HR-Trends 2022 des BPM: Interview mit Inga Dransfeld-Haase

Zu Beginn eines jeden Jahres veröffentlicht der Bundesverband der Personalmanager*innen (BPM) seine HR-Thesen – und markiert so die wichtigen Handlungsfelder für Personalmanager und Personalmanagerinnen. So auch 2022. Wie ein roter Faden zieht sich dabei der Wunsch nach einer "menschlicheren Arbeitswelt" durch die Agenda des Berufsverbandes. Warum das dringend notwendig ist, erklärt Verbandspräsidentin Inga Dransfeld-Haase im Interview.

Haufe Online Redaktion: Beim ersten Blick auf die Thesen des BPM für 2022 fällt auf: Es menschelt sehr. Wie kommt das?

Inga Dransfeld-Haase: Sie haben recht. Die Idee einer Organisation, in der der Mensch im Mittelpunkt steht, ist der rote Faden unserer diesjährigen Agenda. Die Coronapandemie hat uns gezeigt, dass der Mensch die wertvollste und zugleich die verletzlichste Ressource in Unternehmen ist. Also ist es nur logisch, die Mitarbeiter:innen ins Zentrum zu rücken.

Haufe Online Redaktion: Der Mensch als Ressource, aber auch als Kostenfaktor im Unternehmen. Steht diese betriebswirtschaftliche Betrachtung nicht dem Ideal einer menschlicheren Organisation im Weg?

Dransfeld-Haase: Nein, das denke ich nicht. Personalmanager:innen kümmern sich tagtäglich um gute Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten und eine gerechte Entlohnung in den Betrieben. Die neue Bundesregierung hat sich "gute Arbeit" ebenfalls zum Ziel gesetzt. Wir gehen aber noch einen Schritt weiter. HR muss grüner und sozialer werden. Nur so können Unternehmen langfristig Mitarbeiter:innen binden, deren Arbeitsplätze sichern und die gesellschaftliche Legitimität ihres Wirtschaftens wahren. Die ESG-Kriterien (Anm. d. Red.: Environmental Social Governance) werden künftig auch für HR zum Maßstab des Handelns.

HR kann der Politik Praxiseinblicke liefern

Haufe Online Redaktion: Beim Personalmanagementkongress im Frühsommer 2020 hielt der heutige Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) die Keynote. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatten Sie im Jahr 2019 zu Gast. Wie gut ist Ihr Draht zur neuen Regierung?

Dransfeld-Haase: Klar ist: Wir suchen einen kontinuierlichen Austausch mit der Politik. Wir kennen die Realität in den Betrieben und können Beispiele aus der Praxis liefern. Wir wissen auch, wo es hakt und welche Impulse es braucht, um die Arbeitswelt von morgen vor Ort in den Betrieben gestalten zu können.  Das ist unser Pfund im politischen Berlin. Außerdem sind wir über verschiedene Initiativen mit der Politik vernetzt – beispielsweise als Partner des Unternehmensprogramms "Erfolgsfaktor Familie" des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Hierbei setzen wir uns für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein. Für eine bessere Arbeitswelt braucht es ein Miteinander aus Politik und HR. Wir stehen der Politik gerne als Impulsgeber und Ratgeber zur Verfügung.

Haufe Online Redaktion: Als die vierte Corona-Welle im Herbst über Deutschland hereinbrach, war der Anschein ein anderer. Zahlreiche Unternehmen hatten über die Sommermonate ihre Strategien zur Pandemiebekämpfung zurückgefahren und warfen nun der Politik vor, nicht rechtzeitig gehandelt zu haben.

Dransfeld-Haase: Es gab auch zahlreiche Unternehmen, die durch vorbildliche Krisenarbeit einen großen Beitrag zum Erfolg der Impfkampagne geleistet haben und noch immer leisten. Das Personalmanagement hat sich zum Beispiel frühzeitig darum gekümmert, die Betriebsärzte in die Impfkampagne einzubeziehen.  Schuldzuweisungen helfen in solchen Krisensituationen wenig. Da ist ein dauerhafter und konstruktiver Dialog gefragt.

Arbeitsrealitäten von Wissenarbeitern und Produktionsarbeitern klaffen auseinander

Haufe Online Redaktion: Ein Dialog oder sogar Disput könnte auch vielen Betrieben ins Haus stehen, wenn die Arbeitsrealitäten von Wissensarbeitern und Produktionsarbeitern weiter auseinanderdriften. Sie fordern HR deshalb zur Moderation auf.

Dransfeld-Haase: Für die Wissensarbeiter bringt die Entformalisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort im Zuge der Digitalisierung einen Gewinn an Freizeit und Selbstbestimmung. Für die anderen geht es weiter wie eh und je. Und gleichzeitig sind es diese Menschen, die unsere Grundversorgung sicherstellen. Deshalb muss HR die Bedürfnisse von Blue-Collar-Workern stärker thematisieren und dieser Berufsgruppe eine hörbare Stimme geben. 2022 wollen wir uns verstärkt diesen Beschäftigen widmen.

Haufe Online Redaktion: Außer flexibleren Schichtplänen fällt vielen Unternehmen kaum etwas ein. Das scheint doch etwas wenig angesichts der Verbesserungen, die sich für Wissensarbeiter ergeben.

Dransfeld-Haase: Vielleicht braucht es deshalb 2022 ein ausgefeiltes Cafeteria-Konzept für Top-Nachwuchskräfte weniger und ein ergonomisches Präventionsprogramm mehr. Ein weiterer Schlüssel liegt in der betrieblichen Weiterbildung. Denn gerade in der Produktion sind viele Arbeitsplätze von der Transformation betroffen und werden sich grundlegend verändern.

Bildungskonzepte müssen im Konzern und im Handwerksbetrieb funktionieren

Haufe Online Redaktion: Ist die Idee des lebenslangen Lernens dabei ein realistisches Ziel oder vielmehr Wunschdenken der Unternehmen?

Dransfeld-Haase: Wenn wir einer Studie des McKinsey Global Institutes glauben, die bis 2030 rund vier Millionen Arbeitnehmer:innen in Deutschland von einem disruptiven Umbruch ihrer Tätigkeiten betroffen sieht, ist lebenslanges Lernen zunächst eine betriebliche Notwendigkeit. Die Umsetzbarkeit spielt natürlich eine zentrale Rolle. Wir müssen zu einer Operationalisierung der Bildung kommen, also realistische Konzepte schaffen, die nicht nur im Großkonzern funktionieren, sondern auch im kleinen Handwerksbetrieb. 

Haufe Online Redaktion: Wie kann das gelingen?

Dransfeld-Haase: Einerseits müssten wir ein Verständnis in den Köpfen der Beschäftigten dafür schaffen, weshalb wir den Wandel brauchen, andererseits die passenden Lernformate schaffen. Menschen lernen oft am schnellsten, wenn sie das Wissen brauchen und gleich einsetzen können. Weiterbildung muss daher stets arbeitsplatznah sein. Umgekehrt sind abstrakte Zielsetzungen wie die Qualifikation von einem heutigen in ein zukünftiges Berufsprofil deutlich schwieriger zu vermitteln.

Haufe Online Redaktion: Der Wandel betrifft nicht nur Mitarbeitende und Berufsprofile, sondern auch HR selbst. Sie fordern, HR müsse sein Spektrum erweitern und neben der Rolle des Kümmerers auch die des Transformationsberaters einnehmen. Worauf begründen Sie diesen Anspruch?

Dransfeld-Haase: Ich denke, dass wir seit Pandemiebeginn gezeigt haben, was wir zu leisten imstande sind. Wir haben interdisziplinäre Krisenstäbe geleitet, uns im Umgang mit unsicheren Szenarien bewährt und Konzepte für hybride Arbeitswelten entwickelt. Wir können Veränderung!

HR braucht ein neues Mindset und gezielt Schulungsangebote

Haufe Online Redaktion: Welche Veränderungen ergeben sich für HR aus dem neuen Anspruch?

Dransfeld-Haase: Neben einem neuen Mindset benötigen viele HR-Business-Partner:innen auch gezielte Schulungsangebote und Veränderungsprogramme, um den beschleunigten und permanenten Wandel in Unternehmen begleiten und gestalten zu können.

Haufe Online Redaktion: In der Transformation sind auch Führungskräfte stark gefordert. Sie sprechen in Ihren Thesen von einem "zermürbten Mittelmanagement" und fordern einen neuen Blick auf Leadership. Was muss anders werden?

Dransfeld-Haase: Zwei Jahre Pandemie haben eine enorme Zusatzbelastung vor allem für mittlere und obere Führungskräfte mit sich gebracht. Gesundheitsprävention und Zielerreichung trafen auf einen massiv erhöhten Kommunikations-, Informations- und Betreuungsbedarf der Mitarbeiter:innen. In einer Studie mit der Unternehmensberatung Kienbaum wollen wir 2022 die "Sandwich-Situation" mittlerer Führungskräfte beleuchten und herausfinden, wie wir diese gezielt unterstützen und entlasten können.


Die sechs HR-Thesen 2022 aus Sicht des BPM können Sie hier nachlesen.


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