BMAS: Kommentar zum Weißbuch Arbeiten 4.0

Nun ist es da. Das "Weißbuch Arbeiten 4.0" des BMAS. Schick und modern gestaltet, der Aufbau logisch und klar: Treiber, Spannungsfelder, Leitbild des BMAS, Gestaltungsaufgaben und schließlich die Trends. Was arbeitsrechtlich vom Weißbuch zu halten ist, kommentiert Alexander R. Zumkeller, Präsident des BVAU.

Vor wenigen Tagen hat Arbeitsministerin Andrea Nahles das "Weißbuch Arbeiten 4.0" vorgstellt. Es enthält ein Vorwort, das (fast) aus der Seele spricht : "Der Acht-Stunden-Tag bei einer ununterbrochenen Ruhepause von mindestens 36 Stunden in jeder Woche, bessere Hygiene- und Schutzmaßnahmen in der Fabrik und ein Ende der Kinderarbeit – so sah früher einmal eine Vision der Arbeit von Morgen aus. Heute gibt es neue Bilder davon, wie wir gerne arbeiten möchten: Da ist der kreative Wissensarbeiter, der am See sitzt, den Laptop auf dem Schoß. Oder die Arbeiterin in der Produktion, die per App ihre gewünschten Schichtzeiten für die nächste Woche in den Organisationsplan einträgt." Hält das Weißbuch diese Versprechen?

Die Treiber: Digitalisierung und Globalisierung

Als Treiber werden die wichtigen Determinanten genannt: nicht nur die Digitalisierung, sondern auch – wichtig – die Globalisierung. Demographischer, sozialer und kultureller Wandel sind ebenso einbezogen. Neue Geschäftsmodelle, Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen werden genannt und erörtert. Der wichtige Punkt, dass künftig ganz unterschiedliche Generationen mit unterschiedlichen Denk-, Lebens- und Arbeitsmodellen arbeiten müssen, und zwar zusammen, und dies gegebenenfalls noch virtuell wird allerdings leider eher von der sozialen Sicht her erörtert als von der Frage: Wie arbeiten wir miteinander? Was sind die enabler?

Aber insgesamt eine ausgewogene Beschreibung auch der Anforderungen von Arbeitgebern. Eine gute Basis also.

Die Spannungsfelder Datenschutz und atypische Beschäftigung

Als Arbeitsrechtler stürze ich mich gleich auf mein Metier – auch, um der politischen Diskussion des „Anwachsens atypischer Beschäftigung“ aus dem Weg zu gehen. Nota bene: Je mehr „atypisch Beschäftigte“ es gibt, desto typischer wird diese Art der Beschäftigung. Diskriminierend bleibt der Begriff „atypisch“ nach wie vor, wohltuend daher einige Seiten später, dass die undifferenzierte Gegenüberstellung von Normalarbeitsverhältnissen einerseits und „atypischer Beschäftigung“ andererseits darum vor allem mit Blick auf Teilzeitarbeit zu hinterfragen ist.

Ich blättere also über das ebenfalls wichtige Themenfeld des Datenschutzes ( „Bei Büroarbeitsplätzen kann – zumindest theoretisch – jeder Anschlag auf der Tastatur, jede Speicherung oder Löschung, jeder Suchverlauf im Internet sowie die gesamte Kommunikation, etwa via E-Mail, komplett dokumentiert und ausgewertet werden.“). Dankenswerter Weise sieht das BMAS hier auch den „hohe Nutzen für Unternehmen, aber auch für Verwaltungen, im Gesundheitswesen und für die Gesellschaft insgesamt“.

Das Spannungsfeld der Flexibilität bei Arbeitszeit und -ort

Erst gut zehn Seiten weiter dann das Thema worauf ich gewartet habe: zeit- und ortsflexibles  Arbeiten,  wo richtig konstatiert wird: „Viele Beschäftigte wünschen sich mehr Spielraum, um Beruf und Privatleben besser in Einklang bringen zu können“. Auch die Interessen der Arbeitgeber und Kunden werden richtig dargestellt. Bei der Beschreibung des Spannungsfeldes selbst merkt der geneigte Leser dann aber doch, wer Autor der Zeilen ist: wird bei Wünschen der Arbeitnehmer von „Chancen“ und „positiven Aspekten“ gesprochen, finden sich bei unternehmerischen Anforderungen die Begriffe „Entgrenzung“, „Belastungen“ und „Arbeits- und Gesundheitsschutz“.

Völlig richtig: „Voraussetzungen für zeit- und ortsflexibles Arbeiten sind in jeweils verschiedenen Branchen, Tätigkeitsfeldern und Arbeitnehmergruppen unterschiedlich gegeben.“. Das ist der Ansatz für die wohl richtige Lösung: Subsidiarität. In Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen kann diese Skalierung ideal erfolgen, die Betriebs- und Tarifpartner kennen die Umstände am besten.

Das Leitbild des Ministeriums: gute Arbeit

Liest man bereits im Kapitel zu den Spannungsfeldern immer wieder zur Notwendigkeit des guten Austarieren der Interessen, findet man im Anschluss: „Die beste Grundlage für die Gestaltung guter Arbeit ist daher eine sozial austarierte neue Arbeitswelt, die Sicherheit und Flexibilität bietet.“ Damit werden dann leistungsgerechtes Einkommen, Tarifbindung, Lohngerechtigkeit zwischen den Geschlechtern, Mitbestimmung und „mehr Selbstbestimmung“ begründet. Ansprüche also, die das Programm der Groko spiegeln.

Gestaltungsaufgaben mit Tarifvertrag, und Betriebsvereinbarung

Endlich. Ab Seite 115: Arbeitsrecht, zunächst Arbeitszeit. Gleich zum Einstieg wieder die Wendung des „Austarierens der Interessen“ – allerdings mit dem klaren Bekenntnis zur „Stärkung der individuellen Zeitsouveränität“. Auch wird eine Hauptforderung des Bundesverbands für Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU) prominent genannt: „Intensiv wurde auch darüber diskutiert, die Gestaltungsmöglichkeiten der Tarif- und Betriebspartner gesetzlich auszuweiten.“ Endlich rechtssichere Gestaltungsmöglichkeiten also? Jein, vielmehr eine Einschränkung auf „betriebliche Experimentierräume  […] unter wissenschaftlicher Begleitung“.

Für mich unverständlich ist der Dreiklang, den das BMAS hier einfordert: dreifache Freiwilligkeit. Öffnungsklausel im Tarifvertrag, Abschluss einer Betriebsvereinbarung und Freiwilligkeit des Arbeitnehmers. Austariert? Nein. Wo bitte bleiben die berechtigten Ansprüche der Arbeitgeber? Genau dafür sieht eigentlich § 77 Abs. 4 BetrVG vor, dass Betriebsvereinbarungen unmittelbar und zwingend gelten.

Dringende betriebliche Gründe als einzige Grenze?

Andererseits: die „Stärkung individueller Ansprüche“ – sie finden (lediglich) ihre „Grenzen“ im „betrieblich Machbaren“.  Was das bedeuten kann kennen wir aus der Rechtsprechung, zum Beispiel zum Teilzeitanspruch aus dem TzBfG oder dem BEEG: „Dringende betriebliche Gründe“, die der Arbeitgeber solchen Ansprüchen entgegenhalten kann, sind in den seltensten Fällen darzulegen, oder nur mit häufig unzumutbarem Aufwand. „Austarieren“ sieht jedenfalls anders aus: auch hier, wenn, dann mit Subsidiarität: Warum nicht den Betriebsparteien zugestehen, geeignete Arbeitsplätze, Quoten, Gründe zu vereinbaren?

Homeoffice: Mehr Prüfrechte für Arbeitgeber

Wenn sich das BMAS – nun laut – nach einem „Recht auf Homeoffice“ reckt, dann bitte auch klarstellen: Der Arbeitgeber darf das Homeoffice auch auf Arbeitssicherheit, Datenschutz, Informationsschutz hin überprüfen, er braucht ein Zutrittsrecht.

Und ein Weisungsrecht, den Arbeitnehmer zum Beispiel zu Besprechungen ins Büro zu holen – ohne Aufwand für den Arbeitgeber. Was ist mit dem Betriebsrisiko? Gräbt der Schwager des Arbeitnehmers die Grube für ein Schwimmbad im Garten aus und zerstört dabei die Leitungen, sodass der Mitarbeiter drei Tage nicht arbeiten kann? Nein, das darf kein Betriebsrisiko sein.

Mitbestimmung: keine großen Veränderungen angedacht

Zur Mitbestimmung findet sich nichts Aufregendes. Vielleicht, dass sich der Betriebsrat künftig – bevor er einen teuren externen Sachverständigen bei Einführung neuer Techniken beauftragt –nicht mehr zunächst auf innerbetriebliche Auskunftspersonen verweisen lassen braucht. Vertrauensbildende Maßnahmen sehen anders aus.

Insofern auch eine Hauptforderung des BVAU, dem Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG (Mitbestimmung bei Einführung von Technologien, die dazu bestimmt – nicht nur geeignet – sind, Leistung und Verhalten zu kontrollieren – mit entsprechendem Verwertungsverbot) eine radikale Abfuhr zu erteilen: „Dies würde allerdings zur erheblichen Schwächung eines Mitbestimmungsrechts gerade in einem Bereich führen, der in der Praxis immer wichtiger wird.“ Ja, richtig. Aber in dem Bereich ohne Kontrollabsicht würde das Mitbestimmungsrecht immer bedeutungsloser und nur geeignet, Transaktionskosten zu steigern.

Und, schließlich, lässt sich im Weißbuch etwas finden, was nicht dorthin gehört: der politische Wille, die Tarifbindung zu steigern, und dies mit Anreizen zu untermauern. Nein, das hat nichts mit Arbeit 4.0 zu tun.

Fazit: Herausforderung erkannt, Lösungsansätze meist unzureichend

Nun, wir werden sehen, was aus alledem werden wird. Eine erste, kurze Beurteilung aus Sicht des arbeitsrechtlichen Praktikers:

  • Die Herausforderungen selbst sind im Wesentlichen erkannt. Die Lösungsvorschläge allerdings folgen einem starken politischen Sendungsbewusstsein. Das ist in Ordnung, dafür haben wir Politiker.
  • Einige Fragestellungen sind nicht oder nur unzureichend berücksichtigt: zum Beispiel virtuelle Betriebsratssitzungen, Schriftformerfordernisse oder Aushangpflichten von Gesetzen, praktische Durchführung von Gesundheitsmanagement und Arbeitssicherheit bei Beschäftigten, die nicht im Betrieb sind. Oder das Beispiel Zeitwertkonten: Schwerfälligkeit erkannt, befriedigende Lösungsansätze aber nicht aufgezeigt.
  • Einige Ansätze sind zu begrüßen, weil sie Rechtssicherheit bringen können, wie etwa die Subsidiarität zugunsten der Tarif- und Betriebspartner. Der Freiwilligkeitsvorbehalt macht allerdings in vielen Fällen aus so gefundenen Lösungen sicher nur eine leere Hülle. Wollen die Tarif- und Betriebspartner wirklich etwas vereinbaren, was dann freiwillig sein soll? Lohnt sich dafür der Aufwand? Traut der Gesetzgeber den Parteien das nicht zu selbst zu regeln? Warum nicht? Und warum dann überhaupt die Stärkung der Tarifbindung?
  • Und die neu beabsichtigten Arbeitnehmeransprüche müssen, bitte, praktisch umsetzbar sein und keine Fragen offen lassen. Mag man politisch zu solchen Ansprüchen stehen, wie man will: Die Tücke steckt im Detail. Die Praktiker wissen hier sehr genau, welcher Finger in welcher Wunde schmerzt. Daher die Bitte: keine Schnellschüsse kurz vor dem Ende der Koalition, ähm… Legislaturperiode wollte ich sagen.


Autor: Alexander R. Zumkeller ist Präsident des Bundesverbandes der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU).

Schlagworte zum Thema:  Arbeitszeitgesetz, Digitalisierung, New Work