Corona-Infektionen im Unternehmen: Haftung des Arbeitgebers

Nachdem die Wirtschaft nach dem Lockdown langsam wieder hochgefahren wurde, hat sich schnell die Erkenntnis durchgesetzt, dass dies nur mit einem entsprechenden Sicherheits- und Hygienekonzept funktionieren kann. Der Arbeitgeber ist gut beraten, ein effektives und auf den Betrieb zugeschnittenes Konzept zu erarbeiten, wenn er mögliche Haftungsrisiken minimieren will.

Der technische Arbeitsschutz dient der Verhütung von Gefahren für die Gesundheit, die von der jeweils ausgeübten Tätigkeit ausgehen können. In rechtlicher Hinsicht wird er sowohl durch staatliche Gesetze und Rechtsverordnungen sichergestellt, als auch durch Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften (§ 15 Abs. 1 S. 1 SGB VII). Die staatlichen Vorgaben zum Arbeitsschutz sind im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) sowie in zahlreichen Verordnungen geregelt (zum Beispiel ArbStättV, BioStoffV, GefStoffV). Speziell in Bezug auf das Coronavirus kann auch die Biostoffverordnung relevant sein, da Viren Mikroorganismen sind und diese wiederum als "Biostoffe" eingestuft werden (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 BioStoffV). Darüber hinaus regeln die Unfallverhütungsvorgaben der Berufsgenossenschaften branchenbezogene Besonderheiten.

Pflichten des Arbeitgebers: Gefährdungsbeurteilung

Welche konkreten Maßnahmen der Arbeitgeber zu treffen hat, ist anhand einer Gefährdungsbeurteilung zu ermitteln (§ 5 ArbSchG, § 4 BioStoffV, § 3 ArbStättV). Danach muss der Arbeitgeber das Gefährdungspotenzial der jeweiligen Tätigkeit unter Beachtung der Umstände des Einzelfalls bewerten. Hinsichtlich des Coronavirus ist konkret zu prüfen, bei welchen Arbeitsabläufen erhöhte Infektionsrisiken bestehen. Die auf Grundlage dieser Gefährdungsbeurteilung zu treffenden Maßnahmen haben den Stand der Technik und der Hygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen. Insofern sind auch die Regelungen im "SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard" des BMAS relevant.

Eine Vielzahl der öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzvorschriften entfalten dabei eine Doppelwirkung: Nach § 618 BGB ist der Arbeitgeber auch zivilrechtlich gegenüber den Arbeitnehmern zur Einhaltung verpflichtet.

Wer für die Einhaltung der Pflichten verantwortlich ist

Der Arbeitgeber ist für die Durchführung des Arbeitsschutzes zuständig und voll verantwortlich (§ 3 ArbSchG, § 21 Abs. 1 SGB VII). Darüber hinaus benennt § 13 ArbSchG mehrere für die Erfüllung der jeweiligen arbeitsschutzrechtlichen Pflichten verantwortliche Personen. Dies können die vertretungsberechtigten Organe einer juristischen Person, also beispielsweise Vorstand oder Geschäftsführung, ebenso sein, wie die Leiter eines Betriebes oder speziell mit dem Arbeitsschutz (schriftlich) beauftragte Personen. Der Arbeitgeber kann (und sollte) Aufgaben des Arbeitsschutzes delegieren, behält dabei aber immer eine Gesamtverantwortung.

Darüber hinaus findet über § 14 Abs. 2 StGB, § 9 Abs. 2 OWiG eine straf- und ordnungswidrigkeitsrechtliche Erweiterung der Haftung einzelner Personen statt. Das Gesetz rechnet besondere persönliche Merkmale – etwa die Arbeitgebereigenschaft – dem jeweiligen Vertreter (Organhaftung) oder dem Beauftragten (Substitutenhaftung) zu. Danach kann mit Bußgeld belegt oder bestraft werden, wer ausdrücklich beauftragt ist, in eigener Verantwortlichkeit Aufgaben wahrzunehmen, die dem Inhaber des Betriebes obliegen. Dazu kann etwa ein Werkleiter zählen, der (auch) für die Einhaltung des Arbeitsschutzes verantwortlich ist.

Zugleich regelt § 30 OWiG die Festsetzung einer Geldbuße gegen juristische Personen oder Personenvereinigungen unter der Voraussetzung, dass deren Repräsentanten (Organe, Vorstände, Vertreter, sonstige Leitungspersonen) eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen haben. Die Geldbuße kann theoretisch bis zu zehn Millionen Euro betragen (§§ 30, 130 OWiG).

Welche Haftungsrisiken bestehen können

Werden Vorgaben zum Arbeitsschutz missachtet, kann dies folglich zu erheblichen Haftungsrisiken führen. Die damit einhergehenden Gefahren potenzieren sich, wenn Arbeitnehmer tatsächlich an Corona erkranken sollten.

Haftung auf Basis öffentlich-rechtlicher Normen

Ordnungswidrigkeitstatbestände bei Verstößen gegen den Arbeitsschutz sind in zahlreichen Gesetzen enthalten. Mit Blick auf die Corona-Pandemie seien einige wesentliche Ordnungswidrigkeiten zusammengefasst: 

  • Verstoß gegen die Pflichten zur Durchführung und Dokumentation von Gefährdungsbeurteilungen (§ 25 Abs. 1 Nr. 1 ArbSchG iVm. § 20 Nr. 1 BioStoffV, § 9 Abs. 1 ArbStättV): Bußgeld bis zu 5.000 Euro
  • Missachtung verbindlicher Anordnungen einer Arbeitsschutzbehörde (§ 25 Abs. 1 Nr. 2 a) ArbSchG): Bußgeld bis zu 25.000 Euro
  • Verstöße gegen eine nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) erlassene Landesverordnung (in NRW die Coronaschutzverordnung), soweit diese – wie in NRW – auf das IfSG verweist (§ 73 Abs. 1a Nr.  24): Bußgeld bis zu 25.000 Euro
  • Verstoß gegen Vorgaben der Berufsgenossenschaften (§ 209 SGB VII): Bußgeld bis zu 10.000 Euro
  • Verstoß gegen die Pflicht der Unternehmensleitung, Aufsichtsmaßnahmen zu implementieren, die darauf abzielen, bestimmte, betriebsbedingte Gesetzesverletzungen zu erschweren (§ 130 OWiG). Davon erfasst sein können durchaus auch Verstöße gegen Covid-19-Gesetze und Arbeits- beziehungsweise Infektionsschutzvorgaben.

Die Prüfung der einzelnen Tatbestände kann dabei nur im Einzelfall erfolgen. Eines wird aber deutlich: Wenn keine Maßnahmen zum Arbeitsschutz ergriffen werden, drohen ganz erhebliche Haftungsrisiken.

Zivilrechtliche Haftung des Arbeitgebers

Erkrankt oder verstirbt ein Arbeitnehmer am Coronavirus nach seiner Tätigkeit im Betrieb, besteht ein erhebliches zivilrechtliches Haftungsrisiko des Arbeitgebers.

Im Grundsatz haftet der Arbeitgeber im Fall von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten nicht, außer bei vorsätzlicher Herbeiführung für Personenschäden. Sowohl Arbeitsunfälle als auch Berufskrankheiten sind durch die Berufsunfallversicherung abgedeckt (§ 7 SGB VII). Daher wird die Haftung – mit Ausnahme von Vorsatz – ersetzt durch den Versicherungsschutz der Berufsgenossenschaften (§ 104 ff. SGB VII).

Corona als Allgemeingefahr und die Folgen für die Haftung

Allerdings hat die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) angekündigt, für Personenschäden infolge von Infektionen mit dem Coronavirus am Arbeitsplatz grundsätzlich – das heißt außer für Personenschäden in besonders gefahrgeneigten Betrieben wie Krankenhäusern – nicht einstehen zu wollen, da es sich um eine Allgemeingefahr handele. Hält dieses Verständnis einer gerichtlichen Prüfung stand, wäre die Haftungsbeschränkung des § 104 SGB VII nicht anzuwenden. Der Arbeitgeber könnte dann selbst für fahrlässig verursachte Infektionen in Anspruch genommen werden. Sollte der Arbeitgeber keinerlei Schutzmaßnahmen ergreifen, liegt bereits eine Haftung wegen Vorsatz nahe, für die die Berufsgenossenschaften ohnehin nicht aufkommen.

Voraussetzung und Umfang der Haftung

Es kommt insbesondere ein vertraglicher Anspruch des erkrankten Arbeitnehmers nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 618 BGB in Betracht. Dabei muss der Arbeitnehmer eine Pflichtverletzung des Arbeitgebers nachweisen, die kausal zu einem Schaden geführt hat. Wegen des Schutzzwecks des § 618 BGB muss der Arbeitnehmer zunächst nur beweisen, dass ein ordnungswidriger Zustand vorgelegen hat, der geeignet war, den eingetretenen Schaden herbeizuführen. In der Praxis wird also der Nachweis einer Infektion mit dem Coronavirus am Arbeitsplatz und ein unzureichender Schutzstandard im Betrieb in einem ersten Schritt ausreichend sein. Sodann muss der Arbeitgeber darlegen und beweisen, dass ihn kein Verschulden trifft beziehungsweise die mangelnden Schutzmaßnahmen nicht ursächlich für die Erkrankung waren. Dies wird in der Praxis mit erheblichem Aufwand verbunden sein. Zumal sich der Arbeitgeber nach § 278 BGB auch das Verschulden der von ihm eingesetzten Erfüllungsgehilfen zurechnen lassen muss. Ein Mitverschulden des Arbeitnehmers ist im Einzelfall denkbar.

Die Haftungsrisiken sind dabei erheblich: Ersatzfähig ist der Personenschaden, also konkrete Therapiekosten, sowie weitere Kosten für medizinische Hilfsgeräte oder Pflegekosten und der Erwerbsausfall. Zudem verweist § 618 Abs. 3 BGB auf die §§ 842 bis 846 BGB, weshalb auch der Ersatz der Nachteile für den Erwerb und das berufliche Fortkommen sowie – bei Versterben des Arbeitnehmers – Kosten der Beerdigung und der Unterhalt Hinterbliebener begehrt werden kann.

Darüber hinaus sind deliktische Ansprüche aus den § 823 ff. BGB gegen Organmitglieder oder Führungskräfte im Sinne des § 13 ArbSchG denkbar. Allerdings steigt bei deliktischen Ansprüchen die Darlegungslast auf Seite der Arbeitnehmer.

Gesellschaftsrechtliche Haftungsrisiken der Geschäftsleitung

Nicht nur das Unternehmen, sondern auch verantwortliche Führungspersonen, insbesondere Geschäftsführer, müssen einen Beitrag zur Beachtung des Arbeitsschutzes leisten (siehe oben). Den verantwortlichen Geschäftsleiter trifft dabei die Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass sämtliche Rechtsvorschriften durch das Unternehmen eingehalten werden (sogenannte Legalitätspflicht). In diesem Zusammenhang muss er gewährleisten, dass ein funktionierendes System zur Einhaltung der Corona-Schutzvorgaben etabliert wird (Compliance-Organisation). Soweit er dieser Pflicht nicht nachkommt, macht er sich jedenfalls im Verhältnis zum Unternehmen schadensersatzpflichtig (vgl. § 43 Abs. 2 GmbHG; § 93 Abs. 2 S. 1 i.V.m § 76 AktG).

Strafrechtliche Risiken

Nicht zu unterschätzen sind zahlreiche strafrechtliche Risiken. Bereits das Infektionsschutzgesetz regelt eine Reihe von Straftatbeständen. Besondere Relevanz dürfte § 75 Abs. 1 Nr. 1 IfSG haben, der die Zuwiderhandlung gegen vollziehbare behördliche Anordnung unter Strafe stellt. Damit können – auch fahrlässige (§ 75 Abs. 4 IfSG) – Verstöße gegen behördliche Maßnahmen, die etwa auf die jeweiligen "Corona-Verordnungen" der Länder gestützt werden, strafrechtlich relevant werden. Auch § 26 ArbSchG regelt strafrechtlich relevante Verstöße.

Darüber hinaus können Ermittlungen wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB) oder fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) in Betracht kommen. So indiziert ein Verstoß gegen geschriebene Verhaltensnormen sowie berufsgenossenschaftliche Unfallverhütungsvorschriften eine objektive Sorgfaltswidrigkeit beziehungsweise die objektive Vorhersehbarkeit. Diskutiert wird, ob es sich bei einem Arbeitnehmer, der sich in Kenntnis der Nichteinhaltung von Arbeitsschutzvorschriften wissentlich einer Gefahr aussetzt, um eine Konstellation der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung handeln kann (so etwa OLG Rostock, Urteil vom 10. September 2004, Az. 1 Ss 80/04 I 72/04). Dies wird letztlich auch eine Frage des Einzelfalls sein.

Fazit und Handlungsempfehlungen

Das Unterlassen jeglicher Arbeitsschutzmaßnahmen ist auf allen Ebenen enorm risikoreich. In jedem Fall sollten konkrete Maßnahmen ergriffen und dokumentiert werden. Im Unternehmen sind für den Arbeitsschutz zuständige Personen zu benennen, die in Abstimmung mit dem Betriebsrat Gefährdungsbeurteilungen vornehmen und konkrete Maßnahmen umsetzen sollten. Dabei bieten die branchenbezogenen Hinweise der Berufsgenossenschaften und der "SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard" eine wichtige Grundlage und Hilfestellung.


Zum Autor: Thomas Köllmann ist Rechtsanwalt bei Küttner in Köln. Er berät und vertritt Unternehmen, Führungskräfte und Organmitglieder in allen Bereichen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts sowie des Dienstvertragsrechts.


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