IAB-Forscher zur Digitalisierung: Panikmache ist nicht angebracht

Wer den Druck der Digitalisierung spürt, bildet Mitarbeiter überdurchschnittlich oft weiter, zeigt das aktuelle IAB-Betriebspanel. Reicht dieses Engagement aus, um die Digitalisierung zu bewältigen? IAB-Forscherin Ute Leber und IAB-Chef Joachim Möller geben teilweise Entwarnung.

Haufe Online-Redaktion: Das IAB-Betriebspanel zeigt in diesem Jahr, dass Unternehmen, die direkt von der Digitalisierung betroffen sind, ihre Mitarbeiter häufiger weiterbilden als andere. Im Schnitt liegt die Weiterbildungsquote bei 53 Prozent – bei den Unternehmen, die Digitalisierung spüren, sind es deutlich mehr, nämlich 70 Prozent. Aber gibt es überhaupt Unternehmen, die nicht von der Digitalisierung betroffen sind?

Joachim Möller: Zwar ist es tatsächlich so, dass die Digitalisierung manche Branchen komplett umkrempelt und Disruptionen dazu führen, dass ganze Geschäftsmodelle verschwinden, neue Unternehmen entstehen und manche Unternehmen abgehängt werden. Aber ich denke nicht, dass das für die Masse der deutschen Unternehmen gilt, es gibt es auch Bereiche, in denen sie insgesamt weniger zuschlägt. Zudem gibt es auch Unternehmen, für die die Digitalisierung noch nicht relevant ist. Meine Prognose lautet daher: Für die Mehrheit der Unternehmen wird die Digitalisierung eine Rolle spielen, dort werden sich Tätigkeiten aber überwiegend evolutionär verändern – sie wird dort meistens nicht zu einer kompletten Disruption führen.

Haufe Online-Redaktion: Heißt das also, die Digitalisierung ist für viele deutsche Unternehmen gar nicht so dramatisch?

Möller: Sicher, die Digitalisierung wird den Markt aufmischen. Es wird einige Verschiebungen geben. Aber auf Grundlage unserer Forschung kann ich sagen: Panikmache ist nicht angebracht. Wir haben beispielsweise Informationen dazu, inwieweit die Digitalisierung Tätigkeiten verändern kann. Auf dieser Grundlage haben wir der ARD Daten für ihren "Job-Futuromat" geliefert: Dahinter verbirgt sich ein Tool, in das man einen Beruf eingeben und auf Grundlage unserer Expertenbeurteilung erkennen kann, in welchem Maße der Beruf oder die Tätigkeit substituierbar, also durch Maschinen ersetzbar, ist. Wir können das sogenannte Substitutionspotenzial errechnen, also wie hoch der Anteil der Tätigkeiten ist, bei denen der Mensch in diesem Beruf schon derzeit von einer Maschine ersetzt werden könnte. Dabei ergeben sich durchaus auch Überraschungen.

Haufe Online-Redaktion: Können Sie Beispiele nennen?

Möller: Manche Berufe, wie der Bäcker, haben ein hohes Subsitutionspotenzial, auch wenn man das vielleicht spontan erst einmal nicht erwartet. Es wird zwar immer Bäcker geben – aber viele Prozesse rund ums Backen lassen sich automatisieren. Bei anderen Berufen gibt es zwar Ansatzpunkte für digitale Hilfen – die aber nicht dazu führen dürften, dass in diesen Berufen künftig eine Maschine die Mitarbeiter ersetzt. Ein Beispiel dafür ist der Friseur-Beruf: Trotz technischer Unterstützung – etwa, wenn eine Software hilft zu simulieren, wie der Kunde mit seiner Wunschfrisur aussieht – werden in diesem Beruf aller Voraussicht nach auch in Zukunft weiter Menschen mit Kamm und Schere arbeiten.

Haufe Online-Redaktion: Das hört sich nach viel Arbeit für Personaler an – schließlich müssen sie sich darauf einstellen, dass einige Berufe sich verändern oder komplett wegfallen. Wie sollte die HR-Arbeit künftig gestaltet sein, damit sie mit den Veränderungen Schritt halten kann?

Ute Leber: Zum einen brauchen Personaler mehr Flexibilität. Zudem wird eine präventive Personalpolitik immer wichtiger: Dort, wo sich Tätigkeiten und Qualifikationsanforderungen verändern, müssen Personaler Vorsorge treffen, flexibel neue Einsatzfelder für Mitarbeiter finden und die dafür benötigten, sich wandelnden Fähigkeiten mit Weiterbildung begleiten.

Haufe Online-Redaktion: Können Sie ein Beispiel nennen, wie dies gelingen kann?

Möller: Ein Beispiel dafür ist die Firma Trumpf, ein typischer Hidden Champion. Sie hat über die Fernwartung ihrer Produkte viel Arbeit eingespart. Nun können die frei gewordenen Arbeitskräfte - allesamt hochspezialisierte Experten, die früher die Maschinen vor Ort gewartet haben - für andere anspruchsvolle Tätigkeiten im Unternehmen eingesetzt werden. Trumpf hat also eine neue Einsatzmöglichkeit gefunden für eine Personengruppe, die das Unternehmen in ihrer ursprünglichen Tätigkeit nicht mehr gebraucht hätte.

Haufe Online-Redaktion: Reicht denn das aktuelle Weiterbildungsengagement deutscher Unternehmen überhaupt aus, um solche Veränderungen zu wuppen?

Leber: Unsere Daten zeigen zwar: Die Anzahl der Betriebe, die weiterbilden, stagniert. Aber zum einen ist in den Betrieben, die von sich sagen, dass die Digitalisierung bei ihnen stattfindet, der Anteil an Weiterbildungen deutlich höher – und das ist die Mehrheit der deutschen Unternehmen. Und zum anderen wird die Weiterbildung dort, wo sie stattfindet, immer intensiver. Wir denken, dieser Trend wird sich noch verstärken, wenn weitere Bereiche und damit Unternehmen in den Sog der Digitalisierung gezogen werden.

Haufe Online-Redaktion: Weitergebildet wird also vor allem aus purer Not …

Leber: Aktuell ist es tatsächlich so, dass die "Not-Argumente" oft an erster Stelle stehen, wenn es darum geht, warum Unternehmen weiterbilden: Meist wollen sie dabei in erster Linie die Qualifikationen ihrer Mitarbeiter anpassen. Die weichen Gründe – wie die Arbeitgeberattraktivität – spielen zwar auch zunehmend eine Rolle, aber meist erst dann, wenn es Unternehmen schwerfällt, die richtigen Mitarbeiter zu finden. Diese Unternehmen sehen dann Weiterbildung auch als eine Form von Belohnung an, um ihre Mitarbeiter zu motivieren, sie zu binden und eben ihre Arbeitgeberattraktivität zu erhöhen.

Haufe Online-Redaktion: Wir haben darüber gesprochen, wie oft und warum deutsche Unternehmen weiterbilden. Wie wirkt sich denn die Digitalisierung Ihren Erkenntnissen zufolge auf die Art, wie in Unternehmen gelernt wird, aus?

Leber: Bislang geben die meisten Unternehmen an, ihre Mitarbeiter vor allem in – meist externen – Präsenzseminaren weiterzubilden, kursförmige Weiterbildungen stehen an erster Stelle. Das Lernen mit digitalen Medien könnte nun gerade für jene Mitarbeiter eine Chance bedeuten, die bislang vergleichsweise selten in den Genuss einer Weiterbildung kommen. Ich denke hier gerade auch an Teilzeitbeschäftigte, oft Mütter kleiner Kinder, für die es zeitlich oft nicht einfach ist, zu einem externen Seminar zu fahren.

Haufe Online-Redaktion: Auch Ältere und Geringqualifizierte nehmen nach wie vor wenig an Weiterbildungen teil. Wie schätzen sie die Chance ein, diese Gruppen mit digitalem Lernen besser in die betriebliche Weiterbildung zu integrieren?

Möller: Leider kann man diesen Mitarbeitern nicht einfach ein E-Learning statt einem Seminar anbieten. Viele Geringqualifizierte haben vor Weiterbildung einen Horror – oder vor dem Lernen im Allgemeinen, weil sie etwa in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen damit gemacht haben. Daher ist es häufig notwendig, dass die Lerner zunächst die erforderliche Medienkompetenz erwerben, mit der sie digitale Weiterbildung meistern und auch selbst entscheiden können, welches digitale Lernangebot für sie das richtige ist. Das gilt gerade auch für ältere Mitarbeiter, die nicht gewöhnt sind, mit digitalen Medien zu lernen.

Haufe Online-Redaktion: Neben digitalem Lernen gilt auch informelles Lernen als Lerntrend der Zukunft. Geht aus Ihrem Betriebspanel hervor, wie es hierzulande bisher darum bestellt ist?

Leber: Uns liegen Befragungsdaten zum Lernen am Arbeitsplatz vor, das ja oft informell stattfindet. Den Angaben der befragten Betriebe zufolge hat diese Art zu lernen bislang nur eine untergeordnete Bedeutung.

Haufe Online-Redaktion: Wie interpretieren sie das? Hat informelles Lernen bislang noch das Image, weniger wert zu sein als formelles Lernen?

Leber: Das glauben wir nicht – wir gehen davon aus, dass in den Unternehmen viel mehr informell gelernt wird, als sie es sich bewusst machen und bei den Befragungen angeben. Ein wichtiger Grund dafür ist sicherlich, dass diese informellen, "weichen" Formen des Lernens viel schwerer erfasst werden können als offizielle Weiterbildungsveranstaltungen.

Haufe Online-Redaktion: Welche Tipps können Sie den Weiterbildnern in deutschen Unternehmen nach Auswertung Ihrer Studie mit auf den Weg geben?

Leber: Wichtig ist, die Mitarbeiter zur Weiterbildung zu motivieren. Wenn Mitarbeiter seltener als der Durchschnitt an einer Weiterbildung teilnehmen, kann das viele Ursachen haben. Es kann daran liegen, dass das Unternehmen ihnen gar keine Weiterbildungsangebote unterbreitet, dass die Mitarbeiter wie beschrieben schlechte Erfahrungen mit dem Lernen gemacht haben oder nicht die erforderliche Lernkompetenz besitzen und daher Hemmungen haben zu lernen. Daher sollten Führungskräfte und Personaler offen auf die Mitarbeiter zugehen, sie vom Nutzen einer Weiterbildung überzeugen und sie dazu motivieren.

Möller: Ich möchte auch betonen, wie wichtig Prävention ist – also nicht erst mit der Weiterbildung zu beginnen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Man sollte vielmehr kontinuierlich dabei bleiben. Wie bei einem regelmäßigen Gesundheitscheck sollte man im Unternehmen auch einen regelmäßigen Qualifikationscheck machen. Ein Unternehmen hat mir beispielsweise berichtet, dass es einen Weiterbildungspass eingeführt hat. Die Beschäftigen erhalten regelmäßig Rückmeldung, wo sie sich weiterbilden sollten. Und natürlich müssen Weiterbildner immer auf die Qualität der Weiterbildung achten – also etwa darauf, ob eine Weiterbildung auch hält, was sie verspricht, und ob sie zum Mitarbeiter passt. Das ist die Kunst beim Weiterbilden: die Leute an der richtigen Stelle abzuholen und ihnen neue Türen aufzumachen.

 

Prof. Dr. Joachim Möller ist Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Regensburg.

Dr. Ute Leber ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im IAB und Lehrbeauftragte an der Universität Erlangen-Nürnberg.