Geschäftsführer und Praktikanten werden zu Arbeitnehmern
Haufe Online-Redaktion: Der EuGH hat zuletzt für eine Massenentlassungsanzeige entschieden, dass Geschäftsführer und Praktikanten auch als Arbeitnehmer zählen. Was sind für Arbeitgeber die wesentlichen Punkte der Entscheidung?
Alexandra Henkel: Nach § 17 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) muss man als Arbeitgeber eine Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Arbeitsagentur vor Zustellung der Kündigungen erstatten, wenn die dort aufgeführten Schwellenwerte erreicht sind. So müssen zum Beispiel bei Betrieben mit bis zu 20 Arbeitnehmern keine Anzeigen erstattet werden; bei über 20 bis 60 Arbeitnehmer dann, wenn innerhalb von 30 Kalendertagen mehr als fünf Arbeitnehmer entlassen werden. Sind die Schwellenwerte erreicht und wird keine Massenentlassungsanzeige erstattet, dann sind alle Kündigungen unrettbar unwirksam.
Haufe Online-Redaktion: Was bedeutet nun die Entscheidung des EuGH?
Henkel: Bisher haben die deutschen Arbeitgeber bei den Berechnungen der Schwellenwerte die Geschäftsführer und Praktikanten nicht mit berücksichtigt. So auch in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall einer GmbH mit 18 Arbeitnehmern – ohne die Fremdgeschäftsführer und durch das Jobcenter geförderten Praktikanten. Nach der Entscheidung des EuGH hätte das Unternehmen jedoch von mehr als 20 Arbeitnehmern ausgehen müssen und eine Massenentlassungsanzeige erstatten müssen, wenn es gleichzeitig mehr als fünf Arbeitnehmer entlässt.
"Im Rahmen der Vorbereitung von Massenentlassungen sollte das Urteil unbedingt berücksichtigt werden – sonst kann es richtig teuer werden."
Dr. Alexandra Henkel, FPS
Haufe Online-Redaktion: Welche Auswirkungen hat die Entscheidung für deutsche Arbeitgeber?
Henkel: Im Rahmen der Vorbereitung von Massenentlassungen sollte das Urteil unbedingt berücksichtigt werden – sonst kann es richtig teuer werden, wenn alle Kündigungen unwirksam sind. Aber auch außerhalb von Massenentlassungen hat das Urteil Relevanz. Die Entscheidung zeigt einmal mehr, und letztlich sagt dies auch der EuGH ausdrücklich, dass der europäische Arbeitnehmerbegriff nicht deckungsgleich ist mit dem deutschen Arbeitnehmerbegriff. Auch im Fall einer Frau, die im Vorstand einer Aktiengesellschaft war, hat der EuGH bereits entschieden, dass bei einer Schwangerschaft der Mutterschutz für Arbeitnehmer nach europäischen Richtlinien Anwendung findet. Dort wie auch in der jetzigen Entscheidung begründet der EuGH die Arbeitnehmereigenschaft von Fremd-Geschäftsführern und Vorständen damit, dass die Mitglieder der Unternehmensleitung ihre Tätigkeit nach Weisung und Aufsicht eines anderen Organs ausübten, dass sie als Gegenleistung für ihre Tätigkeit eine Vergütung erhalten und selbst keine Anteile an der Gesellschaft besitzen.
Haufe Online-Redaktion: Und wie ist die Situation bei Praktikanten?
Henkel: Auch der – geförderte – Praktikant als Arbeitnehmer wird sehr weit verstanden, wenn der EuGH definiert: Arbeitnehmer im Sinne der Vorschrift ist, wer im Rahmen eines Praktikums ohne Vergütung durch den Arbeitgeber – jedoch finanziell gefördert und anerkannt durch die für Arbeitsförderung zuständigen öffentlichen Stellen – in einem Unternehmen praktisch mitarbeitet, um Kenntnisse zu erwerben oder zu vertiefen oder um eine Berufsausbildung zu absolvieren. Dies weitergedacht, könnte letztlich auch bei anderen deutschen Umsetzungen europäischer Richtlinien, wie zum Beispiel im Bereich der Befristungen oder Arbeitszeit, der weitere europäische Arbeitnehmerbegriff hineinzulesen sein. Die Zeit wird zeigen, wie viel hiervon in der Praxis relevant wird.
Dr. Alexandra Henkel ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und Wirtschaftsmediatorin bei FPS, Fritze Wicke Seelig Partnerschaftsgesellschaft von Rechtsanwälten mbB, in Berlin.
Das Interview führte Michael Miller, Redaktion Personal.
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