Buchrezension

Von falschen und echten Debatten um die faulen Deutschen


Buchrezension Guido Zander: Die faulen Deutschen

Mit seinem Buch "Die faulen Deutschen? (Schein-)Debatten und Lösungen für eine zukunftsfähige Arbeitswelt" mischt sich Guido Zander in die Debatte über den Standort Deutschland ein. Seine betriebswirtschaftlichen Ratschläge sind brillant, seine politischen Ausführungen bauen Scheinfronten auf.

Die Debatte über den Standort Deutschland läuft auf Hochtouren, es wird über Personalthemen wie Arbeitszeit, Leistungsbereitschaft und die sozialen Sicherungssysteme diskutiert. Zwei Lager, so Guido Zander, stünden sich gegenüber: Auf der einen Seite die New-Work-Szene, die die Krise durch neue Arbeitskonzepte überwinden will. Zander spricht von "Weltverbesserern, die glauben, mit Vier-Tage-Woche, Null-Bock-Tagen und Purpose die Wettbewerbsfähigkeiten steigern zu können".

Auf der anderen Seite konservative Kräfte, die die Errungenschaften der modernen Arbeitswelt zurückdrehen wollen. Zander nennt dafür stellvertretend Bundeskanzler Friedrich Merz, der fordert, dass wir Deutschen "wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten" müssten, und der davon spricht, dass man mit Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance den Standort nicht retten könne. Er interpretiert die Aussagen des Bundeskanzlers so, dass er den Deutschen Faulheit unterstellt, was dieser so natürlich nie formuliert hat.

Komplexe Themen allgemeinverständlich aufgearbeitet

Zander, der seit 30 Jahren als Experte für Arbeitszeitberatung und Workforce Management unterwegs ist, hat sich über die Debatte so geärgert, dass er sich nicht nur in vielen Interviews zum Thema geäußert, sondern jetzt auch ein Buch mit 204 Seiten verfasst hat, mit dem er seine Sichtweise detailliert darlegen will. Seine Grundthese ist: Die Debatte leidet darunter, dass zu viel Unsinn im Umlauf sei, der aufgeklärt und damit ausgeräumt werden könne.

Buchtipp: Guido Zanders Buch  "Die faulen Deutschen? (Schein-)Debatten und Lösungen für eine zukunftsfähige Arbeitswelt" ist im Haufe-Verlag erschienen.

Das Anliegen des Autors ist edel, glaubt er doch in der Tradition der Aufklärung daran, dass falsche Thesen aufgeklärt werden können und sich am Ende das bessere Argument durchsetzt. Das wird besonders im ersten Kapitel deutlich, in dem er Thesen, die derzeit in der Standortdebatte kursieren, ausführlich überprüft. Es sind Thesen, die für Personalfachleute eine besondere Relevanz haben: "Den Fachkräftemangel gibt es nicht", "Die Deutschen sind viel zu krank" oder die "Die Deutschen arbeiten weniger als früher". Zander wühlt in Statistiken, ordnet die Dinge ein und bewertet die Thesen auf "Wahrheitsgehalt" und "Populismusfaktor". Die Themen sind komplex, aber es gelingt ihm, den Sachverhalt allgemeinverständlich aufzuarbeiten und prägnant darzustellen. Das ist erfrischend und erhellend zugleich.

Ein praxisnaher und zukunftsorientierter Blick

In Kapitel zwei präsentiert Zander seine betriebswirtschaftlichen Lösungsansätze, das ist der Schatz des Buches. Es geht um Unternehmenskultur, Flexibilisierung der Arbeitszeit, Steigerung der Produktivität, Senkung der Krankenstände und Entbürokratisierung – seine Vorschläge sind praxisgerecht und zukunftsorientiert, seine analytischen Fähigkeiten und sein Erfahrungsschatz, den er in über 200 Projekten sammeln konnte, kommen hier zum Tragen. Bemerkenswert ist vor allem, dass er nicht – wie der Mainstream – über die Arbeitswelt von Büromenschen nachdenkt, sondern über Beschäftigte in Lagern, Fabrikhallen oder im Handel. 

Im dritten Teil geht es dann über den Standort und die Politik. Hat der Arbeitszeitexperte auch eine politische Lösung für das Land im Gepäck? Auch hier geht er zunächst den Weg des Experten, entwickelt Vorschläge für gesetzliche Reformen, vom Arbeitszeitgesetz bis zur gezielten Steuerung der Einwanderung. Das liest sich alles vernünftig, doch wer soll das alles umsetzen? Hier stößt Zander an seine Grenzen, er sei hier ja auch kein Experte, wie er selbst einräumt. Seine Verzweiflung wird spürbar, etwa wenn er darüber klagt, dass die Themen "in den letzten 20 Jahren – unabhängig von der jeweiligen Regierung – nicht effektiv bearbeitet wurden."

Müssen sich die Deutschen mehr anstrengen?

Und er stellt den Vorwurf in der Raum, dass die Politikerinnen und Politiker sich nicht gründlich genug mit den Dingen auseinandergesetzt hätten. Das ist offensichtlich falsch. An Erkenntnis gab es keinen Mangel, man denke nur an den Dialogprozess des Bundesarbeitsministeriums zu "Arbeiten 4.0" vor zehn Jahren. Am Ende fehlten politischen Mehrheiten zur Umsetzung. Als Experte mag man das bedauern, aber die Politikerinnen und Politiker sind auch schlaue Leute, die der Machtlogik folgen müssen, um erfolgreich zu sein. Der politische Theoretiker Niccolò Machiavelli hat das schon vor 500 Jahren formuliert. In Zeiten von Frieden und Wohlstand sind Reformen, die für die Bürgerschaft Zumutungen mit sich bringen, nur schwer durchzusetzen. Sein Ratschlag: "Vergeude niemals die Möglichkeiten, die dir eine gute Krise bietet."

Die Merkel-Jahre waren unsere Friedenszeit, die gegenwärtige Krise bietet die Chance zur Erneuerung. Die Front, die der Autor aber zum Bundeskanzler aufbaut, ist dabei eher kontraproduktiv. Der Bundeskanzler mag manches nicht so geschmeidig formulieren, aber darin, dass wir an technologischem und wirtschaftlichem Vorsprung verloren haben und sich die Deutschen künftig mehr anstrengen müssen, sind sich Autor und Bundeskanzler einig. Sind die Deutschen faul? Zander verneint das zurecht. Müssen sich die Deutschen mehr anstrengen? Ohne das wird es wohl nicht gehen. 


Ein Auszug aus Guido Zanders Buch ist erschienen in Personalmagazin 09/2024


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