Die wahre Definition von Quiet Quitting

Laut einer Umfrage von Ring Central denken aktuell knapp 50 Prozent der Beschäftigten in Deutschland nicht über eine Kündigung nach. Jedoch ordnen sich 34 Prozent dem Trend "Quiet Quitting" zu. Wirtschaftspsychologe Uwe P. Kanning klärt auf, was genau hinter dieser Haltung steckt.

"Quiet Quitting" wird im Deutschen recht unglücklich übersetzt mit "stille Kündigung". Damit suggeriert der Begriff ein aus Arbeitgebersicht bedrohliches Szenario, dürfte man hier in Zeiten des Fachkräftemangels doch auf alles, was mit "Kündigung" zu tun hat, äußerst sensibel reagieren. Bei genauerer Betrachtung legt sich die Anspannung aber alsbald wieder, denn von der Kündigung dürften die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich im Zustand des Quiet Quitting befinden, sehr weit entfernt sein. 

Was meint Quiet Quitting?

Quiet Quitting ist ein Begriff, der nicht aus der Forschung stammt, wohl aber viele Berührungspunkte zu Konzepten der Wirtschaftspsychologie aufweist. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie im Kern um eine Frage kreisen: Wie stark identifizieren sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ihren beruflichen Aufgaben und engagieren sich für ihren Arbeitgeber?

Quiet Quitting: Zwischen emotionaler Bindung…

In diesem Zusammenhang beschreibt das affektive Commitment eine starke emotionale Bindung an den Arbeitgeber. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter definieren sich selbst als Teil eines Großen und Ganzen, zu dessen Erfolg sie aus eigenem Antrieb beitragen. Je höher das affektive Commitment ausgeprägt ist, desto eher zeigen die Betroffenen ein Verhalten, das deutlich über die in einem Arbeitsvertrag geregelte Aufgaben hinausreicht (= Organizational Citizenship Behavior). Sie denken selbst mit, machen auf potenzielle Probleme aufmerksam, bringen Verbesserungsvorschläge ein, helfen anderen, damit Aufgaben besser erledigt werden, bleiben auch mal länger bei der Arbeit - und all dies, obwohl sie hierfür kein zusätzliches Geld bekommen.

… und reinem Kalkül

Demgegenüber stehen Menschen, deren Bindung an den Arbeitgeber durch ein rein kalkulatorisches Commitment geprägt ist. Sie nutzen ihren Arbeitgeber ausschließlich, um eigene Ziele zu verfolgen, etwa um möglichst viel Geld zu verdienen und schnell die Karriereleiter emporzusteigen. Sie wägen nüchtern ab, wo für sie am meisten zu holen ist und verlassen ihren Arbeitgeber, sobald sich woanders eine bessere Chance ergibt. 

Quiet Quitter ziehen klare Grenzen zwischen Beruf und Privatleben

Das Konzept des Quiet Quitting liegt irgendwo zwischen diesen beiden Extremen - einer stark emotionalen Verbundenheit auf der einen Seite und dem kühl kalkulierten Eigennutz auf der anderen. Menschen, die sich im Zustand des Quiet Quitting befinden, sind nicht bereit, mehr als die Arbeit zu leisten, die vertraglich festgeschrieben wurde. Mehr noch: selbst bezahlte Überstunden lehnen sie zum Teil ab. Dies bedeutet allerdings nicht zwangsläufig, dass sie keinerlei emotionale Bindung an ihren Arbeitgeber aufweisen oder bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit zur Konkurrenz überlaufen. Sie setzen ihrem Arbeitgeber jedoch klare Grenzen an der Schnittstelle zwischen beruflichem und privatem Leben.

Nicht mit innerer Kündigung gleichzusetzen

Quiet Quitting darf dabei nicht mit der inneren Kündigung verwechselt werden. Eine innere Kündigung liegt vor, wenn die betroffene Person in Gedanken schon bei einem anderen Arbeitgeber ist und nur deshalb noch nicht gekündigt hat, weil es ihr noch an guten Alternativen mangelt. Noch weiter entfernt ist Quiet Quitting vom kontraproduktiven Verhalten, also einem Verhalten, das absichtlich den Arbeitgeber schädigt, beispielsweise in Form von Diebstahl oder dem Verrat von Firmengeheimnissen.

Es ist das eine, ein Konzept wie Quiet Quitting in den Raum zu stellen. Viel wichtiger sind jedoch die Fragen: Wo kommt das Phänomen her? Wie stark ist es verbreitet? Welche Auswirkung hat es und was ließe sich gegebenenfalls dagegen unternehmen? Hier sind wir einstweilen auf Mutmaßungen angewiesen. 

Ursachen von Quiet Quitting können beim Arbeitgeber liegen

Mögliche Ursachen könnten etwa ist einer Übergriffigkeit des Arbeitgebers liegen. Wenn immer mehr gefordert wird, ohne etwas dafür zu geben, wenn unbezahlte Mehrarbeit nicht die Ausnahme, sondern zu einer Selbstverständlichkeit wird, kann Quiet Quitting als eine Art Rettungsanker dienen. Bevor die Betroffenen ernsthaft eine Kündigung in Angriff nehmen, zeigen sie ihrem Arbeitgeber die rote Karte.

Ganz ähnlich mag es sich verhalten, wenn der Arbeitgeber im Zuge der Forcierung einer Corporate Identity großen Konformitätsdruck ausübt. Es beginnt vielleicht beim aufgezwungenen Duzen, setzt sich über geheuchelte Unternehmenswerte fort, die nicht offen hinterfragt werden dürfen und findet seinen Höhepunkt in dem Anspruch, auch noch möglichst viel Freizeit im Unternehmen (Fitnessraum) oder mit den Kollegen und Kolleginnen (After Work Party) zu verbringen. Eine solche Einschränkung der individuellen Freiheit ruft bei vielen Gegenwehr hervor (Reaktanz). Je mehr Druck bei der Vereinnahmung ausgeübt wird, desto stärker muss die Abgrenzung ausfallen.

Bei anderen ist Quiet Quitting schon vom ersten Tag an im Unternehmen gegeben. Sie haben einen Arbeitsplatz, der weder zu ihren Kompetenzen noch zu ihren Bedürfnissen passt. Die Ursache dafür liegt bei Fehlern in der Personalauswahl.

Veränderte Lebenssituation kann Quiet Quitting befördern

Wieder andere befinden sich in einer veränderten Lebenssituation. Kinder wurden geboren und fordern ein stärkeres Engagement in der Familie oder aber nach einer Krankheit werden die Lebensziele neu definiert. Hier wird deutlich, wie wichtig es wäre, sich erst einmal mit den Ursachen auseinanderzusetzen und auch zu erfahren, wie viele Menschen im eigenen Unternehmen aufgrund welcher Gründe betroffen sind. Je nach Ursache wären dann gegebenenfalls auch ganz unterschiedliche Gegenmaßnahmen sinnvoll.

Quiet Quitting nicht verteufeln, sondern Bedürfnisse beachten

In jedem Falle ist es nicht klug, Quiet Quitting – wie es bisweilen im Internet geschieht – entweder als Ausdruck einer zunehmend faulen Belegschaft zu verteufeln oder es als Ideologie freier Menschen zu predigen. Die erste Perspektive ignoriert die sehr unterschiedlichen Beweggründe der Betroffenen und grenzt es nicht von viel weitreichenderen Problemen wie der inneren Kündigung oder dem kontraproduktiven Verhalten ab.

Die zweite Perspektive verkennt vollkommen, dass für Millionen von Menschen Work und Life gar nicht fundamental in einem Widerspruch zueinander stehen. Die berufliche Arbeit bietet zahlreiche Möglichkeiten, grundlegende Bedürfnisse zu befriedigen. Sich dabei vielleicht sogar primär über seine Arbeit zu definieren, ist gesund und erfüllend, sofern man für sich den richtigen Arbeitsplatz gefunden hat.

Wahrscheinlich liegt genau hier der Schlüssel. Menschen sind sehr unterschiedlich und es kommt darauf an, soweit wie möglich dem Individuum gerecht zu werden. Richtig verstanden kann die Diskussion um Quiet Quitting somit zu einem tieferen Verständnis der eigenen Belegschaft führen und einen Beitrag zu einer Optimierung der Personalarbeit liefern. 


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