Gefährdungsbeurteilung: Psychische Belastungen erkennen

Psychische Störungen waren der häufigste Grund im vergangenen Jahr für Fehlzeiten von Frauen, auch männliche Arbeitnehmer erkranken immer häufiger wegen psychischer Belastungen. Kirsten Faust, Gesundheitsexpertin der BAD-Gruppe, erklärt, wie solche Probleme frühzeitig erkannt werden können.   

Haufe Online Redaktion: Nach dem neuen TK Gesundheitsreport sind psychische Erkrankungen bei Frauen der häufigste Grund für Krankeschreibungen. Bei Männern dominieren zwar noch  die Erkrankungen des Bewegungsapparates, aber auch hier steigen die psychischen Belastungen als Krankheitsursache. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen? Stellen auch Sie vermehrt psychische Be­lastungen in Unternehmen fest?  

Kirsten Faust: Es wird heute oft darauf hinge­wiesen, dass psychische Erkrankun­gen vermehrt auftreten. In der Be­wertung von Zahlen muss man jedoch vorsichtig sein, denn durch eine veränderte öffentliche Diskussi­on kommt heute manches Thema ans Licht, das vielleicht früher schon vorhanden war, aber keinen Nieder­schlag in Statistiken fand. So finden sich beispielsweise schon in einem Buch aus den 1960er Jahren zu Arbeitsbelastungen klare Hinweise auf die wichtige Rolle psychischer Belastungen. Die Anfra­gen unserer Kunden zeigen aller­dings ebenfalls einen deutlichen Trend, sich dem Thema jetzt verstärkt zuzuwenden.

Mangelnde Motivation als Warnzeichen psychischer Belastungen 

Haufe Online Redaktion: Wie äußern sich psychische Belas­tungen in der Arbeitswelt?

Faust: Beim Einzelnen zeigen sich psychische Belastungen beispielsweise in einem ausgeprägten Stresserleben, das heißt einem dauerhaft ho­hen Level an Arbeitsbelastung, dem man sich nicht gewachsen fühlt. Psy­chische Belastungen können sich aber auch in mangelnder Motivation als Folge von fehlender Anerkennung oder eines ungünstigen Arbeitskli­mas zeigen. Faktoren wie die Dauer, Lage und Verteilung der Arbeitszeit, Arbeitsintensität, soziale Unterstüt­zung am Arbeitsplatz oder auch Lärm, Beleuchtung und Klima spie­len eine wesentliche Rolle. Aus die­sem Grund ist es immer sinnvoll, zunächst die möglichen betrieblichen Ursachen zu erkennen und zu verändern und erst danach  die Fähigkeiten des Einzel­nen zur Bewältigung von Belastun­gen zu stärken.

Gefährungsbeurteilung psychischer Belastungen

Haufe Online Redaktion: Damit sprechen Sie die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen an, um solchen  Ursachen frühzeitig begegnen zu können.   

Faust: Genau. Nach § 3 des Arbeitsschutzgesetzes sind Arbeitgeber verpflichtet Schutzmaßnahmen umzusetzen, wenn die Arbeitsbedingungen Sicherheit und Gesundheit negativ beeinflussen. Damit wird das grundgesetzlich geschützte Recht auf Unverletzlichkeit der Person nach Art. 2 Abs. 2 GG in die betriebliche Arbeitswelt umgesetzt. Zur Festlegung solcher Maßnahmen dient die Gefährdungsbeurteilung, in der die möglichen negativen Einflüsse auf Sicherheit und Gesundheit identifiziert werden. Beides – Gefährdungsbeurteilung wie Maßnahmenumsetzung – sind Rechtspflichten, die von allen Arbeitgebern zu erfüllen sind. Ihre Umsetzung wird durch die Berufsgenossenschaften, die staatlichen Ämter für Arbeitsschutz beziehungsweise die Gewerbeaufsichtsämter kontrolliert.

Belastende Arbeitsabläufe frühzeitig erkennen über psychische Gefährdungsbeurteilung

Haufe Online Redaktion: Wir läuft eine solche Gefährdungsbeurteilung in der Praxis ab?

Faust: Der Prozess beginnt mit der Auswahl eines ge­eigneten Verfahrens, beispielsweise Mitarbeiterbefragungen oder auch Analyse-Workshops für die verschiedenen Tätigkeitsbereiche. Sind die psychischen Belastungen für die ver­schiedenen Tätigkeitsbereiche erhoben, überlegen sich die Mitglieder des Ar­beitsschutzausschusses oder eines extra eingerichteten Steuerungsgremiums Maßnahmen zur Reduzierung dieser Belastungen.

Sinnvollerweise wird deren Umsetzung kontinuierlich überprüft, um Hinder­nisse frühzeitig zu erkennen und zu beheben. Häufig zielen sie auf eine Verbesserung von Arbeitsabläufen oder der innerbetrieblichen Kommu­nikation und kosten daher oftmals kein oder nur wenig Geld, haben aber eine große Wirkung. Ergänzt werden sie durch Schulungen für Mitarbeiter oder Coachings für Führungskräfte.

Klagerecht des Arbeitnehmers auf psychische Gefährdungsbeurteilung

Haufe Online Redaktion: Was passiert, wenn die psychische Gefährdungsbeurteilung versäumt wird?

Faust: Die Konsequenz sind klare wirtschaftliche Ein­bußen, zum Beispiel durch steigende Ausfall­zeiten, erhöhte Fehlerquoten und nicht erbrachte Arbeitsleistung, auch durch Mitarbeiter, die trotz Erkran­kung weiterarbeiten. Wäre dies alles so einfach messbar, wären wir in dem Thema schon viel weiter. Im Übrigen hat jeder Mitarbeiter ein Klagerecht gegenüber seinem Arbeitgeber, wenn eine Gefährdungsbeurteilung nicht erfolgt. Schließlich geht es hier um ein persönliches in der Verfassung festgeschriebenes Grundrecht.

 

Kisten Faust ist  Teamleiterin Gesundheitsmanagement in der Abteilung Produkt- und Servicemanagement bei der B·A·D Gesundheitsvorsorge und Sicherheitstechnik GmbH

Das Interview führte Katharina Schmitt, Redaktion Personalmagazin.