Wer von den Qualitäten des Büros spricht, meint reale Begegnung und multisensorische Erfahrung. Doch die Zeiten, in denen alle vor Ort sind, kommen nicht wieder. Dafür sind Monitore und mobile Interfaces eingezogen, die Zugeschaltete mit an den Tisch bringen. Und auch hier erweitert das technische Equipment unser Interaktionsspektrum: Kopfhörer richten unsere Aufmerksamkeit im Raum, und in Kürze werden wir Informationen in unserem Sichtfeld finden und mit der KI munter vor uns hinplappern, während wir unsere Aufgaben erledigen. Wir sind connected und tragen die Arbeitsmittel direkt auf unseren Wahrnehmungsorganen. Mehr Nutzerzentrierung, mehr activity-based-Unterstützung kann nur eine Büroeinrichtung leisten, die ebenfalls kognitiv ausgerüstet auf unsere Arbeitsabsicht reagieren kann (Cognitive Environments).
Inwieweit verändern KI und adaptive Sensorik also unsere Zusammenarbeit? Und wenn sich das Arbeitsspektrum mit KI vom Digitalen Zwilling und Metaversen bis hin zu Robotik und Physical AI ausdehnt - in welchen Lern- und Erfahrungsräumen entfaltet sich dann unsere natürliche Intelligenz?
User Experience in der Arbeitsumgebung mit KI
Techologisch scheint sich gerade alles vom Office zu entfernen: KI zieht zwar in jeden Betrieb ein, AI-Agents brauchen für die Zusammenarbeit mit uns aber keine Büroräume. Wenn wir herausfinden wollen, wofür wir das Büro künftig benötigen, sollten wir betrachten, wie hybrid sich unsere Kollaboration gestaltet.
Da wären zunächst Werkzeuge und Arbeitsplätze, die physisch-reale Schnittstellen ausbilden: Wenn ich heute schon während des Tippens per Sprachbefehl nach Informationen verlange, werde ich morgen per Blickkontakt Applikationen aktivieren. "Die Interaktion mit Windows wird bis 2030 so intuitiv werden, dass man einfach tippt, schreibt, spricht oder zeichnet – und das System versteht, was gemeint ist", versprach 2025 Pavan Davuluri, Leiter Windows + Devices bei Microsoft USA.
Tatsächlich wird KI schneller unsere Arbeitsweisen verändern, als wir mit unseren derzeitigen Arbeitsstrukturen hinterherkommen. Warum die Arbeitswelt also nicht gleich mit verändern? Ein Open Space, in dem Stille herrscht, hat seinen Zweck zum Wissensaustausch verfehlt. Wenn es nicht gelingt, Anwesende und Zugschaltete gleichermaßen einzubeziehen, gibt es zwar Vernetzung – aber immer noch keine Verbindung.
Künstliche Intelligenz und menschliche Erfahrung
Aktuelle Technologien zielen auf einen menschlicheren Umgang: auf natürlichere User Experience über Sprache, Gesten, Fokussierung und sogar Hirnströme. Damit können Menschen so arbeiten, wie es ihrem sozialen, kulturellen und intuitiven Wesen entspricht.
"Ich stelle mir eine KI vor, die mich dort unterstützt, wo ich mich gerade befinde – über alle Tools hinweg und kontextsensitiv", beschreibt Irina Chemerys, Head of Microsoft Digital Experience in München ihre Vorstellung zur Kollaboration mit KI. Aber sie betont auch die Adressierung der natürlichen Intelligenz und stellt den Menschen im Mittelpunkt: "Die Interaktion, das Miteinander und die gemeinsame Erfahrung sind essenziell."
Das passt, zumal die Zusammenarbeit mit KI mehr Austausch und kritisches Hinterfragen erfordert. Und weil wichtige Entscheidungen im gemeinsamen Diskurs entstehen, braucht es neue Rahmen und Räume, die diesen kollektiven Aushandlungsprozess ermöglichen.
Subjektive und kollektive Intelligenz integrieren
Menschen treffen Entscheidungen im sozialen Kontext – geprägt von Biografie, Intuition und Werten. Mit KI tritt ein neues kollektives Bezugssystem hinzu: Datenmengen, extrahiert aus Millionen Einzelerfahrungen, gewichtet und verknüpft. Dieses technologische Kollektiv kennt keine Geschichte, aber erkennt Muster. Können wir unsere Perspektiven besser justieren, wenn wir sie gegen algorithmisch verdichtetes Wissen spiegeln? Und wie bewahren wir dabei die Eigenheiten menschlicher Erfahrung?
Vielleicht liegt der Schlüssel darin, beide Intelligenzformen zu kombinieren: KI als Resonanzraum kollektiver Möglichkeiten, der Mensch als bewusster Navigator mit subjektiver Tiefe. So entscheiden wir rationaler, emotionaler und sozial intelligenter. Gerade durch KI werden die Gegensätze "rational vs. emotional" oder "individuell vs. kollektiv" neu verhandelbar.
Die Arbeitswelt aber muss lernen, beides zuzulassen. Bisher waren wir darauf getrimmt, Zahlen und Fakten zu liefern. Die liefert jetzt die KI, während wir die Grundlagen trainieren und Ergebnisse prüfen. Das könnte bedeuten, Gefühlen bei der Arbeit einen professionelleren Status zuzubilligen, etwa, wenn sie sachdienlich sind, Empathie und Verständigung erleichtern und einen motivierenden Einfluss haben. Wenn KI heute vor allem Fakten liefert und in Datenmengen Muster erkennt, sollten wir uns umso mehr auf die Qualitäten konzentrieren, die wir im Kundenkontakt, im Meeting, beim Produkttest oder als Bauchgefühl und Vorahnung spüren.
Gaming als Training für zukünftige Büroarbeit
Die These, dass Gaming eine neue Form der Zusammenarbeit werden könnte, ist realistischer, als es scheint: Werkzeuge und Arbeitsumgebungen verlagern sich von der physischen in digitale Realitäten – in denen wir bereits spielerisch und sozial unterwegs sind. Vielleicht entwickelt sich gerade aus dem spielerischen Wettbewerb und dem sozial Verbindenden unsere neue Arbeitskultur?
Eine, die die nächste Generation ohnehin im Büro erwarten würde: Knapp 90 Prozent der Jungen und 50 Prozent der Mädchen spielen regelmäßig Computerspiele. Und wer mal zugeschaut hat, wie rasant sie mit "Minecraft"-Bausteinen ganze Welten erschaffen, kann sich vorstellen, dass der Bau eines Digitalen Zwillings oder Anwendungskontext für sie in Zukunft kein Problem darstellen wird. Tatsächlich scheinen Gamer bereits all das an Interaktion, Strategie und Teamgeist verinnerlicht zu haben, was die Zusammenarbeit mit KI uns nun abverlangt.
Prof. Dr. Simone Kühn, Direktorin des Forschungsbereichs Umweltneurowissenschaften am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, zollt der Videospieltechnologie und ihrem interaktiven Game Design hohe Anerkennung, "weil es motiviert und lange und durchgehende Konzentration fördert. Ich hoffe, dass wir das im Bildungssystem ein wenig aufnehmen können, damit wir Menschen motivieren, das zu lernen, was relevant ist für ihr Leben."
Gemeinsames Gaming – real und virtuell zugleich
Auch die eher introvertierte Gaming-Community lebt vom Austausch und sucht reale Begegnung. Im Jugendzentrum "Last by Schachermayer", das Winni Ransmayr für das Unternehmen Schachermayer mitkonzipiert hat, zeigt sich: Physische Nähe stärkt Teamgeist. "Onlinegames mit vielen fremden Playern können starken Druck auf Einzelne ausüben. Sitzen die Spielteams dagegen Schulter an Schulter vorm Monitor, entsteht mehr Energie und Zusammenhalt", sagt Ransmayr. Um diese Energie spürbar zu machen, spielen möglichst viele Player mit ihrer Konsole gemeinsam auf einer großen Schaumstoffmatte aus der Turnhalle.
Kulturtechnisch bleibt es beim Vertrauten: dem Schulterschluss fürs Vorankommen, der Energie des Spiels, der Rolle in der Storyline – nur eben real und virtuell zugleich.
Ein neuer Grund, ins Büro zu kommen
Gesetzt den Fall, dass wir in Zukunft mithilfe von künstlicher Intelligenz noch mehr kommunizieren werden – sei es mit KIs, Agenten oder mit unseren Mitarbeitenden –, dürfte es noch wichtiger werden, den Zweck der Kommunikation durch eine entsprechende Arbeitsumgebung zu unterstützen: Geht es um strategische Entscheidungen? Braucht es einen vertraulichen Rahmen? Kommunizieren wir am Produkt oder an dessen Digitalem Zwilling? Steuern wir Prozesse im laufenden Betrieb wie in einer Leitzentrale oder erfolgt das Protoyping bereits in der Industriehalle, oder im Maker Space? Stehen wir vor Großbildmonitoren, sind wir leibhaftig oder über unseren Avatar anwesend? Sitzen wir im Gamingsessel und treffen uns in der digitalen "Sandbox"?
Angesichts der neuen Vielfalt könnte einiges, was heute auf den Flächen als "flexibel" und "für jeden Einsatz adaptierbar" ausgewiesen wird, an Wirksamkeit einbüßen. Wenn AR-Simulationen und immersive Welten immer mehr unternehmen, um ihre Nutzerinnen und Nutzer in den beabsichtigten Aktivitätsmodus zu versetzen, sollte auch die physische Büroumgebung einen stärker auffordernden Charakter haben.
Das Büro als Bühne der Potenziale
Das Büro wird zum Ermöglichungsraum, in dem Entwickler, Kunden und Anwender Ideen gemeinsam durchspielen, verdichten und weiterentwickeln – analog einem Maker Space mit physischen und digitalen Stationen. Die Qualität des Zusammenkommens zeigt sich in Nähe, Resonanz und Körpersprache – in der Energie des Raums.
Diese Erfahrungsdichte muss auch für Zugeschaltete spürbar werden: durch immersive Interaktion, wie aus dem Gaming bekannt, oder Kameras und Interfaces, die remote Teilnehmenden Bewegung und gezielte Ansprache ermöglichen.
Wenn das Büro mitdenkt
So wird das Büro nicht nur zum Begegnungsort, sondern auch zur Bühne für wechselnde Rollen, Werkzeuge und Kontexte. Es eröffnet Räume des VoneinanderLernens, des gegenseitigen Abschauens und des sicheren Experimentierens. Kuratiert von Führungskräften, die individuelle Neigungen erkennen und fördern, entsteht ein geschütztes Feld, in dem Teams Vertrauen aufbauen, Neues ausprobieren und gemeinsam mit KI die nächste Stufe ihrer Zusammenarbeit erreichen.
Am Ende denkt das Büro selbst mit: Als Cognitive Environment, das über Sensorik und KI auf Stimmung, Intention und Gruppendynamik reagiert – Licht, Akustik und Klima anpasst und so Konzentration, Kreativität und Erholung unterstützt. Der Raum wird zum lernenden Organismus, in dem Mensch und KI sich gegenseitig Feedback geben und Interaktion zunehmend natürlich wird.
Hinweis: Die Trend- und Zukunftsforscherin Birgit Gebhardt forscht im Auftrag des Industrieverbands Büro und Arbeitswelt (IBA) zur "Kollaboration mit KI". Die 6. New-Work-Order-Studie wird auf dem "Wherever Whenever - Work Culture Festival" auf der Orgatec 2026 vorgestellt. Erste Erkenntnisse mit Expertisen aus Wirtschaft und Wissenschaft gibt es jetzt in einem Pre-Read der Studie zu lesen.