Agenten werden autonom tätig und erledigen Aufgaben selbstständig "im Auftrag". Laut Wolfgang Brickwedde fokussieren sich die KI-Agenten in Bewerbermanagementsystemen bislang auf vier Kernaufgaben:
- Stellenanzeigen und E-Mail-Texte
- Matching, Screening und Ranking
- Interview-Assistenz und Transkripte
- Workflow-Automatisierung und Terminierung
Dass das Recruiting künftig kaum noch ohne KI-Unterstützung funktionieren wird, steht außer Diskussion. Zu deutlich sind die Effizienzgewinne für die Recruiterinnen und Recruiter und die Unterstützung bei Entscheidungen, die sich bereits gezeigt haben. Die Frage "KI-Assistent oder -Agent?" muss jedes Unternehmen für sich selbst beantworten anhand der individuellen Herausforderungen und Ressourcen. Die Technik ist vorhanden. Wichtig ist jedoch, dass die notwendigen Rahmenbedingungen im Unternehmen geschaffen werden. Die Anwenderinnen und Anwender müssen für den souveränen Umgang mit der KI geschult werden, sie müssen die Funktionsweise der Tools verstehen und Bias-Kontrollen durchführen können. Darüber hinaus braucht es im Unternehmen neue Rollen, zum Beispiel sollte eine verantwortliche menschliche Kontrollinstanz festgelegt werden. Auch DSGVO und EU AI Act gilt es zu beachten.
Ob in das Bewerbermanagementsystem integriert, von einem Startup entwickelt oder von einem Jobportal oder Business-Netzwerk zur Verfügung gestellt: praxistaugliche Technik steht heute in vielfältiger Form zur Verfügung. Die nachfolgenden Beispiele zeigen, in welchen Bereichen KI-Agenten Unterstützung bieten können.
Recruiting-Chatbot für Whatsapp
Waren bei Einzelhandelskunden wie Edeka oder Penny in die Regale einräumen – das ist die Aufgabe der rund 6.000 Mitarbeitenden von Teamwork Instore Services. Vorwiegend Minijobber sind in diesen Jobs tätig, oftmals sind es Schülerinnen und Schüler, Studierende, aber auch Berufstätige mit Nebenjob. Die Fluktuation unter den Minijobbern ist naturgemäß groß. Für das Recruiting heißt das, laufend neue Mitarbeitende an Bord zu holen. Darüber hinaus gilt: Die Ansprüche der Bewerberinnen und Bewerber sind nicht besonders hoch. Die meisten von ihnen suchen einfach einen "Job in der Nähe" und schließen höchstens einzelne Tätigkeiten aus wie zum Beispiel "Kellnern". Die Folge: Sie haben oft die Auswahl aus einer Vielzahl von Jobs. Für Teamwork als Arbeitgeber zählt daher vor allem Geschwindigkeit.
Eine weitere Herausforderung für das Recruiting ist, dass "Bewerbungen" zu Anfang oft nur aus einer einfachen Kontaktaufnahme wie "Ich suche einen Job" bestehen. Daraus musste das HR-Team bis September 2024 per Telefon, Whatsapp oder SMS brauchbare Bewerbungen rekonstruieren und sie manuell ins digitale Bewerbermanagementsystem übertragen.
Das Unternehmen ging deshalb auf die Suche nach einem Dienstleister für Whatsapp-Chatbots, um diese Tätigkeiten weitgehend zu automatisieren. Auf einer HR-Fachmesse stieß man eher zufällig auf Paul’s Job – eine auf den HR-Kontext optimierte agentische KI, die in der Lage ist, Bewerber- und Mitarbeiterdialoge automatisiert und menschenähnlich zu führen. Nach einem kurzen Testlauf im September 2024 war klar: Die KI ersetzt einen Großteil der manuellen Datensammlung und überträgt die strukturierten Bewerberdaten direkt ins Bewerbermanagementsystem.
Paul übernimmt die Kommunikation über Whatsapp, SMS und kommuniziert auch mit denjenigen Personen, die sich auf "Kleinanzeigen" (vormals Ebay) bewerben. Das Tool fragt systematisch Daten ab, zum Beispiel den Vornamen und Namen, den Wohnort und den gewünschten Einsatzort, ordnet Bewerbungen passenden Jobs zu und überträgt diese Informationen automatisch ins Bewerbermanagementsystem. Inzwischen verarbeitet Paul rund 700 Bewerbungen monatlich.
Der Wechsel vom manuellen Prozess zur KI-gestützten Routinekommunikation spart Zeit und beschleunigt den Bewerbungsprozess. Manche Bewerberinnen und Bewerber sind schon fünf Minuten nach dem Erstkontakt im System angelegt, kommen am gleichen Tag zum Vorstellungsgespräch und beginnen am nächsten Tag mit ihrem Einsatz. Die Bearbeitungsgeschwindigkeit hat sich laut Recruiting-Bereichsleiterin Jacqueline Duden dadurch um 50 Prozent erhöht – bei gleichzeitig extrem niedriger Fehlerquote. Auf 300 personenbezogene Konversationen kommt es ihren Angaben nach zu einem Fehler. Künftig soll Paul auch als zusätzliche Anlaufstelle für Mitarbeitende dienen, etwa für Fragen zu Arbeitszeit, Urlaub oder anderen Themen.
KI-Agenten im Active Sourcing
Zugleich die Schnelligkeit und die Qualität beim Active Sourcing verbessern – das war das Ziel von Siemens. Das Unternehmen testete gemeinsam mit mehreren Pilotkunden den "Hiring Assistant", einen KI-Agenten, den Linkedin entwickelt hat. "Er erledigt die schwierigste Aufgabe beim Active Sourcing", sagt Vincent Mercandetti, Talent Acquisition Partner bei Siemens in Florida. "Anstatt eine ganze Stunde für die proaktive Suche für eine Stellenbesetzung aufzuwenden, kann ich mit der Unterstützung durch den Hiring Assistant passende Kandidaten und Kandidaten für fünf oder mehr Projekte suchen – und zwar innerhalb von zehn bis 15 Minuten."
Das Tool halbierte seiner Beobachtung nach die Zeit, die für das Active Sourcing aufgewendet werden musste. Seine Kollegin Mita Patel, ebenfalls Senior Talent Acuisition Partner, stellte fest, dass das Tool Kandidatinnen und Kandidaten gefunden hat, die bei einer manuellen Suche nicht sichtbar geworden wären. Das betreffe gerade spezifische Qualifikationen. Auch einschlägige Kennzahlen wie "Time-to-present Candidates" und "Candidate Engagement" hätten sich verbessert.
Der "Hiring Assistant" ist trotz des Namensbestandteils "Assistant" ein KI-Agent, der Aufgabenketten verbindet und abarbeitet. Er hilft bei der Suche nach Personen im Business-Netzwerk und unterstützt Recruiting-Teams dabei, Kandidatinnen und Kandidaten zu bewerten und herauszufinden, wer für den jeweiligen Job am besten qualifiziert ist. Er ist lernfähig und passt seine Ergebnisse von Mal zu Mal besser an die jeweiligen Anforderungen an. Und er ermittelt auf Basis verschiedener Datenquellen die dazu passenden Ergebnisse. Oder wie Bhavana Preet, Senior Recruiterin bei Verizon mit Sitz in Singapur, feststellt: "Das Tool ist ziemlich zuverlässig darin, Stellenbeschreibungen, Gesprächsnotizen und unsere eigenen Worte in Projektbeschreibungen und Kandidatenqualifikationen zu übersetzen."
Siemens und Verizon gehören zu 21 ausgewählten Unternehmen mit insgesamt 171 Anwendern, die Ende 2024 einen Testaccount für den "Hiring Assistant" erhalten haben. Noch in diesem Jahr wird das Tool für weitere Unternehmen zugänglich gemacht. Einige Zahlen aus der Riege der Pilot-Anwender: 73 Prozent sagten, dass der KI-Agent ihnen mindestens eine Stunde Zeit beim Active Sourcing für ein Stellenprofil einsparte. Beim Einsatz des Tools fanden die Unternehmen im Durchschnitt 30 Prozent weniger Profile in ihren In-Boxen vor als beim traditionellen Active Sourcing. Das heißt, sie müssen sich weniger Profile ansehen, um die richtige Person zu finden.
Automatisierung und Personalisierung
Das Elektronikunternehmen Rohde & Schwarz hatte bereits einen recht erfolgreichen Active-Sourcing-Prozess installiert, der den Einsatz von Videoansprachen einschloss und zu einer überdurchschnittlichen Antwortquote von 25 bis 45 Prozent führte. Hierbei gab es jedoch ein Problem: Der Prozess war stark manuell geprägt, was ihn sehr zeitaufwendig machte. Die sich wiederholenden Aufgaben wie Videoproduktion, Kandidatensuche, Beantwortung von Anfragen und Koordinierung von Kennenlerntelefonaten führten zu einem Ressourcen- und Effizienzverlust. Daher sollten zentrale Elemente des Prozesses automatisiert werden, um den manuellen Aufwand erheblich zu reduzieren. Gleichzeitig sollte das hohe Niveau des Talentengagements beibehalten werden und das Unternehmen wollte Kennzahlen wie die Antwortquote verbessern.
Rohde & Schwarz begann mit dem Einsatz von Aurio, um die Kandidatenbeschaffung zu automatisieren und bisher unbekannte Talente zu entdecken. Die KI-Agentin "Kim" scannt automatisch externe Talentpools und schlägt eine Shortlist passender Profile vor. Sie erstellt Nachrichten und personalisierte Videos und sie übernimmt auch die Terminabsprache für Interviews – immer im Namen der Recruiterinnen und Recruiter. Dazu Miriam Lang, Talent Sourcing Manager: "Mit Aurio laufen die Dinge im Active-Sourcing-Prozess erstmals im Hintergrund ab, ohne dass man sich aktiv darum kümmern muss." Darüber hinaus wird die Lösung von Aurio nicht nur als Sourcing- und Ansprache-Tool eingesetzt, sondern auch zum Aufbau eines eigenen Talentpools, um kontinuierliche Beziehungen zu aussichtsreichen Talenten zu pflegen.
Mit diesen Maßnahmen hat der Technologiekonzern den manuellen Aufwand stark verringert. Videos müssen nur noch einmal produziert werden. Die KI-Agentin übernimmt die Personalisierung. Obwohl die Rücklauf- und Interviewraten vor der Nutzung des Tools bereits sehr gut waren, haben sich diese weiter verbessert. Ohne den manuellen Arbeitsaufwand liegen sie heute im oberen Bereich der ursprünglichen Rückmeldespanne von 25 bis 45 Prozent. Zum Beispiel erzielten Rohde & Schwarz beim Besetzen einer Systems-Engineer-Position eine Kontaktannahmerate von 58 Prozent und eine Rückmeldequote von 81 Prozent. 33 Prozent der Videoempfänger buchten über Aurio ein Kennenlerntelefonat.
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