Humble Consulting: Probleme lösen auf persönlicher Ebene

Wer hilfesuchende Mitarbeiter von oben herab behandelt, hat schlechte Chancen, deren Vertrauen zu gewinnen. Dem will der US-Organisationspsychologe Edgar Schein mit der Methode "Humble Consulting" entgegenwirken: Sie setzt auf die persönliche Beziehung zwischen Ratsuchendem und Ratgebendem.

Um Hilfe zu bitten, fällt vielen Menschen schwer. Umso wichtiger ist es, dass Personaler, Führungskräfte oder Coachs, die Mitarbeitern in schwierigen Situationen helfen wollen, es schaffen, dem Problem mit der richtigen Kommunikationsstrategie auf den Grund zu gehen – und nicht von oben herab oder gar mit Verhörmethoden.

Um Beratende dabei zu unterstützen, hat der US-Organisationspsychologe Edgar H. Schein die Methode des "Humble Consulting" entwickelt. Gerade ist Scheins Buch darüber, "Humble Consulting: Die Kunst des vorurteilslosen Beratens", auf Deutsch erschienen. In der aktuellen Ausgabe der " Wirtschaft + Weiterbildung" stellt Schein die Methode vor und fasst sie in zehn Thesen zusammen.

"Humble Consulting": zurückhaltende Gesprächsführung

Die Methode "Humble Consulting" ist davon geprägt, dass der Berater zurückhaltend ("humble") ins Gespräch geht. Auf diese Weise soll er ein vertrauensvolles Verhältnis zum Hilfesuchenden schaffen und so gemeinsam mit ihm das eigentliche Problem analysieren und lösen.

"Immer wenn ich herausfinden wollte, was meinen Kunden tatsächlich beunruhigt, habe ich festgestellt, dass mich eine nur förmliche Beziehung nicht ans Ziel bringt", schreibt Schein dazu in Ausgabe 10/2017 der " Wirtschaft + Weiterbildung". "Vielmehr muss ich die 'professionelle Distanz' überwinden und eine neue Art von intensiverer Beziehung zum Kunden entwickeln, die persönlicher, vertrauensvoller und offener ist."

Vorbild: Lagerfeuergespräch

Schein nennt diese neue Art der Beziehung eine "Level-zwei-Beziehung" oder eine "Beziehung der zweiten Ebene". Wesentlich dafür, diese neue Beziehungsebene zu erreichen, ist für Schein, dass der Berater im Gespräch auch Persönliches von sich selbst preisgibt und sich nicht von vorneherein auf eine mögliche Lösung festlegt. Das Beratungsgespräch solle sich von einer Diskussion und/oder Debatte in etwas verwandeln, das eher einem Dialog am Lagerfeuer gleiche.

"Dieses Element ist der vielleicht größte Unterschied zu traditionellen Modellen, weil eine Level-zwei-Beziehung es möglich macht, eine völlig andere Art von Gespräch zu führen: Sie ermöglicht eine gemeinsame dialogische Erkundung, die darauf beruht, dass der Kunde ebenso wie der Berater die Tatsache akzeptiert, dass keiner von ihnen weiß, wo das Gespräch hinführt oder welche Art von Anpassungsbewegungen ihnen in den Sinn kommen wird, wenn sie die typische, ziel- und wettbewerbsorientierte Problemlösungsdiskussion aufgeben, in die man so häufig durch den Zeitdruck und durch unsere begrenzten Modelle möglicher Gesprächsformen hineingetrieben wird", so Schein.

Neue Beraterfähigkeiten gefordert

Um eine solche vertrauensvolle Gespräch müsse der Berater laut "Level-zwei-Beziehung" zu etablieren, muss der Berater laut Schein im Gespräch dreierlei zeigen: Engagement für das Helfen, ein fürsorgliches Interesse am Klienten und Neugier.

Diese Haltung erfordere einige neue Fähigkeiten. "Die wichtigste neue Fähigkeit ist eine andere Art des Zuhörens", schreibt der Organisationspsychologe. Dafür müssten Berater zwei Formen von Empathie entwickeln: "Bei der ersten Variante muss ich darauf achten und neugierig darauf sein, was der Klient als seine aktuelle Situation oder sein aktuelles Problem beschreibt", schreibt Schein. "Bei der zweiten Variante muss ich darauf achten und neugierig darauf sein, was den Sprecher tatsächlich bewegt, wenn er das Problem oder die Situation erklärt."

Einfühlen, ohne sich vom Inhalt verführen zu lassen

Auch wenn der Berater sich beim "Humble Consulting" in den Hilfesuchenden hineinversetzen und das Gespräch auf eine persönliche Ebene steuern soll, brauche er "die paradoxe Fähigkeit, sich in den Klienten und dessen Situation einzufühlen, ohne sich jedoch vom Inhalt verführen zu lassen", schreibt Schein.

Vielmehr müsse der Berater er auf die verschiedenen Prozesse, die zwischen ihm und dem Hilfesuchenden ablaufen, konzentriert bleiben.

"Humble Consulting" in zehn Thesen

Die Prinzipien des "Humble Consulting“ fasst Schein in der "Wirtschaft + Weiterbildung" in zehn Thesen zusammen:

These eins: Um wirklich zu helfen, muss man das wahre Problem ermitteln, also herausfinden, was den Kunden tatsächlich beunruhigt.

These zwei: Um zu ermitteln, was den Kunden tatsächlich beunruhigt, muss man für eine offene und vertrauensvolle Kommunikation sorgen.

These drei: Um eine vertrauensvolle Kommunikation zu ermöglichen, muss man eine persönliche Level-zwei-Arbeitsbeziehung zum Kunden aufbauen, die über die förmliche professionelle Level-eins-Beziehung der meisten Hilfssituationen hinausgeht.

These vier: Um eine solche persönliche Level-zwei-Beziehung aufzubauen, muss man die Beziehung bis zu einem gewissen Grad personalisieren.

These fünf: Um die Beziehung zu personalisieren, muss man eine vorurteilslose, fragende Haltung einnehmen ("Humble Inquiry" – mehr zu der Methode des "zurückhaltenden Fragens" lesen Sie hier), indem man eher persönliche Fragen stellt oder eigene, eher persönliche Gedanken oder Gefühle preisgibt.

These sechs: Um eine persönliche Level-zwei-Beziehung aufzubauen, muss der Berater dem Klienten diese Absicht schon beim ersten Kontakt vermitteln.

These sieben: Um zu verstehen, was den Kunden beunruhigt, müssen sich Helfender und Kunde auf einen Dialogprozess einlassen, sobald sich eine Level-zwei-Arbeitsbeziehung zu entwickeln beginnt.

These acht: Um festzustellen, ob das Problem, das den Kunden beunruhigt, mehrere Facetten hat, für die es keine einzelne, eindeutige Lösung gibt, müssen Berater und Kunde diese Frage sorgfältig überprüfen.

These neun: Um zu entscheiden, wo Handlungsbedarf besteht, müssen Berater und Kunde gemeinsam über Prioritäten und notwendige Maßnahmen entscheiden.

These zehn: Ist das Problem klar und eindeutig, sollte der Berater die Rolle des Experten oder Arztes übernehmen oder den Kunden an einen Experten oder Arzt überweisen. Ist das Problem komplex und chaotisch, sollten sich Kunde und Berater auf einen Dialog einlassen, um eine mögliche Anpassungsbewegung zu ermitteln, wohl wissend, dass diese Annäherung das Problem vielleicht nicht löst, aber eine gewisse Erleichterung und neue Informationen erzeugen wird, auf deren Grundlage die nächste Anpassungsbewegung erfolgen kann. Anpassungsbewegungen müssen immer gemeinsame Entscheidungen sein, weil der Berater nie genug über die persönliche Situation des Kunden wissen wird, und der Kunde nie genug über alle Konsequenzen einer bestimmten Intervention wissen kann.

 

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Schlagworte zum Thema:  Beratung, Mitarbeiterführung