Arbeitswelten: Coworking-Spaces

Coworking-Spaces sind seit der Pandemie noch beliebter. Was lange ausschließlich Kreativen und Freelancern vorbehalten war, nutzen jetzt auch immer mehr Unternehmen. Gründe sind die Möglichkeit, schnell und flexibel einen perfekt ausgestatteten Arbeitsplatz zu finden, aber auch der Inspirationseffekt, der beim gemeinsamen Arbeiten entsteht. 

Das Kwadrat-Theater gilt als kulturelle Institution und ist nach wie vor das meistbesuchte und wichtigste Komödientheater Polens. Aus politischen Gründen musste die – zeitweise sehr kleine – Crew Anfang der achtziger Jahre ihren Standort wechseln, das Hauptgebäude im Herzen Warschaus stand leer. Doch nun wird die Bühne wieder genutzt: Im vergangenen Jahr eröffnete hier die Brain Embassy, eine der führenden internationalen Coworking-Firmen, ihren neuen Coworking-Space. Auf 3.900 Quadratmetern stehen 499 Arbeitsplätze zur temporären Nutzung zur Verfügung, außerdem Besprechungsräume, Kommunikationsflächen, ein Studio und eine offene Küche – alles mit Verweisen auf die ursprüngliche Nutzung der Räume durch Theater, Musik, Film und Grafik. "Gedanke war auch, die künstlerische Atmosphäre des ehemaligen Theaters für ideenreiches, fantasievolles und kreatives Arbeiten zu nutzen", erklärt Adrian Karwatiuk, Key Account Manager bei Kinnarps Polen, der in enger Abstimmung mit dem Design- und Architektenteam die Innenausstattung übernommen hatte. 

Die Idee ist nicht ganz neu: Viele Coworking-Konzepte setzen darauf, auch die Inspiration der Location für die neue Art der Zusammenarbeit zu nutzen. So bietet beispielsweise das Cooconut in Brandenburg Arbeitsatmosphäre im Gutsherrenhaus, der Coworking-Space von Lore Hamburg befindet sich auf einem Hausboot, der Kreativpark des Grünhofs in Freiburg liegt in einer Lokhalle. Und auch das Betahaus in Berlin, einer der ersten Coworking-Spaces in Deutschland, entstand 2009 in einer 250 Quadratmeter großen Lagerhalle. 

Dritte Orte neben Homeoffice und Unternehmensbüro

Arbeitsplätze oder ganze Räume für mobile Arbeit flexibel zu nutzen, ist seit Jahren im Trend. Doch längst sind es nicht mehr nur selbstständige Kreative oder Freelancer, die Atmosphäre und Ausstattung in Coworking-Spaces der Arbeit im teuer angemieteten Einzelbüro oder im Homeoffice vorziehen. Auch immer mehr Unternehmen nutzen Coworking-Spaces, um ihren Beschäftigten die Arbeit an einem dritten Arbeitsort – zusätzlich zu Homeoffice und Unternehmenscampus –zu ermöglichen. Denn diese Arbeitsplätze bieten, gerade im Unter­schied zu vielen Arbeitsplätzen im privaten Bereich der Beschäftigten, eine sowohl technisch als auch ergonomisch op­ti­mal ausgestattete Infrastruktur und den von vielen im Home­office vermissten Abstand zu privaten Ablenkungsquellen. 

"2023 wird das Jahr der Unternehmen in Coworking-Spaces", prognostiziert Tobias Kollewe, Präsident des Bundesverband Coworking Spaces. Nach seinen Erfahrungen hat in den letzten Monaten die Nutzung von Coworking-Spaces insbesondere durch Großunternehmen deutlich zugenommen: "Insbesondere im suburbanen Raum, also in den Speckgürteln der Metropolen und im Ruhrgebiet, spielt wohnortnahes Arbeiten eine immer größere Rolle. Viele Unternehmen versuchen bereits, das Konzept des 15-Minuten-Arbeitsweges möglich zu machen. Coworking-Spaces sind da ein wesentlicher Baustein, den Arbeitsplatz näher an den Wohnort heranzubringen." Wie wichtig der Zeitgewinn durch kürzere Fahrzeiten zum optimal ausgestatteten Arbeitsplatz für Beschäftigte ist, zeigt eine vom BMAS im Juli 2021 beauftragte Studie: Danach gaben 16 Prozent der Beschäftigten mit einer Pendelzeit von mehr als 20 Minuten an, dass sie ihrer Arbeit am liebsten in einer wohnortnahen Bürogemeinschaft, also beispielsweise Coworking-Spaces, nachkommen würden. Unter den Mitarbeitenden mit einem Arbeitsweg unter zehn Minuten würde diese Möglichkeit nur knapp jeder zehnte der Befragten schätzen. 

Noch liegen die meisten Coworking-Möglichkeiten in den größeren Städten, in denen viele Büroarbeitende erreicht werden. Schon 2019, das zeigte eine Untersuchung der Technischen Universität Darmstadt, machten flexible Office-Spaces in den Top-Standorten wie Berlin und Frankfurt bis zu fünf Prozent des Büromarktes und einen erheblichen Anteil an Neuvermietungen aus. Ende 2022 wurden nach einer Erhebung des Manager Magazins in Berlin 122 Coworking-Spaces gezählt, 67 in München und jeweils 59 in Hamburg und Frankfurt. Aber auch in Stuttgart, Köln, Düsseldorf oder Hannover ist das Angebot groß, Leipzig und Nürnberg ziehen nach. 

Was es bringt? Kostenersparnis, einen ortsunabhängigen Arbeitsmarkt, mehr Wissen 

Für Unternehmen bringt diese Art der Dezentralisierung der Arbeitsmöglichkeiten eine Erweiterung des Arbeitsmarktes: Sie können Mitarbeitende unabhängig von den lokalen Gegebenheiten des Unternehmenssitzes rekrutieren, Firmenumzüge ohne Personalverlust gestalten oder Beschäftigte, die aus persönlichen Gründen wegziehen, weiterhin halten. Nach den Erfahrungen von Dina Sierralta, eine der fünf Vorstandsmitglieder der German Coworking Federation, wird diese Chance immer häufiger genutzt: "Wir sehen, dass gerade Firmen an weniger attraktiven Standorten mit wenig Freizeitwert bei der schwierigen Suche nach Fachkräften dazu übergehen, ortsunabhängig zu suchen und den Mitarbeitenden die Möglichkeit einräumen, entweder aus dem Homeoffice oder aus einem Coworking-Space zu arbeiten."

Rein kalkulatorisch mag der größte Vorteil, den Unternehmen durch die Nutzung von Coworking-Spaces erzielen können, in der Kostenersparnis liegen. Kollewe veranschlagt die durchschnittlichen Kosten eines Arbeitsplatzes in Unternehmen mit circa 1.000 Euro pro Monat, eingerechnet sind Büromöbel, Infrastruktur, Kafffeeküche, Reinigung und Ähnliches. Demgegenüber stehen, je nach Ort, Kosten von 250 bis 450 Euro pro Arbeitsplatz im Coworking-Space – bei gleicher Ausstattung und funktionierender Infrastruktur. Unternehmen könnten, so rechnet Kollewe vor, durch die konsequente Ausnutzung der Sharing Economy erhebliche Kosten sparen, bezahlt werde ja nur nach dem Pay-per-Use-Prinzip. 

Im Unterschied zum klassischen Business Center, bei dem professionell ausgestattete Büros flexibel und kurzfristig angemietet werden können, bieten Coworking-Spaces zusätzliche Dienstleistungen wie beispielsweise integrierte Cafes, vor allem aber auch Flächen und Formate zum Austausch. Das entfaltet weitere Effekte, die Sierralta beschreibt: "In den meisten Coworking-Spaces herrscht ein ganz besonderer Spirit, denn hier arbeiten Menschen über Grenzen hinweg zusammen und haben oft ihre ganz eigenen und sehr innovativen Arten der Zusammenarbeit und des Lernens gefunden." Dies, so Sierralta, inspiriere viele Mitarbeitende, in ihren Unternehmen ähnliche Initiativen anzustoßen und das Thema Zusammenarbeit grundsätzlich neu zu denken. Sie beschreibt das Prinzip des Coworking als "wirklich gute Zusammenarbeit, um gemeinsam echte Herausforderungen zu meistern."

Was das in der Praxis für Unternehmen bringt, zeigt das Beispiel des Grünhofs, einem nachhaltig orientierten Netzwerk und Gründungszentrum in Freiburg. Herzstück des Grünhofs sind, neben einem Social Innovation Lab und einem Smart Green Accelerator, Coworking-Spaces, die sich auf drei Standorte in Freiburg erstrecken. Auf 3.000 Quadratmeter Fläche finden sich Einzelarbeitsplätze, aber auch Team-, Workshop- und Meetingräume, Gastrobereiche und Veranstaltungsflächen für spezielle Austauschformate der Grünhof-Community. Der Großteil der Kunden des Grünhofs stammt aus dem Umland – Hidden Champions im tiefen Schwarzwald oder auch in der Schweiz, die so ihre Standortnachteile des weniger attraktiven oder auch sehr teuren Umlands ausgleichen können. Doch auch Firmen aus Hamburg, München oder Leipzig sind Mitglieder beim Grünhof – ihre im Grünhof eingemieteten Beschäftigten wollen oder können nicht an den Firmensitz ziehen.

Die Besonderheit beim Grünhofkonzept, das auf eine neue Art der Gemeinschaft, aber auch der Wissensteilung setzt: Die Mitarbeitenden der Firmen, die über Corporate-Coworking-Mitgliedschaften die Arbeitsplätze nutzen, werden alle, soweit sie das wollen, auch Mitglieder der Grünhof-Community. 

Spezielle Communitymanagerinnen und -manager sorgen für das Informations-Sharing, sie wissen, was die Einzelnen brauchen und was in die Community und die speziellen Austauschformate eingebracht werden kann. Denn die hauptsächliche Aufgabe des Coworking-Angebots sieht der Grünhof, so erklärt Hagen Krohn, Geschäftsführer und Gründer des Unternehmens, in der Vernetzung und der Herstellung von Synergien. So sind auch nahezu alle Mitarbeitenden der buchenden Firmen im grünhofeigenen Onlineportal mit ihren Skills hinterlegt. Krohn erklärt, warum: "Alle 600 Menschen, die aktuell in unseren Coworking-Spaces sind, haben besondere Fähigkeiten, das ist Grundlage ihres Jobs oder ihrer Startup-Idee. Da wir  davon überzeugt sind, dass es uns alle weiterbringt, wenn wir unsere Ideen und Skills teilen, bieten wir die Möglichkeit, dieses  Wissen in unseren Formaten vorzustellen und weiterzugeben." Die angesprochenen Formate zur Skill-Vermittlung sind dabei ganz unterschiedlich; Sie reichen vom kleinen Pitch bei der monatlichen Vollversammlung über Zwei-Stunden-Formate bis hin zu mehrtägigen Workshops mit Externen. Diese Community, beschreibt der Grünhofgründer den Ansatz, schaffe eine Arbeitsumgebung, die den Mitarbeitenden sehr schnell und auch niedrigschwellig Austausch erlaube, letztlich führe das zu hoher Arbeitsqualität und Synergieeffekten. 

Für die Unternehmen, die für ihre Beschäftigten die Plätze angemietet haben, eröffnen sich damit ganz neue Zugangswege zu dringend gesuchten Talenten und Fachkräften. Schon viele Mitarbeitende, berichtet Krohn, hätten ihren Arbeitgebern über die Grünhof-Community den Kontakt zu Freelancern oder neuen Bewerberinnen und Bewerbern vermitteln können. Aber auch die Beteiligung der Unternehmen an den speziellen Community-Formaten ist möglich, beispielsweise auch über die Vorstellung des Unternehmens oder bestimmter Projekte, für die weitere Talente gesucht werden. Doch nicht alles funktioniert reibungslos. Einer der ehemals größten Kunden, gibt Krohn  zu, hat die Geschäftsbeziehung wieder gelöst. Der Grund: Den Mitarbeitenden hat es so gut im Grünhof gefallen, dass sie gar nicht mehr an den Unternehmenscampus kamen. Krohn sieht das als "Learning", sowohl für den Grünhof als Corporate-Coworking-Anbieter als auch für das Unternehmen. "Langfristig werden die Unternehmen lernen zu akzeptieren, aber auch zu nutzen, dass  die Mitarbeitenden sich an Arbeitsorten treffen, die eben nicht mehr nur der Unternehmenscampus sind."

Doch das braucht Zeit – und viele Praxistests, bis das ideale Konzept gefunden ist. "Disruption erfolgt ja meistens nicht über Nacht. Gerade in größeren Unternehmen müssen bestehende Strukturen aufgebrochen werden", bringt Kollewe die gegenwärtige Situation auf den Punkt. Aktuell befänden sich die Unternehmen in Deutschland noch mitten in einer Erprobungs- und Entwicklungsphase. Doch der Präsident des Bundesverbandes Coworking zeigt sich optimistisch: "In zwei, drei Jahren wird die Nutzung landauf, landab allgegenwärtig sein. Ich kann nur empfehlen, Coworking als Baustein zur Gestaltung von Arbeitsstrukturen auszuprobieren – neben dem Büro als Ankerpunkt und dem Homeoffice."

Dieser Beitrag ist im Sonderheft "Personalmagazin plus Arbeitswelten" erschienen, das Sie hier kostenlos herunterladen können.


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Schlagworte zum Thema:  Büroarbeitsplatz, Bürogestaltung