Bedingungsloses Grundeinkommen verbessert mentale Gesundheit
Das bedingungslose Grundeinkommen polarisiert: Während manche befürchten, dass es die Arbeitsmotivation untergräbt, sehen andere darin einen Beitrag zur Wahrung der Menschenwürde. Das "Pilotprojekt Grundeinkommen" hat in einem dreijährigen Feldexperiment systematisch untersucht, wie sich monatliche Geldzahlungen auf Konsumverhalten, Erwerbsarbeit und die Gesundheit auswirken. Der größte Effekt zeigte sich dabei in der Psyche der Teilnehmenden: Ihre mentale Gesundheit und ihr subjektives Wohlbefinden verbesserten sich signifikant.
Der Verein "Mein Grundeinkommen" brachte das Experiment in Kooperation mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und der Wirtschaftsuniversität Wien auf den Weg. Die begleitenden Studien untersuchten die individuellen Wirkungen bedingungsloser Geldzahlungen auf Personen im Alter von 21 bis 40 Jahren, die in Einpersonenhaushalten lebten und vor Beginn der Geldzahlungen über ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 1.100 bis 2.600 Euro verfügten. Die Teilnehmenden wurden zufällig in zwei Gruppen unterteilt: Die Maßnahmengruppe von 107 Personen erhielt zwischen Juni 2021 und Mai 2024 einen bedingungslosen Geldbetrag in Höhe von 1.200 Euro pro Monat, während die Vergleichsgruppe nur eine geringe Aufwandsentschädigung bekam. Anschließend befragte das Studienteam die Teilnehmenden dazu, wofür sie ihr Geld ausgaben, wie sich ihre Arbeitssituation entwickelt hatte und wie es um ihr Wohlbefinden steht.
Bedingungsloses Grundeinkommen: Besserer Schlaf und mehr Zeit für soziale Kontakte
Die Befürchtung, dass bedingungslose Geldzahlungen die Arbeitswilligkeit senken würden, bestätigten sich dabei nicht: Die Personen, die das Grundeinkommen erhielten, zogen sich weder vermehrt aus dem Arbeitsmarkt zurück, noch reduzierten sie ihre Arbeitsstunden in signifikantem Ausmaß. Dafür sind die Auswirkungen auf die allgemeine Lebenszufriedenheit laut der Publikation vergleichbar mit einem positiven einschneidenden Lebensereignis wie einer Eheschließung: Die allgemeine Lebenszufriedenheit lag im Befragungszeitraum in der Maßnahmengruppe auf einer Skala von null bis zehn bei durchschnittlich 7,6, während sie in der Vergleichsgruppe 7,1 betrug. Damit war sie in der Maßnahmengruppe um 0,42 Standardabweichungen höher als in der Vergleichsgruppe; das bedeutet, dass die bedingungslosen Geldzahlungen die Lebenszufriedenheit der Maßnahmengruppe um 42 Prozent der üblicherweise in der Untersuchungsgruppe vorkommenden Schwankungen verbessert. Dieser positive Effekt blieb im gesamten Studienverlauf stabil.
Die stärkste Verbesserung zeigte sich – wenig überraschend – bei der Einkommenszufriedenheit. Aber auch mit anderen Faktoren, die für die mentale und körperliche Gesundheit essenziell sind, waren die Personen, die das Grundeinkommen bekamen, zufriedener: Dazu zählen Freizeit, Schlaf und soziale Kontakte. Personen in der Maßnahmengruppe verbrachten im Durchschnitt 3,8 Wochenstunden mehr mit Freundschaften, Familie und Partnerpersonen. Weil sie aber kaum weniger arbeiteten, liegt der Anstieg sozialer Aktivitäten womöglich an den zusätzlichen finanziellen Spielräumen für Ausgaben in Gaststätten oder für Kultur- und Sportangebote. Tatsächlich gaben die Empfängerinnen und Empfänger des Grundeinkommens durchschnittlich sechs Prozent mehr für Freizeitaktivitäten aus.
Die mentale Gesundheit war in der Maßnahmengruppe um gut 30 Prozent und das Empfinden von Sinnhaftigkeit um 25 Prozent einer Standardabweichung höher als in der Vergleichsgruppe. Als möglichen Grund für die Verbesserung des Wohlbefindens sieht das Studienteam die Vergrößerung der Handlungsspielräume: Die Maßnahmengruppe empfand während des Studienzeitraums mehr Autonomie über das eigene Leben als die Personen in der Vergleichsgruppe. Die Publikation des DIW weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass laut Studien ein höheres subjektives Wohlbefinden Beschäftigte produktiver mache und sie sich zudem seltener krankmeldeten. Demnach haben die Ergebnisse auch wirtschaftliche Relevanz für Unternehmen.
Weitere Forschung zum bedingungslosen Grundeinkommen notwendig
Das Studienteam erwähnt jedoch auch explizit, dass die Ergebnisse nur bedingt aussagekräftig sind, da das Projekt nur einen kleinen Teil der Bevölkerung untersucht hat und die Geldzahlungen zeitlich beschränkt waren. Auch der Wirtschaftspsychologe Ingo Hamm weist in einem Linkedin-Post auf die methodischen Limitationen der Studie hin. Es handle sich um eine hochselektive Testgruppe, die sich aktiv für das Projekt beworben hatte und damit vermutlich eine spezifische Motivation und Einstellung mitgebracht habe. Auch die Tatsache, dass das Projekt von einem Verein initiiert und finanziert wurde, der sich aktivistisch für bedingungsloses Grundeinkommen einsetzt, lege eine gewisse Voreingenommenheit nahe. Für evidenzbasierte Politikentscheidungen fordert Hamm breitere, methodisch robustere und neutrale Untersuchungen. Das Pilotprojekt ist deshalb eher als ersten Anstoß zu betrachten, um weitere Forschung in die Wege zu leiten.
Die Studie kann außerdem nicht abschließend beantworten, ob es nun wirklich die Bedingungslosigkeit der Geldzahlungen war, wodurch sich die mentale Gesundheit der Teilnehmenden verbessert hat; möglicherweise hätten höhere Löhne den gleichen Effekt. Was ein bedingungsloses Grundeinkommen allerdings von einem an Arbeit gekoppelten Gehalt unterscheidet, ist der Vertrauensvorschuss, den die Empfangenden damit erhalten. Damit traut man ihnen implizit zu, dass sie weiterhin arbeiten und Verantwortung übernehmen, anstatt sich auf die faule Haut zu legen. Möglicherweise ist es gerade dieses Grundvertrauen, das Autonomie, Sinnempfinden und psychisches Wohlbefinden stärkt – ein Vertrauen, das auch Arbeitgeber bereits heute ihren Beschäftigten entgegenbringen können.
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