Zersplitterte Tariflandschaft oder verfassungswidriges Gesetz?

Angesichts des Arbeitskampfs von Lokführern und der angekündigten Pilotenstreiks hat Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles ihre Pläne gegen eine kleinteilige Tariflandschaft bekräftigt. Zurzeit berät die Bundesregierung konkrete Möglichkeiten dazu, wie vorgeschrieben werden kann, dass nur die Mehrheitsgewerkschaft in einem Betrieb für Tarifverträge zuständig ist. Dabei deutete Nahles bei einem Empfang des Sozialverband Deutschland auch an, dass eine gesetzliche Regelung dazu schwierig sei.
Tarifeinheit – tagaus, tagein
Sie habe derzeit quasi den ganzen Tag nur das Thema "Tarifeinheit" im Kopf, sagte Nahles. "Eine Zersplitterung der Tariflandschaft nutzt am Ende niemandem", ergänzte die Arbeitsministerin. "Wir müssen deswegen das Prinzip der Tarifeinheit wieder stärken, am besten natürlich verfassungskonform." In Kürze werde sie einen Gesetzesentwurf vorlegen. Das hatte Nahles bereits Ende August angekündigt.
Darin soll der Einfluss kleinerer Berufsgewerkschaften - etwa von Piloten oder Lokführern - verringert werden, ohne jedoch die grundgesetzlich garantierte Koalitionsfreiheit für Arbeitnehmer mit möglichen Streiks als Folge auf verfassungswidrige Weise zu beschneiden.
Rechtsgelehrte sehen verfassungsmäßiges Gesetz skeptisch
Dass dies schwierig werden dürfte, sagte bereits Professor Gregor Thüsing von der Universität Bonn im Interview. "Verfassungsrechtlich ist das alles recht dünnes Eis. Eine Rückkehr zur Tarifeinheit geht nur über gesetzliche Arbeitskampfregeln", erklärte der renommierte Arbeitsrechtler.
Auch der ehemalige Verfassungsrichter Udo di Fabio kommt in einem aktuellen Rechtsgutachten – im Auftrag der (Sparten-)Gewerkschaft Marburger Bund erstellt – zu dem Ergebnis, dass eine gesetzlich auferlegte Tarifeinheit verfassungswidrig wäre. Beschnitten würde die grundgesetzlich garantierte Koalitionsfreiheit für Arbeitnehmer mit dem Arbeitskampf als Herzstück, sagte Di Fabio.
Tarifeinheit-Gesetz verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt
Dies könne nur gerechtfertigt werden, wenn überragend wichtige Gemeinschaftsgüter nachweisbar und konkret gefährdet wären. Bei Piloten- und Lokführerstreiks sei dies nicht der Fall. "Die gesetzlich auferlegte Tarifeinheit kann gegenwärtig nicht durch verfassungsrechtlich notwendige Rechtfertigungen begründet werden", so eine Schlussfolgerung Di Fabios im Gutachten. "Eine flächendeckende Tarifeinheit wäre auch nicht erforderlich, wenn es in einzelnen Branchen zu nachweisbaren Missständen von Gewicht käme, die durch das Arbeitskampfrecht nicht beherrschbar wären". Dann müssten zunächst Branchenlösungen gefunden werden, bevor ein Verbot für alle eingeführt würde.
"Das Gutachten nehmen wir natürlich zur Kenntnis", sagte ein Sprecher des Arbeitsministeriums. Doch sein Ressort und die Regierung arbeiteten weiter an einer Gesetzesregelung. Im Herbst werde ein entsprechender Vorschlag vorgelegt.
Sogar Deutscher Juristentag diskutiert über Tarifeinheit
Auch auf dem 70. Deutschen Juristentag diskutieren zurzeit etwa 2.500 Juristen über aktuelle Fragen aus Rechtspolitik und Justiz. Beim Thema "Tarifeinheit" wollen die Juristen klären, ob Spartengewerkschaften per Gesetz eingeschränkt werden sollen und ob dies rechtlich zulässig wäre.
Zur Eröffnung der europaweit größten juristischen Fachtagung waren auch Bundespräsident Joachim Gauck und Bundesjustizminister Heiko Maas vor Ort. Der Juristentag findet alle zwei Jahre in unterschiedlichen Bundesländern statt. Die Ratschläge eines Juristentages werden häufig von Gesetzgeber und Gerichten aufgegriffen und umgesetzt.
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