Führung: Warum Alphatiere keien guten Leader sind

Alphatiere als Führungskräfte stressen ihre Mitarbeiter, verbreiten Angst und Unruhe – und das oft, weil ihnen die nötige Souveränität zum Führen fehlt. In seinem neuen Buch "Alphatiere können nicht führen" rechnet der Berater Bernd Bitzer mit selbstverliebten Machtmenschen in den Chefetagen ab.

Haufe Online-Redaktion: Herr Bitzer, in der Verhaltensforschung ist das Alphatier per definitionem der Herden- oder Rudelführer – also der unumstrittene Chef. Da mutet Ihre These "Alphatiere können nicht führen" ziemlich gewagt an. Wie kommen Sie darauf?

Bernd Bitzer: Eine Biologin, die in einem Wolfscenter arbeitet, erklärte mir, dass bei in Freiheit lebenden Wölfen das Elternpaar die Alphatiere sind. Nur in Gefangenschaft wird das in der Gruppe stärkste Tier zum Alphatier. Das ist also nicht unbedingt anders als bei uns Menschen. Die in Politik, Wirtschaft, Militär wirkenden Alphatiere gibt es nur, weil die betreffenden Personen sich selber für Alphatiere halten und es ergänzend leider ausreichend Menschen in ihrem Umfeld gibt, die sich selber als schwach empfinden und sich dann diesen angeblich starken Personen unterordnen. Würden alle Menschen ihre eigene Stärke empfinden, gäbe es dieses Phänomen gar nicht.

Haufe Online-Redaktion: Nennen Sie ruhig Ross und Reiter: Welche Alphatiere in Politik oder Wirtschaft fallen bei Ihnen als Führungskräfte durch?

Bitzer: Das ist ein persönliches Empfinden. Ich selber würde weder Menschen wie Trump oder Erdogan wählen. Herr Trump zum Beispiel ist so clever und hat im Wahlkampf Dinge gesagt, die potenzielle Wähler, die sich als Verlierer fühlen, hören wollten. Sein Ziel war es, Präsident zu werden, nachdem ihn Obama öffentlich vor anderen Menschen gedemütigt und lächerlich gemacht hatte. Das könnte seine Hauptmotivation gewesen sein, sich für dieses Amt aufstellen zu lassen, und würde dazu passen, dass er als Narzisst eingeordnet wird. Wenn ich Ihnen Personen aus der Wirtschaft nenne, verliere ich auch noch meine letzten Aufträge.

"Beim Thema 'Führung' wird der Verstand viel zu sehr überbewertet. Viel wichtiger ist, ob Führungskräfte auch ein gutes Herz haben, trotzdem aber auch im Ernstfall konsequent sein und Entscheidungen treffen können."

Bernd Bitzer

Haufe Online-Redaktion: Wenn Alphatiere nicht führen können – wer kann es dann? Vielleicht die "Betatiere"?

Bitzer: Beim Thema "Führung" wird der Verstand viel zu sehr überbewertet. Viel wichtiger ist, ob Führungskräfte auch ein gutes Herz haben, trotzdem aber auch im Ernstfall konsequent sein und Entscheidungen treffen können. Führungskräfte, die nur im Kopf sind und vom Herz- und Bauchgefühl, also der Intuition, abgeschnitten sind, werden dann auch als herzlos und kalt bezeichnet.

Haufe Online-Redaktion: Noch einmal Ross und Reiter: Wer ist ein Vorbild in Sachen Führung?

Bitzer: Ich kenne eine Reihe guter Führungskräfte. Denen ist einfach wichtig, sich mit allen Mitmenschen auf Augenhöhe zu bewegen. Sie nutzen ihre hierarchische Macht nicht, um andere klein und sich selber größer zu machen, sondern um Menschen in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Sie sind auf der einen Seite sehr fürsorglich, können aber auch, wie schon gesagt, konsequent sein und Entscheidungen treffen. Sie sind in ihrem Verhalten offen, aufgeschlossen, verbindlich und zuverlässig und vor allem ehrlich sich selbst und anderen gegenüber. Vorstellen könnte ich mir, dass diese Eigenschaften auf den aktuellen Papst zutreffen, was ihm seinen Job in seiner konservativen und hierarchisch-autoritären Organisation nicht unbedingt leichter macht.

"In den obersten Etagen wird oft mit Angst geführt. Dort besteht oft die zweite Art von Unternehmenskultur, die Misstrauenskultur."

Bernd Bitzer

Haufe Online-Redaktion: Sie schreiben, es gebe letztlich nur zwei Arten von Unternehmenskultur – welche?

Bitzer: An der Basis müssen Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern auf Augenhöhe und wertschätzend umgehen. Wenn das nicht der Fall ist, werden dadurch alle denkbaren betriebswirtschaftlichen Kennzahlen negativ beeinflusst. Bei einem schlechten Klima, das natürlich stark vom Führungsverhalten geprägt und beeinflusst ist, gehen zum Beispiel Fehlzeiten und Unfälle nach oben, während Produktivität und Qualität abnehmen. Daher werden Führungskräfte immer wieder in Bezug auf Führungsverhalten trainiert. In vielen Unternehmen hat sich dadurch eine Vertrauenskultur entwickelt, die allerdings oft an einer bestimmten Hierarchiestufe abrupt endet. Je höher wir in der Hierarchie kommen, desto weniger Vertrauenskultur finden wir. In den obersten Etagen wird oft mit Angst geführt. Dort besteht viel häufiger die zweite Art von Unternehmenskultur, die Misstrauenskultur.

Haufe Online-Redaktion: Welche Rolle muss die HR-Funktion in der Führungskräfteentwicklung spielen?

Bitzer: HR ist Dienstleister, hat aber in den meisten Unternehmen ein eher negatives Image bei den Mitarbeitern, da sie zu HR oft nur Kontakt haben, wenn irgendetwas nicht gut gelaufen ist. HR und insbesondere die Personalentwicklung sollten Serviceabteilung für Führungskräfte und Mitarbeiter sein; und nicht die Unternehmenspolizei. HR beziehungsweise die Personalentwicklung sollte in aller erster Linie dazu da sein, die Führungskräfte zu unterstützen und zu stärken. Führungskräfte werden mit ihren schwierigen Themen meistens alleine gelassen, bekommen sogar eher von allen Seiten Druck – von Betriebsrat, HR, externen Beratern, oben und unten. Sie sollen aber darauf achten, dass sich ihre eigenen Mitarbeiter entwickeln. Ich ziehe immer wieder den Hut vor betrieblichen Führungskräften!

"Je weniger Ängste ich in mir trage, desto weniger Angst muss ich anderen Menschen machen. Und je souveräner, sicherer, selbstbewusster ich bin, desto besser ist auch meine Leistung, sodass auch die Unternehmen davon profitieren."

Bernd Bitzer

Haufe Online-Redaktion: Führungskräfte sollen über sich selbst reflektieren, sagen Sie. Warum ist das so wichtig?

Bitzer: Ich vermute, dass es in unserem Leben vor allem darum geht, Selbst-Bewusstsein zu erlangen. Wer bin ich wirklich? Was sind meine Fähigkeiten, woran habe ich zu arbeiten? Wenn ich da weiter komme, werde ich selbstbewusster, ruhiger, souveräner, ausgeglichener. Das überträgt sich dann auf meine Mitmenschen, und bei Führungskräften auf deren Mitarbeiter. Je weniger Stress ich selber empfinde, desto weniger Stress mache ich auch anderen. Je weniger Ängste ich in mir trage, desto weniger Angst muss ich anderen Menschen machen. Dass Angst, Stress und Gesundheit zusammenhängen, gilt mittlerweile so gut wie erwiesen. Und je souveräner, sicherer, selbstbewusster ich bin, desto besser ist auch meine Leistung, sodass auch die Unternehmen davon profitieren. Und wer innerlich sicher und souverän ist, der belächelt diejenigen, die es für ihr Ego benötigen, sich selbst als Alphatiere einzuordnen.

Haufe Online-Redaktion: Was kann ich außer Selbstreflexion noch tun, um eine gute Führungskraft zu werden?

Bitzer: Da gibt es vielfältige Möglichkeiten. Alle Aufgaben, die mit Menschen zusammenhängen, helfen. Insbesondere die Rolle als Elternteil. Unsere Sozialkompetenz wächst vor allem durch den Umgang mit anderen Menschen. Andere Menschen helfen mir, mich selbst zu erkennen. Sie sind der Spiegel für mich, an dem ich mich erkennen kann. Ich muss nur hinschauen.

Haufe Online-Redaktion: Gibt es für Führungskräfte einen Weg zurück aus der Führungsrolle – ohne Gesichtsverlust?

Bitzer: Ich habe das ein paar Mal erlebt, dass Führungskräfte sich aus ihrer Rolle verabschiedet haben. Das geschah zwar nicht oft, hatte aber immer etwas mit Reflektion zu tun. Ich durfte zum Beispiel einmal eine Gruppe Vorarbeiterinnen coachen. Zwei Damen erkannten damals durch das Coaching, dass es für ihre Gesundheit besser wäre, wieder aus der Rolle rauszugehen. Das war ein Schritt, aber kein Schritt zurück. Ein Schritt ist ein Schritt. Und wir sollten sehen, dass wir immer versuchen, einen Schritt auf uns selbst zuzugehen. Alle, die ich kenne, haben diesen Schritt nicht nur ohne Gesichtsverlust vollzogen. Im Gegenteil haben die anderen in ihrem Umfeld ihnen Respekt gezollt. Und es geht ihnen besser. Sie haben den Schritt nicht bereut.

Dr. Bernd Bitzer ist Geschäftsführer der Unternehmensberatung Inpex Consult, Ritterhude bei Bremen. Er ist Autor des Buchs "Alphatiere können nicht führen. Mehr Empathie im Führungsalltag", das 2016 im Windmühle Verlag Hamburg erschienen ist.

Das Interview führte Christoph Stehr, freier Journalist in Hilden.

Schlagworte zum Thema:  Mitarbeiterführung, Leadership